[imc-presse] [attac-d-presse] Hungerkrise zeigt hässliche Fratze globalisierter Landwirtschaft

Frauke Distelrath presse at attac.de
Thu Apr 17 10:24:19 CEST 2008


Pressemitteilung
Attac Deutschland
Frankfurt, 17. April 2008


* Hungerkrise zeigt die hässliche Fratze globalisierter Landwirtschaft
* Attac: Ursachen beheben, statt Symptome zu kurieren

Anlässlich des globalen bäuerlichen Aktionstags heute hat das
globalisierungskritische Netzwerk Attac die aktuelle Lebensmittelkrise
als hässliche Fratze der Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte
bezeichnet. "Jetzt zeigt sich das wahre Gesicht einer Landwirtschafts-
und Ernährungspolitik, die nur den Weltmarkt kennt", sagte Pia
Eberhardt vom Attac-Agrarnetz.

Die Jahrzehnte währende Liberalisierungs-, Privatisierungs- und
Investitionspolitik von WTO und Weltbank, der Europäischen Union und
anderer mächtiger Akteure habe zu einer systematischen Vernichtung der
bäuerlichen Landwirtschaft geführt. Immer mehr Länder des Südens
können ihren Lebensmittelbedarf nicht mehr decken. Derzeit drängt die
EU afrikanische und asiatische Staaten, weit reichende
Freihandelsabkommen (Economic Partnership Agreements, EPAs) mit Europa
abzuschließen, um ihre Agrarmärkte für europäische Unternehmen zu
erobern. Gleichzeitig halten EU und Bundesregierung an ihrer
zerstörerischen Politik der Exportsubventionierung fest. "In der
aktuellen Debatte wird die Lebensmittelkrise aber fast ausschließlich
auf den Klimawandel, Agrotreibstoffe und veränderte Konsumgewohnheiten
zurückgeführt", kritisierte Pia Eberhardt. Die diskutierten
Lösungsansätze griffen ebenso zu kurz: "Ein Stopp des
Agrotreibstoff-Wahnsinns ist wichtig. Die Welternährungskrise wird das
aber nicht beenden. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel."

Der am Dienstag veröffentlichte Bericht des Weltagrarrates geht Attac
zufolge in die richtige Richtung. In diesem macht das von der Weltbank
und den Vereinten Nationen berufene Expertengremium die falsche Agrar-
und Entwicklungspolitik der Wohlstandsstaaten für die Krise
verantwortlich und spricht sich für Anbaumethoden aus, die den
jeweiligen ökologischen und sozialen Bedingungen angepasst sind. "Aber
dieser Erkenntnis müssen jetzt auch endlich Taten folgen", forderte
Alexis Passadakis vom Attac-Koordinierungskreis. Dass das deutsche
Entwicklungsministerium die Mitarbeit an dem Gremium als überflüssig
ansehe, sei charakteristisch für die Haltung der Bundesregierung.

Seine Kritik an der bestehenden Agrarpolitik teilt Attac mit La Via
Campesina, dem weltweit größten Zusammenschluss von in der
Landwirtschaft tätigen Menschen. Seit Jahren ruft der Verband am 17.
April weltweit zu Widerstand gegen Unterdrückung der ländlichen
Bevölkerung auf. Auch die Forderung nach Ernährungssouveränität teilt
Attac mit Via Campesina. Dazu Alexis Passadakis: "Ausrichtung auf
regionale Märkte statt Weltmarktfetischismus, gemeinschaftliche
Kontrolle der Landwirtschaft statt Monopole für Monsanto, Nestlé und
Co. sowie Unterstützung der Landwirtschaft statt Liberalisierung um
jeden Preis - nur das kann die ausreichende Produktion von qualitativ
hochwertigen Lebensmitteln langfristig garantieren."


Informationen im Internet:
www.attac.de/agrarnetz
www.viacampesina.org


Für Rückfragen:
* Pia Eberhardt, Attac-Agrarnetz, Tel. 0151 - 5925 3046
* Alexis Passadakis, Attac-Koordinierungskreis, Tel. 0170 - 268 4445


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HINTERGRUNDINFORMATIONEN:

* 17. April
Am 17. April 1996 wurden in der Stadt Eldorado do Carajas im Norden
Brasiliens 19 Aktivisten der Landlosenbewegung MST (Movimento dos
Trabalhadores Rurais Sem Terra) brutal niedergemetzelt. Mitglieder von
Via Campesina, die sich gerade für eine Konferenz in Mexiko
versammelten, antworteten mit einem Marsch auf die brasilianische
Botschaft und riefen den 17. April zum internationalen Tag des
Widerstands und der Aktion gegen alle Formen von Unterdrückung der
ländlichen Bevölkerung aus.

* Via Campesina
Weltweit organisiert sich die ländliche Bevölkerung, um ihre
Interessen gegen Großgrundbesitzer, Konzerne, Regierungen und
internationale Institutionen zu verteidigen und durchzusetzen. Immer
wieder leisten Menschen vielfältigen Widerstand: Sie besetzen Land,
kämpfen gegen die Privatisierung der Wasserversorgung, brennen
Genfelder ab, gründen Kooperativen oder bauen eigene Saatgutbanken
auf. Eine treibende Kraft in diesem Prozess der bäuerlichen
Selbstorganisation ist Via Campesina.
Via Campesina ist der weltweit größte Zusammenschluss von Kleinbauern
und Kleinbäuerinnen, Landarbeitern, Landlosen, Landfrauen und
indigenen Gemeinschaften. Seit der offiziellen Gründung im Jahr 1993
haben sich Hunderte von Organisationen der Bewegung angeschlossen. Sie
umfasst etwa 200 Millionen Menschen - von den Reisbauern und
-bäuerinnen der Indonesian Peasants' Union (FSPI) und den
AktivistInnen der Unão Nacional de Camponeses (UNAC) in Mosambik über
die europäischen LandwirtInnen der Coordination Paysanne Européenne
(CPE) bis zu den LandarbeiterInnen in der Association of Caribbean
Farmers' Organisations (WINFA). In Deutschland ist die
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) Mitglied.
Diese Organisationen teilen die Einschätzung, dass der zentrale
Konflikt in der globalen Landwirtschaft kein Nord-Süd-Problem, sondern
ein Konflikt zwischen zwei Produktionsmodellen ist: dem einer
industrialisierten, exportorientierten und globalisierten
Landwirtschaft im Dienste der Profitmaximierung auf der einen und dem
Modell einer bäuerlichen, ökologischen Landwirtschaft auf der anderen
Seite. Im Kampf für das bäuerliche Modell setzt Via Campesina auf die
basisdemokratische Organisierung und Mobilisierung der ländlichen
Bevölkerung, auf Weiterbildung und ständige Diskussionsprozesse. Die
Aktionen von Via Campesina setzten dabei auf allen Ebenen an - von der
lokalen bis zur globalen. Bei Protesten gegen die
Welthandelsorganisation WTO oder auf dem Weltsozialforum sind ihre
grünen Kappen und Halstücher der visuelle Ausdruck eines starken
transnationalen Aktivismus.

* Ernährungssouveränität
Das Konzept wurde seit den 90er Jahren maßgeblich von Vía Campesina
geprägt. Gemeinsam mit Via Campesina wendet sich Attac gegen die
gegenwärtige exportorientierte, industrielle Landwirtschaft, die auf
die Profitinteressen transnationaler Konzerne ausgerichtet ist, und
setzt sich ein für eine Landwirtschaft, die sich an den Bedürfnissen
der Menschen orientiert, die Lebensmittel benötigen, erzeugen und
verteilen. Ihre Rechte sind die Grundlage von Ernährungssouveränität:

·       das Recht auf Nahrung - jeder Mensch muss einen stabilen
        Zugang zu gesunden, nahrhaften, kulturell angemessenen
        Nahrungsmitteln in ausreichender Menge haben, die es ihm
        ermöglichen, ein Leben in Würde zu führen. Das schließt das
        Recht ein, selbst über die eigene Ernährung entscheiden zu
        können.
        
·       das Recht zu produzieren - jeder Mensch ebenso wie jede
        Gemeinschaft muss die Möglichkeit haben, Nahrungsmittel selbst
        herzustellen. Voraussetzung hierfür ist der Zugang zu und die
        Kontrolle von Produktionsmitteln wie Land, Wasser oder
        Saatgut.
        
·       das Recht auf eine selbst bestimmte Landwirtschafts- und
        Ernährungspolitik - jede Gemeinschaft muss ihre Landwirtschaft
        und ihre Ernährung den eigenen wirtschaftlichen, sozialen,
        kulturellen und ökologischen Umständen entsprechend gestalten
        können, allerdings ohne eine Schädigung anderer. Das
        beinhaltet das Recht, landwirtschaftliche Produktion zu
        schützen und zu regulieren.

Ernährungssouveränität gründet also auf einem umfassenden Verständnis
von Selbstbestimmtheit. Daneben umfasst Ernährungssouveränität die
folgenden Prinzipien:

·       Vorrang des regionalen Marktes und der Versorgung der
        heimischen Bevölkerung: Produktion, Verarbeitung und
        Vermarktung von Nahrungsmitteln sollen primär auf lokale und
        regionale Märkte sowie die Versorgung der heimischen
        Bevölkerung ausgerichtet sein. Das heißt nicht, dass es keinen
        Handel geben darf, allerdings sollen quer über den Globus
        verschiffte Produkte das Nahrungsmittelangebot höchstens
        ergänzen, nicht ersetzen.
        
·       sozial- und umweltverträgliche Landwirtschaft: Die Erzeugung
        von Nahrungsmitteln soll möglichst vielen Menschen eine
        Lebensgrundlage bieten und natürliche Ressourcen nachhaltig
        nutzen.
        
·       gerechte Preise und Löhne sowie faire Arbeitsbedingungen:
        Preise, die Landwirtinnen und Landwirte für ihre Produkte
        erzielen, sowie die Löhne und Arbeitsbedingungen derjenigen,
        die in der Produktion, Verarbeitung und Vermarktung von
        Agrarprodukten beschäftigt sind, müssen ihnen ein Leben in
        Würde ermöglichen.
        
·       Demokratisierung der Agrar- und Ernährungspolitik:
        Entscheidungsverfahren und Institutionen der Landwirtschafts-
        und Ernährungspolitik sollen ebenso basisdemokratisch
        organisiert sein wie die Orte der Erzeugung, Verteilung und
        des Konsums von Lebensmitteln.
        
·       Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, Nord und Süd sowie
        ethnischen Gruppen: Es gilt, patriarchale, rassistische,
        koloniale sowie sonstige Ausbeutungs- und
        Unterdrückungsverhältnisse in Landwirtschaft und Ernährung zu
        überwinden.




-- 
Viele Grüße

Frauke Distelrath

> Liebe Frauke,

> nochmal ich. Vielleicht wäre es gut, in der Pm noch einen HInweis  
> darauf unterzubringen. Im Sinne von "das geht in die richtige  
> Richtung", jetzt müssen Taten folgen...

> Bis später,
> Pia


> Anfang der weitergeleiteten E-Mail:

>> Von: "Maier, Juergen" <chef at forumue.de>
>> Datum: 16. April 2008 07:55:07 MESZ
>> An: <forum-ag-le-intern at listi.jpberlin.de>
>> Betreff: [Forum-ag-le-intern] WG: Experten: Die Welt kann ihre  
>> Menschen nicht mehr ernähren - TSP
>>
>>
>> Betreff: Experten: Die Welt kann ihre Menschen nicht mehr ernähren  
>> - TSP
>>
>>
>>       Experten: Die Welt kann ihre Menschen nicht mehr ernähren  
>> Mehr als
>>       60 Länder fordern radikale Agrarreformen - weil die jetzige
>>       Politik zu Hungerkrisen führt
>>
>>
>> 16.4.2008 0:00 Uhr
>> Von Harald Schumann
>> <http://www.tagesspiegel.de/suche/?fs%5Barchivsuche% 
>> 5D=archivsuche&fs%5Bnum%5D=10&fs%5Bqall%5D=%22Von%20Harald% 
>> 20Schumann%22>
>>
>> 16.4.2008 0:00 Uhr
>>
>>
>>
>>
>> Berlin - Der explosive Anstieg der Nahrungsmittelpreise und die  
>> Hungerrevolten in vielen Armutsländern sind auch durch die falsche
>> Agrar- und Entwicklungspolitik der Wohlstandsstaaten verursacht  
>> worden.
>> Zu diesem Schluss kommen die rund 400 Experten des von der Weltbank  
>> und den Vereinten Nationen berufenenen Weltagrarrates, dessen von  
>> 64 Staaten unterzeichneter Abschlussbericht am Dienstag  
>> veröffentlicht wurde. Der Weltagrarrat ist ein UN-Projekt ähnlich  
>> dem Weltklimarat.
>>
>> Nach Meinung der Fachleute sind die industriellen Anbaumethoden  
>> wegen ihres hohen Verbrauchs von Energie und Wasser für die  
>> Entwicklungsländer und deren überwiegend kleinbäuerliche  
>> Landwirtschaft nicht geeignet. Die Verbreitung dieser Technik habe  
>> zwar die Erträge gesteigert, aber die Vorteile seien "ungleich  
>> verteilt" und "einfache Bauern, Arbeiter, ländliche Gemeinden und  
>> die Umwelt müssen den Preis bezahlen", heißt es in dem Bericht des  
>> Gremiums. Nötig sei daher eine radikale Neuorientierung der  
>> Agrarforschung und der Förderpolitik in den Entwicklungsländern auf  
>> Anbaumethoden, die den ökologischen und sozialen Bedingungen  
>> angepasst seien.
>>
>> Die "Internationale Bewertung von Agrarwissenschaften und  
>> Technologie für Entwicklung", wie der offizielle Titel des Projekts  
>> lautet, soll ähnlich dem Vorgehen beim UN-Klimarat einen weltweiten  
>> Konsens darüber formen, wie Agrarforschung und -politik nachhaltig  
>> gestaltet werden können. Weil aber die meisten beteiligten  
>> Wissenschaftler den Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen  
>> kritisch beurteilten, stellte die Industrie aus Protest die  
>> Mitarbeit ein. Aus dem gleichen Grund verweigerten auch die  
>> Regierungen der USA, Kanadas, Australiens und Chinas ihre Zustimmung.
>>
>> Hart ins Gericht gehen die Wissenschaftler auch mit der Öffnung des  
>> Agrarhandels in den Armutsländern für Importe aus Europa und USA.  
>> Dies untergrabe die Fähigkeit, sich selbst zu ernähren. "Die  
>> Ärmsten", seien "die Verlierer", sagte Robert Watson, der Direktor  
>> des Projekts.
>> "Business as usual ist keine Option mehr", betonte Watson. Mit der  
>> bisherigen Agrarpolitik könne "die Weltbevölkerung nicht mehr  
>> ernährt werden."
>>
>> Derzeit versuchen die Regierungen der Wohlstandsstaaten die  
>> aktuelle Hungerkrise in einigen Ländern durch verstärkte  
>> Hilfsmaßnahmen zu lindern. Die US-Regierung stellt 200 Millionen  
>> Dollar (126 Millionen
>> Euro) an Soforthilfe für Lebensmittel in Ländern der Dritten Welt  
>> zur Verfügung. Die Hilfsgelder sollen vor allem sicherstellen, dass  
>> die gestiegenen Lebensmittelpreise in Afrika und anderen armen  
>> Ländern aufgefangen werden können, sagte die Sprecherin des Weißen  
>> Hauses, Dana Perino, am Montag in Washington. Auch  
>> Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) kündigte  
>> eine Erhöhung der Mittel für das Welternährungsprogramm an. Die  
>> Regierungen in Washington und Berlin folgen damit dem Appell des  
>> Weltbank-Präsidenten Robert Zoellick, der die Industrieländer  
>> aufgefordert hatte, sofort 500 Millionen Dollar für Hilfsprogramme  
>> des Welternährungsprogramms bereitzustellen.
>>
>>
>> /(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 16.04.2008)/
>>
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