[imc-presse] RAV-Presseerklärung_Bilanz der G20-Proteste: <Feindbild Demonstrant>

RAV e.V. gs at rav.de
Fri Jul 14 11:23:07 CEST 2017


Sehr geehrte Damen und Herren,

 

anbei und hier folgend machen wir Sie auf unsere Presseerklärung von heute
aufmerksam, bitten um Kenntnisnahme sowie ggf. um Weiterleitung an andere
Interessierte.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Ursula Groos

-Geschäftsführerin-

 

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Pressemitteilung Nr. 3 vom 14. Juli 2017

 

Bilanz der G20-Proteste: ›Feindbild Demonstrant‹[1]

 

Während der G20-Proteste in der vergangenen Woche haben staatliche Stellen
systematisch Grundrechte verletzt und rechtsstaatliche Prinzipien außer
Kraft gesetzt. Eine erste Bilanz offenbart mit einigen Tagen Abstand in der
Summe, die weitgehende Missachtung von Bürger*innenrechten bei
gleichzeitiger Dominanz repressiven polizeilichen Handelns. Es bedarf daher
einer rückhaltlosen und genauen Aufklärung aller Sachverhalte. Wir stellen
hierzu fest:

 

1.     Die legitimen Proteste gegen den G20-Gipfel wurden von der Polizei
von Beginn an erheblich eingeschränkt und behindert – im Rahmen des
rechtlich Möglichen und weit darüber hinaus: weitreichendes
Demonstrationsverbot im Stadtgebiet, Verhinderung von Camps zum Übernachten,
massive Schikanen bei An- und Abreise der Demonstrant*innen, gewaltsame
Auflösung der Versammlung ›Welcome to Hell‹ unter offensichtlicher
Missachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. 

2.     Im Rahmen dessen hat sich die Polizei über Gerichtsentscheidungen
hinweggesetzt und so faktisch die Gewaltenteilung aufgehoben. Wir müssen von
einer weitgehenden Verselbstständigung der Exekutive sprechen.

3.     Anwält*innen wurden bei ihrer Arbeit innerhalb und außerhalb der
Gefangenensammelstelle behindert. Sie wurden oftmals nicht zu
Beistandsuchenden vorgelassen und sogar körperlich angegriffen. Zeitweise
fand eine Gleichsetzung der Anwält*innenschaft mit dem ›Feindbild
Demonstrant‹ statt und Anwält*innen wurde unterstellt, Straftaten zu
fördern. Ein derartiger Generalverdacht gegen die Anwält*innenschaft ist
nicht hinnehmbar.

4.     Die Arbeit von Journalist*innen, die ebenfalls der Kontrolle der
Exekutive dient, wurde ganz erheblich behindert. Mehrere Dutzend
Journalist*innen verloren ihre Akkreditierung für den Gipfel aufgrund von
Geheimdienstinformationen, deren Herkunft nach wie vor ungeklärt ist. Es
besteht der Verdacht, dass nicht genehme Journalist*innen von der
Berichterstattung ausgeschlossen werden sollten. Parallel dazu wurden
während des Protestgeschehens zahllose Berichterstatter*innen von der
Polizei unter Druck gesetzt oder gar angegriffen, wie Darstellungen von
Betroffenen und Bildaufnahmen belegen.

5.     Während des polizeilichen Vorgehens gegen die G20-Proteste hat es
eine Vielzahl rechtswidriger und damit strafbarer Übergriffe von
Polizeibeamt*innen auf Protestierende, Journalist*innen und andere
Bürger*innen gegeben. Auch hierzu liegen uns viele Berichte von Zeug*innen
und Betroffenen sowie Bildaufnahmen vor. Sie belegen das Vorgehen einer sich
offensichtlich im rechtsfreien Raum wähnenden Exekutive, das zu einem kaum
vorstellbaren Ausmaß rechtswidriger Polizeigewalt geführt hat.

6.     Während der Proteste hat die Polizei ihr Vorgehen teilweise mit nicht
haltbaren Sachverhaltsschilderungen und Gefahrenprognosen begründet, die
sich vielfach im Nachhinein als falsch herausgestellt haben. Eine
Richtigstellung dieser Sachverhalte durch die Polizei steht in den meisten
Fällen aus.

 

Gleichzeitig ist es unerträglich, wie Politik und Polizei im Nachhinein mit
dem Geschehen umgehen: Statt einer offenen und selbstkritischen Aufarbeitung
des schon im Grundsatz autoritär-repressiven Vorgehens gegen die Proteste
und der Gewaltexzesse mancher Polizeieinheiten, findet reflexartig eine
bedingungslose Verteidigung und gar Glorifizierung der Polizeiarbeit statt.
Die vollständige Abwesenheit einer Fehlerkultur bestätigt nicht nur die
Polizist*innen in ihrem rechtswidrigen und strafbaren Vorgehen. Das nun
faktisch bestehende Verbot, Kritik an der Polizei zu üben, die als
Exekutivinstanz das Gewaltmonopol ausübt, setzt auch einen zentralen
Grundsatz des Rechtsstaats außer Kraft: Wer besondere Befugnisse zum
Gewalteinsatz hat, muss durch die Gesellschaft und die anderen Gewalten
permanent und intensiv kontrolliert sein. Alles andere ist der Weg in den
Obrigkeitsstaat.

 

»Die Politik befeuert ein Gesellschaftsbild, mit dem ganze Personengruppen
außerhalb der Rechtsordnung gestellt werden, und bestreitet damit die
Geltung der Grundrechte für alle. Wir nennen das Feindstrafrecht«, so
Franziska Nedelmann, Rechtsanwältin und Stellvertretende Vorsitzende des
RAV.

 

Wir fordern eine rückhaltlose Aufklärung des autoritär-repressiven
Vorgehens, das die G20-Proteste massiv eingeschränkt hat. Und wir fordern
ebenso die Aufklärung der zahllosen Übergriffe der Polizei auf
Protestierende, Journalist*innen und Bürger*innen.

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1) Der Begriff wurde anlässlich des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm geprägt,
vgl. den vom RAV/Legal Team herausgegebenen Sammelband ›Feindbild
Demonstrant. Polizeigewalt, Militäreinsatz, Medienmanipulation. Der
G8-Gipfel aus Sicht des Anwaltlichen Notdienstes‹
(http://www.rav.de/projekte/legal-team-g8-gipfel/). Auch dort kam es zu
Polizeigewalt gegenüber Demonstrant*innen. 

 

Kontakt: Rechtsanwalt Dr. Peer Stolle – stolle at dka-kanzlei.de 

 

Pressemitteilungen Anwaltlicher Notdienst zum G20 in Hamburg:
https://www.anwaltlicher-notdienst-rav.org/de/presse

 

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Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.

Greifswalder Str. 4 | 10405 Berlin

Tel 030.41723555 | Fax 030.41723557

www.rav.de <http://www.rav.de/>  | kontakt at rav.de

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[1] Der Begriff wurde anlässlich des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm
geprägt, vgl. den vom RAV/Legal Team herausgegebenen Sammelband ›Feindbild
Demonstrant. Polizeigewalt, Militäreinsatz, Medienmanipulation. Der
G8-Gipfel aus Sicht des Anwaltlichen Notdienstes‹
(http://www.rav.de/projekte/legal-team-g8-gipfel/). Auch dort kam es zu
Polizeigewalt gegenüber Demonstrant*innen. 

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