[imc-presse] [attac-d-presse] Urteil im Attac-Bankentribunal

Frauke Distelrath presse at attac.de
Sun Apr 11 13:06:37 CEST 2010


Pressemitteilung
Attac Deutschland
Berlin, 11. April 2010



* "Politik hat öffentliche Interessen an private ausgeliefert"
* Richter sprechen Urteil im Bankentribunal von Attac 


Die Richterinnen und Richter haben die Anklage beim Bankentribunal
von Attac in wichtigen Punkten bestätigt. In ihrem am heutigen Sonntag
in der Berliner Volksbühne verkündeten Urteilsspruch stellten sie
fest: 

"Die Jury kommt zu der Überzeugung, dass die Finanzkrise nicht wie
eine Naturgewalt über die deutsche Wirtschaft hereingebrochen ist. Es
gibt klare Verantwortliche. Dazu gehört die Politik, hier vertreten
durch Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundeskanzlerin Angela
Merkel. Durch ihre Arbeitsmarkt-, Sozial- und Finanzpolitik haben sie
dazu beigetragen, dass sich die Finanzmärkte von der Realwirtschaft
ablösen konnten und hochriskante Spekulationsgeschäfte möglich wurden.
Sie haben wiederholt die öffentlichen Interessen an private
ausgeliefert. Sie haben die Demokratie untergraben. Sie haben die
Gläubiger geschont und nicht für die Kosten der Bankenrettung
herangezogen. Sie haben die Milliardensummen den öffentlichen
Haushalten aufgebürdet. Sie setzen sich nicht entschieden für die
überfällige Regulierung der Finanzmärkte ein. Sie lassen es ferner
geschehen, dass Milliarden von Menschen im globalen Süden noch tiefer
in Armut gestützt werden.

Die Jury widerspricht den Banken, hier vertreten durch Deutsche
Bank-Chef Josef Ackermann, sie seien nur 'Getriebene der Märkte'.
Vielmehr haben sie durch ihr bedenkenloses Gewinnstreben den Grundsatz
grob verletzt, dass 'Eigentum verpflichtet' und auch dem Wohl der
Allgemeinheit zu dienen hat."

In ihrer Urteilsbegründung monierten die Richter insbesondere, dass
die Profiteure der Staatshilfen nicht angemessen an den
Rettungsaktionen beteiligt wurden und die Gläubiger der Banken bisher
gar keinen Beitrag leisten mussten. 

Der derzeitigen Bundesregierung sei vor allem anzulasten, dass noch
immer keinerlei Regulierung der Finanzmärkte erfolgt sei. Zwar der
Einwand der Verteidigung berechtigt, dass die Einflussmöglichkeiten
Deutschlands in internationalen Gremien begrenzt sind. Dennoch trage
die derzeitige Bundesregierung eine Mitschuld, dass die internationale
Finanzmarktregulierung nur schleppend in Gang kommt. "Kanzlerin Merkel
ist erkennbar bemüht, die Standortinteressen der deutschen
Kreditinstitute zu verteidigen", heißt es in der Begründung. So habe
etwa der Zeuge Sven Giegold als Mitglied des Europaparlaments
glaubhaft belegen können, dass Deutschland eine stärkere
Bankenaufsicht auf europäischer Ebene verhindert und eine bessere
Regulierung von Hedge-Fonds blockiert hat. 

Das Gericht folgte auch der Darstellung des Zeugen Harald Schumann,
dass bei der Rettung der Hypo Real Estate unnötig Steuergeld
verschwendet wurden, weil das Bundesfinanzministerium trotz bekannter
Liquiditätsengpässen keinerlei Notfallplan aufgestellt hatte.

Zudem sei es falsch gewesen, die Fusion von Commerzbank und Dresdner
Bank zuzulassen und mit Steuermitteln zu finanzieren. "Die Aufgabe der
Bundesregierung wäre es gewesen, kleinere Banken zu schaffen, statt
gigantische Zusammenschlüsse zu organisieren", stellten die Richter
fest. 

Nicht der Anklage folgten die Richter hingegen in ihren
Schlussfolgerungen aus der Beweisaufnahme zum Thema Griechenland.
Bisher lägen keine belastbaren Beweise vor, inwieweit die Banken – und
insbesondere die Deutsche Bank – von dem drohenden Staatsbankrott
profitieren, auch wenn die Vernehmung des Zeugen Harald Schumann
Hinweise erbracht habe, dass die Fehler bei der HRE-Rettung
wiederholen und die Gläubiger erneut geschont werden könnten. 

Als Gänzlich unvereinbar mit demokratischen Grundsätzen bezeichnete
die Jury, dass selbst von Regierungsseite manche Finanzakteure als
"too big to fail" angesehen werden. Dies konstatiere einen
unerträglichen Zustand staatlicher Ohnmacht, der mit dem
Demokratieprinzip unvereinbar sei. "Daraus folgt der zwingende Beweis
für die Notwendigkeit der Zerschlagung solcher Institute", heißt es in
der Urteilsbegründung.

Mehr als 800 Menschen aus ganz Deutschland hatten am Samstag in der
ausverkauften Berliner Volksbühne die Verhandlung verfolgt, die sich
über den ganzen Tag – von 9 bis 22 Uhr – erstreckte. Zahlreiche
Attac-Ortsgruppen nutzten zudem den Livestream im Internet für
öffentliche Public Viewings. Die Auseinandersetzung zwischen Anklage,
Verteidigung und Zeugen glich zeitweise einem regelrechten
Gerichtskrimi. Dabei nahm das Publikum lebhaften Anteil an der
Verhandlung – immer wieder gab es Buhrufe, Zwischenrufe und Beifall
bis hin zu Standing Ovations. Vor allem die wechselseitige Befragung
der Zeugen Harald Schumann, Sven Giegold und Lucas Zeise förderte für
Anklage und Verteidigung neue und überraschende Erkenntnisse zutage. 

Zu den Angeklagten des Tribunals gehörten die aktuelle
Bundesregierung und ihre zwei Vorgängerinnen, vertreten durch Gerhard
Schröder, Angela Merkel und Peer Steinbrück; die Deutsche Bank und der
Bundesverband deutscher Banken, beide vertreten durch Josef Ackermann;
sowie Hans Tietmeyer, ehemaliger Aufsichtsrat von Depfa und HRE,
Chef-Kurator der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und früherer
Bundesbankpräsident. Ihnen warf die Anklage "Aushöhlung der Demokratie
und Vorbereitung der Krise", "Zerstörung der ökonomischen
Lebensgrundlagen in Nord und Süd" sowie "Verschärfung der Krise" vor. 

"Mit dem Tribunal ist uns ein wichtiges Stück politischer Aufklärung
gelungen, von dem ein starkes politisches Signal ausgeht", sagte Jutta
Sundermann vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. Durch die Form
des Tribunals sei es gelungen, viele Menschen zu erreichen, die sich
in dieser Tiefe noch nicht mit der Finanzkrise beschäftigt hatten. Als
Mitwirkende habe Attac Menschen mit enormem Fachwissen
zusammengebracht, die sich für das Tribunal erstmals in eine intensive
intellektuelle Auseinandersetzung über die Ursachen und Konsequenzen
der Finanzkrise miteinander begeben haben. "Deshalb verstehen wir das
Urteil als Startpunkt für eine dauerhafte kritische und kompetente
Einmischung der Zivilgesellschaft für einen Bankensektor, der dem
Allgemeinwohl dient."


Das Urteil im Wortlaut:
http://www.attac.de/aktuell/krisen/bankentribunal/urteil/ 


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Die Mitwirkenden: 

Das Richteramt beim Bankentribunal von Attac übernahmen der
Wirtschaftswissenschaftler Karl Georg Zinn, die
Terres-des-Hommes-Geschäftsführerin Danuta Sacher, der Sozialethiker
Friedhelm Hengsbach, die Taz-Wirtschaftskorrespondentin Ulrike
Herrmann sowie der bekannte Darmstädter Sozialrichter Jürgen Borchert.

Auch als Ankläger, Verteidiger und Zeugen hatten die
Globalisierungskritiker kompetente und prominente Persönlichkeiten
gewonnen, darunter den ehemaligen Vorsitzenden der IG-Medien, Detlef
Hensche; den ehemaligen Chefredakteur von Spiegel und Managermagazin
Wolfgang Kaden; der langjährigen Leiter des Wirtschaftsressorts der
Frankfurter Rundschau, Robert von Heusinger; Heidi Klein von
Lobbycontrol; die kenianische Menschenrechtsaktivistin Wangui Mbatia;
den Leiter des Institutes für Sozialökologische Wirtschaftsforschung
Conrad Schuhler; den Tagesspiegel-Journalisten Harald Schumann; die
Attac-Mitgründer Peter Wahl und Sven Giegold sowie die
Politikwissenschaftler Elmar Altvater und Peter Grottian. 

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Für Rückfragen:

* Jutta Sundermann, Attac-Koordinierungskreis, Tel. 0175 – 8666 769
* Fabian Scheidler, Tribunal-Vorbereitung, Tel. 0151 – 2173 9858




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Frauke Distelrath
Pressesprecherin Attac Deutschland
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Post: Münchener Str. 48, 60329 Frankfurt/M
Tel.: 069/900 281-42; 0179/514 60 79
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