[imc-presse] [attac-d-presse] KORRIGIERTE FASSUNG Hungerkrise zeigt hässliche Fratze globalisierter Landwirtschaft

Frauke Distelrath presse at attac.de
Thu Apr 17 10:28:28 CEST 2008


KORRIGIERTE FASSUNG
BITTE DIE VORGEHENDE MAIL IGNORIEREN


Pressemitteilung
Attac Deutschland
Frankfurt, 17. April 2008


* Hungerkrise zeigt die hässliche Fratze globalisierter Landwirtschaft
* Attac: Ursachen beheben, statt Symptome zu kurieren

Anlässlich des globalen bäuerlichen Aktionstags heute hat das
globalisierungskritische Netzwerk Attac die aktuelle Lebensmittelkrise
als hässliche Fratze der Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte
bezeichnet. "Jetzt zeigt sich das wahre Gesicht einer Landwirtschafts-
und Ernährungspolitik, die nur den Weltmarkt kennt", sagte Pia
Eberhardt vom Attac-Agrarnetz.

Die Jahrzehnte währende Liberalisierungs-, Privatisierungs- und
Investitionspolitik von WTO und Weltbank, der Europäischen Union und
anderer mächtiger Akteure habe zu einer systematischen Vernichtung der
bäuerlichen Landwirtschaft geführt. Immer mehr Länder des Südens
können ihren Lebensmittelbedarf nicht mehr decken. Derzeit drängt die
EU afrikanische und asiatische Staaten, weit reichende
Freihandelsabkommen (Economic Partnership Agreements, EPAs) mit Europa
abzuschließen, um ihre Agrarmärkte für europäische Unternehmen zu
erobern. Gleichzeitig halten EU und Bundesregierung an ihrer
zerstörerischen Politik der Exportsubventionierung fest. "In der
aktuellen Debatte wird die Lebensmittelkrise aber fast ausschließlich
auf den Klimawandel, Agrotreibstoffe und veränderte Konsumgewohnheiten
zurückgeführt", kritisierte Pia Eberhardt. Die diskutierten
Lösungsansätze griffen ebenso zu kurz: "Ein Stopp des
Agrotreibstoff-Wahnsinns ist wichtig. Die Welternährungskrise wird das
aber nicht beenden. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel."

Der am Dienstag veröffentlichte Bericht des Weltagrarrates geht Attac
zufolge in die richtige Richtung. In diesem macht das von der Weltbank
und den Vereinten Nationen berufene Expertengremium die falsche Agrar-
und Entwicklungspolitik der Wohlstandsstaaten für die Krise
verantwortlich und spricht sich für Anbaumethoden aus, die den
jeweiligen ökologischen und sozialen Bedingungen angepasst sind. "Aber
dieser Erkenntnis müssen jetzt auch endlich Taten folgen", forderte
Alexis Passadakis vom Attac-Koordinierungskreis. Dass das deutsche
Entwicklungsministerium die Mitarbeit an dem Gremium als überflüssig
ansehe, sei charakteristisch für die Haltung der Bundesregierung.

Seine Kritik an der bestehenden Agrarpolitik teilt Attac mit La Via
Campesina, dem weltweit größten Zusammenschluss von in der
Landwirtschaft tätigen Menschen. Seit Jahren ruft der Verband am 17.
April weltweit zu Widerstand gegen Unterdrückung der ländlichen
Bevölkerung auf. Auch die Forderung nach Ernährungssouveränität teilt
Attac mit Via Campesina. Dazu Alexis Passadakis: "Ausrichtung auf
regionale Märkte statt Weltmarktfetischismus, gemeinschaftliche
Kontrolle der Landwirtschaft statt Monopole für Monsanto, Nestlé und
Co. sowie Unterstützung der Landwirtschaft statt Liberalisierung um
jeden Preis - nur das kann die ausreichende Produktion von qualitativ
hochwertigen Lebensmitteln langfristig garantieren."


Informationen im Internet:
www.attac.de/agrarnetz
www.viacampesina.org


Für Rückfragen:
* Pia Eberhardt, Attac-Agrarnetz, Tel. 0151 - 5925 3046
* Alexis Passadakis, Attac-Koordinierungskreis, Tel. 0170 - 268 4445


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HINTERGRUNDINFORMATIONEN:

* 17. April
Am 17. April 1996 wurden in der Stadt Eldorado do Carajas im Norden
Brasiliens 19 Aktivisten der Landlosenbewegung MST (Movimento dos
Trabalhadores Rurais Sem Terra) brutal niedergemetzelt. Mitglieder von
Via Campesina, die sich gerade für eine Konferenz in Mexiko
versammelten, antworteten mit einem Marsch auf die brasilianische
Botschaft und riefen den 17. April zum internationalen Tag des
Widerstands und der Aktion gegen alle Formen von Unterdrückung der
ländlichen Bevölkerung aus.

* Via Campesina
Weltweit organisiert sich die ländliche Bevölkerung, um ihre
Interessen gegen Großgrundbesitzer, Konzerne, Regierungen und
internationale Institutionen zu verteidigen und durchzusetzen. Immer
wieder leisten Menschen vielfältigen Widerstand: Sie besetzen Land,
kämpfen gegen die Privatisierung der Wasserversorgung, brennen
Genfelder ab, gründen Kooperativen oder bauen eigene Saatgutbanken
auf. Eine treibende Kraft in diesem Prozess der bäuerlichen
Selbstorganisation ist Via Campesina.
Via Campesina ist der weltweit größte Zusammenschluss von Kleinbauern
und Kleinbäuerinnen, Landarbeitern, Landlosen, Landfrauen und
indigenen Gemeinschaften. Seit der offiziellen Gründung im Jahr 1993
haben sich Hunderte von Organisationen der Bewegung angeschlossen. Sie
umfasst etwa 200 Millionen Menschen - von den Reisbauern und
-bäuerinnen der Indonesian Peasants' Union (FSPI) und den
AktivistInnen der Unão Nacional de Camponeses (UNAC) in Mosambik über
die europäischen LandwirtInnen der Coordination Paysanne Européenne
(CPE) bis zu den LandarbeiterInnen in der Association of Caribbean
Farmers' Organisations (WINFA). In Deutschland ist die
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) Mitglied.
Diese Organisationen teilen die Einschätzung, dass der zentrale
Konflikt in der globalen Landwirtschaft kein Nord-Süd-Problem, sondern
ein Konflikt zwischen zwei Produktionsmodellen ist: dem einer
industrialisierten, exportorientierten und globalisierten
Landwirtschaft im Dienste der Profitmaximierung auf der einen und dem
Modell einer bäuerlichen, ökologischen Landwirtschaft auf der anderen
Seite. Im Kampf für das bäuerliche Modell setzt Via Campesina auf die
basisdemokratische Organisierung und Mobilisierung der ländlichen
Bevölkerung, auf Weiterbildung und ständige Diskussionsprozesse. Die
Aktionen von Via Campesina setzten dabei auf allen Ebenen an - von der
lokalen bis zur globalen. Bei Protesten gegen die
Welthandelsorganisation WTO oder auf dem Weltsozialforum sind ihre
grünen Kappen und Halstücher der visuelle Ausdruck eines starken
transnationalen Aktivismus.

* Ernährungssouveränität
Das Konzept wurde seit den 90er Jahren maßgeblich von Vía Campesina
geprägt. Gemeinsam mit Via Campesina wendet sich Attac gegen die
gegenwärtige exportorientierte, industrielle Landwirtschaft, die auf
die Profitinteressen transnationaler Konzerne ausgerichtet ist, und
setzt sich ein für eine Landwirtschaft, die sich an den Bedürfnissen
der Menschen orientiert, die Lebensmittel benötigen, erzeugen und
verteilen. Ihre Rechte sind die Grundlage von Ernährungssouveränität:

·       das Recht auf Nahrung - jeder Mensch muss einen stabilen
        Zugang zu gesunden, nahrhaften, kulturell angemessenen
        Nahrungsmitteln in ausreichender Menge haben, die es ihm
        ermöglichen, ein Leben in Würde zu führen. Das schließt das
        Recht ein, selbst über die eigene Ernährung entscheiden zu
        können.
        
·       das Recht zu produzieren - jeder Mensch ebenso wie jede
        Gemeinschaft muss die Möglichkeit haben, Nahrungsmittel selbst
        herzustellen. Voraussetzung hierfür ist der Zugang zu und die
        Kontrolle von Produktionsmitteln wie Land, Wasser oder
        Saatgut.
        
·       das Recht auf eine selbst bestimmte Landwirtschafts- und
        Ernährungspolitik - jede Gemeinschaft muss ihre Landwirtschaft
        und ihre Ernährung den eigenen wirtschaftlichen, sozialen,
        kulturellen und ökologischen Umständen entsprechend gestalten
        können, allerdings ohne eine Schädigung anderer. Das
        beinhaltet das Recht, landwirtschaftliche Produktion zu
        schützen und zu regulieren.

Ernährungssouveränität gründet also auf einem umfassenden Verständnis
von Selbstbestimmtheit. Daneben umfasst Ernährungssouveränität die
folgenden Prinzipien:

·       Vorrang des regionalen Marktes und der Versorgung der
        heimischen Bevölkerung: Produktion, Verarbeitung und
        Vermarktung von Nahrungsmitteln sollen primär auf lokale und
        regionale Märkte sowie die Versorgung der heimischen
        Bevölkerung ausgerichtet sein. Das heißt nicht, dass es keinen
        Handel geben darf, allerdings sollen quer über den Globus
        verschiffte Produkte das Nahrungsmittelangebot höchstens
        ergänzen, nicht ersetzen.
        
·       sozial- und umweltverträgliche Landwirtschaft: Die Erzeugung
        von Nahrungsmitteln soll möglichst vielen Menschen eine
        Lebensgrundlage bieten und natürliche Ressourcen nachhaltig
        nutzen.
        
·       gerechte Preise und Löhne sowie faire Arbeitsbedingungen:
        Preise, die Landwirtinnen und Landwirte für ihre Produkte
        erzielen, sowie die Löhne und Arbeitsbedingungen derjenigen,
        die in der Produktion, Verarbeitung und Vermarktung von
        Agrarprodukten beschäftigt sind, müssen ihnen ein Leben in
        Würde ermöglichen.
        
·       Demokratisierung der Agrar- und Ernährungspolitik:
        Entscheidungsverfahren und Institutionen der Landwirtschafts-
        und Ernährungspolitik sollen ebenso basisdemokratisch
        organisiert sein wie die Orte der Erzeugung, Verteilung und
        des Konsums von Lebensmitteln.
        
·       Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, Nord und Süd sowie
        ethnischen Gruppen: Es gilt, patriarchale, rassistische,
        koloniale sowie sonstige Ausbeutungs- und
        Unterdrückungsverhältnisse in Landwirtschaft und Ernährung zu
        überwinden.


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Frauke Distelrath
Pressesprecherin Attac Deutschland
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Tel.: 069/900 281-42; 0179/514 60 79
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