[Pressemitteilung] NATO-Gipfel: Polizei fingiert Ausreisesperren

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Do Apr 2 12:01:13 CEST 2009


[Gipfelsoli]

Pressemitteilung 2.4.2009 | 11:30 Uhr

* NATO-Gipfel: Polizei fingiert Ausreisesperren
* Interne Anweisung öffentlich geworden
* Begründungen werden abgeschrieben

Verschiedene Direktionen der Bundespolizei hatten gestern Dutzende Ausreisesperren
verhängt. Kritierien für Anhalten und stundenlanges Durchsuchen waren Aussehen und
Kleidung der Betroffenen.

Am Abend wurde eine interne Arbeitsanweisung für alle Bundespolizei-Dienststellen
öffentlich und liegt auch dem Anwaltsnotdienst vor.
In dem Papier werden den beteiligten BeamtInnen "Textbausteine zur individuellen
Sachverhaltsdarstellung" angewiesen.

Die "Textbausteine" wurden in zahlreichen Fällen wortgleich zur Verweigerung der
Ausreise herangezogen. Das hat die Prüfung von rund 20 Bescheiden, die gestern
tagsüber erlassen wurden, ergeben.

Fünf Frauen wurde, wie in den "Textbausteinen" angeregt, unterstellt, "als Mitglied
einer Gruppe gegenüber eingesetzten Beamten provozierend und unkooperativ"
aufgetreten zu sein (die Betroffenen hatten auf eine Rechtshilfebelehrung bestanden
und gegen die schikanöse Behandlung protestiert). "Dies äußerte sich durch verbale
als auch nonverbale Kommunikation", führt der abgeschriebene Bescheid weiter aus.
Schwarze Kleidung wird als "szenetypisch" ausgelegt, mitgeführte Schals als
"Vermummungsgegenstände" ausgelegt. "Nach polizeilicher Lagebewertung sind sie der
gewaltbereiten Szene zuzuordnen".

Tatsächlich wird die endgültige Entscheidung über eine Ausreisesperre nicht von der
jeweiligen Direktion getroffen, sondern "ferngesteuert" aus der Führungszentrale "BAO
Kavala" in Freiburg.

Zur "Lagebeurteilung" benutzt die Polizei unter anderem die Datenbank "Inpol-neu".
Dort sind Haftdaten, Strafanzeigen, erkennungsdienstliche Behandlungen oder so
genannte "Leibesbeschreibungen" gespeichert. Daten einstellen können BKA, LKAs und
Geheimdienste.

Jedoch hat es gegen die meisten Betroffenen in der Vergangenheit weder
Ermittlungsverfahren oder Verurteilungen gegeben, noch wurden sie zuvor in Gewahrsam
genommen. Die Polizei nutzt also andere Datenbanken zur "Gefahrenprognose".

Ein anderer Betroffener hatte das BKA vor wenigen Monaten erfolgreich auf die
Löschung aller seiner Daten in "Inpol-neu" beklagt. Dennoch wurde gegen ihn gestern
in Kehl ein Ausreiseverbot ausgesprochen.

Auf Nachfrage wurde erklärt, dass für die Begründung "mit Berlin telefoniert" wurde.

Ihm wurde zudem nicht sein "unkooperatives Verhalten" negativ ausgelegt, sondern im
Gegenteil seine "Kooperationsbereitschaft als Verschleierung geplanter gewalttätiger
Handlungen" behauptet.

Kontakt zu Betroffenen können wir vermitteln.

Matthias Monroy, Hanne Jobst


Hintergrund:

* Textbausteine der BPOL zur "individuellen Sachverhaltsdarstellung"
http://gipfelsoli.org/rcms_repos/images/71/textbausteine_bpol.png
* Bilanz des Legal Teams vom 2. April: http://www.gipfelsoli.org/Repression/6619.html

Pressekontakte:

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