[imc-presse] Gem. PM_Geplantes, neues Abschiebegesetz schränkt Grundrechte von Betroffenen weiter massiv ein
RAV e.V.
gs at rav.de
Tue Nov 7 09:02:54 CET 2023
Sehr geehrte Damen und Herren,
anbei und folgend eine gemeinsame Presseinformation inkl.
Hintergrundinformationen von RAV, Komitee für Grundrechte und Demokratie
e.V. und dem Abschiebungsreporting NRW zu den aktuell diskutierten
Regelungen im Zusammenhang mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz.
Die Presseinformation findet sich auch auf der Homepage des RAV
<https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/geplantes-neues-abschiebegesetz-schraenkt-grundrechte-von-betroffenen-weiter-massiv-ein-985>.
Wir bitten um Beachtung in und Verbreitung mit Ihren Medien.
*Kontakte:*
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.
Julia Schulze Buxloh
Telefon: +49 (0)30 41 72 35 55
E-Mail: kontakt at rav.de
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Britta Rabe
Telefon: 0221 / 972 69 -20 und -30
E-Mail: brittarabe at grundrechtekomitee.de, info at grundrechtekomitee.de
Abschiebungsreporting NRW
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Köln
Sebastian Rose
Telefon 0221 / 972 69 32
Mobil 01575 / 40 35 862
E-Mail: rose at abschiebungsreporting.de
Mit freundlichen Grüßen
Sigrid v. Klinggräff
RAV-Geschäftsstelle
*************
*7.11.23
*
*Geplantes, neues Abschiebegesetz schränkt Grundrechte von Betroffenen
weiter massiv ein*
*Gemeinsame Presseinformation des Republikanischen Anwältinnen- und
Anwälteverein e.V., des Komitees für Grundrechte und Demokratie e.V. und
des Abschiebungsreporting NRW, 7.11.2023*
Am 25.10.20023 hat das Bundeskabinett den Regierungsentwurf zum
sogenannten „
<https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/Downloads/kabinettsfassung/MII1/ge-verbesserung-rueckfuehrung.pdf?__blob=publicationFile&v=2>Rückführungsverbesserungsgesetz
<https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/Downloads/kabinettsfassung/MII1/ge-verbesserung-rueckfuehrung.pdf?__blob=publicationFile&v=2>“
<https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/Downloads/kabinettsfassung/MII1/ge-verbesserung-rueckfuehrung.pdf?__blob=publicationFile&v=2>
verabschiedet und an Bundestag und Bundesrat übermittelt.[1]
Der /Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein e.V./, das /Komitee
für Grundrechte und Demokratie e.V./ sowie das dem Grundrechtekomitee
angegliederte Projekt /Abschiebungsreporting NRW/ kritisieren vor allem
die weitreichenden Eingriffe in Grundrechte, namentlich in das Recht auf
Freiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Recht auf Privatsphäre
sowie den Grundsatz, sich nicht selbst belasten zu müssen sowie das
Gesetzgebungsverfahren selbst scharf. Der 72-seitige
Referent:innenentwurf wurde den Verbänden ohne sachlichen Grund mit
einer Stellungnahme-Frist von nur 48 Stunden übermittelt. Eine
ernsthafte fachliche Auseinandersetzung mit Expert:innen ist seitens der
Bundesregierung offensichtlich nicht erwünscht.
Julia Schulze Buxloh vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein
e.V. erklärt.:
„/Eine Vielzahl der geplanten Regelungen ist eindeutig verfassungs- und
europarechtswidrig. Statt eines Überbietungswettbewerbs an Schäbigkeiten
und verfassungswidriger Scheinlösungen brauchen wir sachgerechte
Debatten und eine menschenrechtskonforme Politik./“
Britta Rabe vom Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. kritisiert:
„/Das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ enthält populistisch motivierte
Maßnahmen. Mit noch unnachgiebigerer Härte und Mitteln der Gewalt – wie
Inhaftierung und polizeilicher Kontrolle und Disziplinierung – soll
gegen Menschen vorgegangen werden. Ziel ist vor allem, Geflüchtete als
angeblich unberechtigt „Leistungen erschleichende“ Straftäter:innen
rassistisch zu markieren./“
Sebastian Rose vom Abschiebungsreporting NRW stellt fest:
„/Dieses Gesetz wird sein propagiertes Ziel nicht erreichen. Schon jetzt
werden Rechte von Betroffenen bei Abschiebungen verletzt, wie wir aus
den Recherchen und Dokumentationen des Abschiebungsreporting NRW wissen.
Die geplante Einschränkung von Grundrechten steht in keinerlei
Verhältnis zu den von der Bundesregierung propagierten zusätzlichen 600
Abschiebungen pro Jahr./“
Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein e.V., das Komitee für
Grundrechte und Demokratie e.V. und das daran angegliederte
Abschiebungsreporting NRW fordern daher – auch angesichts der weiteren
Verschärfungen, die aktuell diskutiert werden – Bundesregierung,
Bundesrat und Parlament zu einer grundlegenden Umkehr in der
Migrationspolitik auf. Es braucht eine progressive Politik, die sich
endlich traut, den Menschenrechtsschutz in den Mittelpunkt zu stellen,
den Fakt von immerwährenden Migrationsbewegungen anzuerkennen und
positiv zu gestalten.
*Hintergrundinformationen: Zu einigen vorgeschlagenen Gesetzesänderungen
im Einzelnen:*
* Die Ausweitung der Inhaftierungsmöglichkeiten von Geflüchteten (§ 62
Abs. 3 S. 4 AufenthG – E): Abschiebehaft soll etwa auch immer dann
angeordnet werden, wenn feststeht, dass die Abschiebung innerhalb
von sechs Monaten und nicht mehr wie zuvor innerhalb von drei
Monaten durchgeführt werden kann.
* Die Fortdauer und die Anordnung von Abschiebungshaft (§ 71 Abs. 8
AsylG – E) soll künftig zudem unabhängig von etwaigen
Asylantragstellungen und Folgeanträgen möglich sein. Dies wird dazu
führen, dass Menschen gezielt in eine nicht endende Situation von
Furcht vor möglicher Haft gedrängt werden.
* Der sogenannte Ausreisegewahrsam (§ 62b Abs. 1 AufenthG– E) soll von
zehn auf 28 Tage erhöht werden. Dieser kann schon jetzt unter noch
geringeren Voraussetzungen als die Abschiebungshaft verhängt werden,
etwa auch ohne vorliegende Fluchtgefahr. In der Praxis wird der
Ausreisegewahrsam zudem meist unrechtmäßig in den gleichen
Haftanstalten vollzogen wie andere Formen der Abschiebungshaft.
* All diese Maßnahmen werden geplant, obwohl bereits jetzt häufig
Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam im Nachhinein von Gerichten
als rechtswidrig eingestuft werden.[2] Neben dem generell massiven
Eingriff in das Freiheitsrecht der Betroffenen wird diese Regelung
entsprechend zu noch mehr rechtswidriger Haft führen. Auch werden
die Gerichte noch weiter belastet.
* Ausweitung der Befugnis für staatliche Behörden, in Privaträume
einzudringen (§ 48 Abs. 3 AufenthG – E): Der Schutz der Privatsphäre
und die Unverletzlichkeit der Wohnung, die in Art. 13 GG
grundrechtlich geschützt sind, werden in Zukunft für Geflüchtete und
Menschen mit prekärem Aufenthaltsrecht noch weiter eingeschränkt. So
soll in Sammelunterkünften zukünftig auch in Räume von Dritten
eingedrungen werden können. Diese anderen Räume sollen nach
Personen, die abgeschoben werden sollen, durchsucht werden dürfen.
Der Richtervorbehalt, den es zur Durchsuchung von Wohnungen bedarf,
wird schon derzeit regelmäßig missachtet. Mit der Erweiterung der
Befugnisse zum Nachteil von Dritten steht zu befürchten, dass der
Richtervorbehalt noch weniger beachtet werden wird. Dies stellt
einen erheblichen Verstoß gegen Art. 13 GG dar. Diese rechtlich
explizite Billigung dient vor allem der Legitimierung behördlicher
Schikanen, die alle Bewohner:innen von Gemeinschaftsunterkünften in
Angst versetzen wird und zu weiterer Traumatisierung führen kann.
Dem Gesetzgeber ist bei alledem zudem bekannt, dass die Frage der
Unverletzlichkeit von Wohnraum bei Abschiebungen derzeit beim
Bundesverfassungsgericht zur Klärung anhängig ist. Diese
Entscheidung wird aber bewusst nicht abgewartet.
* Nichtankündigung von Abschiebungen (§ 60a Abs. 5a AufenthG – E):
Laut Gesetzentwurf soll die einmonatige Ankündigungspflicht für
Abschiebungen, denen eine mindestens einjährige Duldung vorausging,
die widerrufen wurde, gestrichen werden.
Hierbei soll lediglich eine Ausnahme für Familien mit Kindern unter 12
Jahren gelten. Die Nichtankündigung von Abschiebungen schränkt schon
bisher den effektiven Rechtsschutz der Betroffenen massiv ein. Nun soll
diese Praxis ausgeweitet werden. Dabei wird sie von den Betroffenen oft
als besonders unwürdig beschrieben. Abzuschiebende Menschen können sich
nicht auf die Ausreise vorbereiten, sich nicht verabschieden oder die
Auflösung ihres Haushaltes organisieren.
* Weiter ist vorgesehen, dass künftig auch abzuschiebenden
Ausländer:innen in Haft oder im öffentlichen Gewahrsam die
Abschiebung nicht mehr angekündigt werden soll (§ 59 Abs. 5 S. 2
AufenthG – E).
Dabei ist einer der oft genannten Gründe für die Nichtnennung der
Abschiebetermine, dass die Betroffenen sich sonst verborgen halten
könnten. Genau dies ist in Haft oder öffentlichem Gewahrsam aber gerade
nicht möglich. Daher kann diese Maßnahme im Gesetzentwurf nur so
interpretiert werden, dass auch hier die Rechte der Betroffenen weiter
eingeschränkt werden sollen. Effektiver Rechtsschutz wird verhindert.
Der Gesetzentwurf selbst nennt nämlich als Grund der Maßnahme einzig die
Entlastung der Ausländerbehörden.
* Erweiterung der Strafbarkeit: (§§ 15 Abs. 2, 85 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2
AsylG – E)
Falsche oder unvollständige Angaben im Asyl- sowie Widerrufs- oder
Rücknahmeverfahren sollen zukünftig strafbar werden. Haben bislang
falsche oder unvollständige Angaben zur Ablehnung des Asylgesuchs oder
zum Verlust des Schutzstatus führen können, wird hier nun zusätzlich mit
dem schärfsten Schwert des Rechtsstaates agiert. Diese Regelung verstößt
gegen den Grundsatz, sich nicht selbst belasten zu müssen, der einen
grundlegenden Baustein unseres Rechtsstaates darstellt. Zum anderen wird
damit Asylsuchenden die Sicherheit genommen, dass der Inhalt der
Anhörung vertraulich bleibt, was für viele eine grundlegende
Voraussetzung ist, über erlebte Verfolgung sprechen zu können.
Auch sind Eingriffe in die Berufsfreiheit von Anwält:innen und
Berater:innen zu befürchten, sollten die Strafverfolgungsbehörden von
Amts wegen angehalten sein, auch gegenüber diesen zu ermitteln.
Einhergehend könnte damit eine Pflicht, eine erschöpfende Prüfung der
Wahrheit des Vortrages vorzunehmen, was die Beratungstätigkeit
verunmöglichen könnte. Zudem wird dieses Vorhaben zur ohnehin schon
bestehenden Überlastung der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte beitragen.
* Ausweitung der Ausweisungsgründe: (§ 54 Abs. 1 Nr. 2a AufenthG – E):
Die bereits äußerst weit gefassten Ausweisungsinteressen[3] sollen
noch einmal erweitert werden. Ein besonders schwerwiegendes
Ausweisungsinteresse soll zukünftig bereits dann bestehen, „wenn
Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass [eine Person]
einer Vereinigung im Sinne des § 129 des Strafgesetzbuches angehört
oder angehört hat“. Eine rechtskräftige Verurteilung wird folglich
nicht erforderlich sein; bereits Ermittlungsverfahren oder gar
Bewertungen der Ausländerbehörden können ausreichen, um die
betroffene Person mit dem scharfen Damoklesschwert der
Aufenthaltsbeendigung zu konfrontieren. Vor dem Hintergrund,
- dass bereits jetzt eine hohe Anzahl an Ermittlungsverfahren gem. § 129
StGB geführt wird, ohne, dass jedoch die Verdachtsmomente für eine
Verurteilung schließlich genügen,
- dass bereits jetzt u.a. § 129 StGB in Zusammenhang mit sog.
„Clan“-Kriminalität gebracht wird – erneut ohne entsprechende
strafgerichtliche Verurteilung – und damit rassistisch konnotiert gegen
Personen vorgegangen wird,
- dass zunehmend Ermittlungsverfahren gem. § 129 StGB gegen
Antifaschist:innen und Klimaaktivist:innen eingeleitet werden, um
missliebige politische Haltungen zu kriminalisieren, wird hiermit ein
Instrument geschaffen, dass aus hiesiger Sicht demokratischem Recht
widerspricht: Die Ausweisung von Betroffenen wird lediglich aufgrund
einer Verdachtslage möglich.
* Die Gründe, ein Asylverfahren als „offensichtlich unbegründet“
abzulehnen, sollen ausge-weitet werden (§ 30 Abs. 1 AsylG – E). Dies
verstößt gegen Unionsrecht und verkürzt erneut den Rechtsschutz,
gerade für diejenigen, die ihn am dringendsten benötigen:
Geflüchtete, und damit besonders schutzbedürftige Personen. Diese
Erweiterung ist ein weiterer Ausdruck davon, Geflüchtete unter den
Verdacht zu stellen, „Betrüger“ und „Asyl-Erschleicher“ zu sein.
*Kontakte:*
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[1] Entwürfe und Stellungnahmen unter
https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/rueckfuehrungsverbesserungsgesetz.html
[2] https://www.lsfw.de/statistik.php
[3] Siehe hierzu auch die Stellungnahme, u.a.
https://www.rav.de/fileadmin/user_upload/rav/Stellungnahmen/160222_RAV-StN-Koeln-Gesetz.pdf
--
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