[imc-presse] PM_RAV kritisiert massive Behinderung anwaltlicher Tätigkeit durch Polizei beim „Leipziger Kessel“
RAV e.V.
gs at rav.de
Thu Jun 15 17:06:12 CEST 2023
Sehr geehrte Damen und Herren,
anbei und auch auf der Webseite zu finden, die Pressemitteilung des RAV
von heute:
*Der RAV kritisiert massive Behinderung anwaltlicher Tätigkeit durch
Polizei beim „Leipziger Kessel“.
*https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/der-rav-kritisiert-massive-behinderung-anwaltlicher-taetigkeit-durch-polizei-beim-leipziger-kessel-968*
*Gern stehen Ihnen Ansprechpartner aus dem Vorstand für Gespräche zur
Verfügung, dies kann durch die Geschäftsstelle vermittelt werden (s.
Signatur).
Über Berichterstattung in oder mit Hilfe Ihrer Medien würden wir uns
freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Sigrid v. Klinggräff
RAV-Geschäftsstelle
***********
Pressemitteilung, 15.6.23*
Der RAV kritisiert massive Behinderung anwaltlicher Tätigkeit durch
Polizei beim „Leipziger Kessel“*
*Unterbindung und Einschränkung anwaltlicher Tätigkeiten bei dem
Versammlungsgeschehen am Wochenende in Leipzig nach den Urteilen im
"Antifa-Ost"-Prozess*
Im Rahmen der Proteste gegen die Verurteilung von Antifaschist*innen
vorletzte Woche und gegen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit in
Leipzig kam es als Reaktion hierauf verschiedentlich zu
freiheitsentziehenden Maßnahmen durch die Sächsische Polizei.
Insbesondere setzte die Polizei am Samstag, den 03.06.2023 etwa 1.000
ehemalige Teilnehmer*innen einer Versammlung in einem sogenannten
„Leipziger Kessel“ am Alexis-Schumann-Platz fest.
»/Der RAV verurteilt das Vorgehen der Polizei aufs Schärfste.
Rechtswidrig wurde den Betroffenen der Zugang zu vor Ort anwesenden
Anwält*innen verweigert. Dass der sächsische Innenminister das
fehlerhafte Vorgehen der Polizei beim „Leipziger Kessel“ deckt und
Aufklärung verweigert, ist Ausdruck eines völlig verschobenen Diskurses,
der autoritäre und rechte Strömungen weiter befeuert/.«, so Rechtsanwalt
Dr. Peer Stolle, Vorsitzender des RAV.
Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem
Rechtsstaatsprinzip, Art. 6 III c der Europäischen
Menschenrechtskonvention sowie § 137 Abs. 1 der Strafprozessordnung
garantieren allen Beschuldigten in Strafverfahren, sich in jeder Lage
des Verfahrens von einem/einer Anwält*in verteidigen zu lassen. Mehreren
im RAV organisierten Rechtsanwält*innen wurde trotz dieses grundlegenden
Anspruchs der Betroffenen auf rechtlichen Beistand beim Leipziger Kessel
der Kontakt mit sich darin befindenden Personen verweigert - und das,
obwohl die Polizei bereits um 19:00 Uhr per Durchsage die Betroffenen
als Beschuldigte in einem Strafverfahren über ihr Recht, sich
anwaltlichen Beistand zu suchen, informierte.
So wurde schon zu Beginn dieses „Leipziger Kessels" einer Kollegin das
Gespräch oder auch nur die räumliche Annäherung an im Kessel befindliche
Personen - notwendig zur ersten Kontaktaufnahme - verwehrt, obwohl
zunächst Rufe nach Beistand zu vernehmen waren. Selbst eine Nachfrage
bei den Betroffenen durch Polizeibeamt*innen, ob sie Kontakt mit der
anwesenden Anwältin wünschten, wurde durch die Polizei ausgeschlossen.
Weitere Versuche von Kolleg*innen, den Betroffenen Beistand zu leisten,
wurden über die folgenden Stunden hinweg trotz Insistierens der
Anwält*innen durch die Polizei verhindert. Erst gegen Mitternacht
durften einige wenige Kolleg*innen in den abgesperrten Bereich und dort
mit einzelnen minderjährigen Betroffenen sprechen. Dass diese, sich
bereits seit Stunden im Kessel befindenden Jugendlichen in der Menge der
Personen vor Ort durch die Anwält*innen gesucht werden konnten, wurde
durch die Polizei vorher ebenso abgelehnt, wie der Vorschlag, dass dann
die Beamt*innen die betreffenden Minderjährigen ausfindig machen
könnten. Eine "bevorzugte Abarbeitung von Minderjährigen" war hier nicht
zu erkennen.
Dazu erklärt Rechtsanwalt Mark Feilitzsch aus Dresden:
»/Den etwa 1.000 Menschen im Leipziger Kessel wurde erklärt, dass sie
Beschuldigte in einem Strafverfahren seien und das Recht hätten, einen
Verteidiger hinzuzuziehen. Tatsächlich hat die Polizei jedoch genau das
verhindert. Es ist zunehmend zu beobachten, dass im Zusammenhang mit
politischen Protesten die anwaltliche Berufsausübung und damit der
Zugang der Betroffenen zu rechtlichen Beistand behindert wird. Wenn –
wie nun dieses Wochenende in Leipzig - viele Betroffene von den
Nachmittagsstunden bis in den frühen Morgen ohne jeden Zugang zu
anwaltlichem Beistand bleiben mussten, ist das mit rechtsstaatlichen
Grundsätzen nicht zu vereinbaren./«
Aber nicht nur den Rechtsanwält*innen wurde der Zugang zu den
Betroffenen verwehrt. Auch den am Polizeikessel erschienenen und
nachfragenden Eltern wurden ihre Kinder stundenlang vorenthalten. Selbst
bei den anschließenden Maßnahmen der Belehrung der Minderjährigen, der
Beschlagnahme von deren Telefonen, Durchsuchung und
Identitätsfeststellung wurde den Eltern kein Anwesenheitsrecht
eingeräumt. Die durch das stundenlange Festhalten eingeschüchterten und
erschöpften Jugendlichen wurden aufgefordert, an polizeilichen Maßnahmen
mitzuwirken und z.B. die PIN ihrer beschlagnahmten Telefone herauszugeben.
Dazu erklärt Rechtsanwältin Rita Belter aus Leipzig:
»/Das Verhalten der Einsatzbeamt*innen verletzte in willkürlicher Weise
die Rechte der Betroffenen und die der Sorgeberechtigten. Nun werden
sich die Gerichte mit einer Vielzahl von Erlebnissen und der
Feststellung deren Rechtswidrigkeit auseinandersetzen müssen./«
Eine weitere freiheitsentziehende Maßnahme wurde am 03.06.2023 vor dem
Amtsgericht Leipzig vollzogen. Dort wurden ca. 20 - 25 Personen
plötzlich von Polizeikräften zusammengedrängt und mit der Begründung,
anlasslose Identitätsfeststellungen im Kontrollbereich vornehmen zu
wollen, über zwei Stunden festgehalten. Die Identitätsfeststellung wurde
- obwohl mehrfach angemahnt - erst 90 Minuten nach Kesselung begonnen.
Zusätzlich erhielten alle dort Anwesenden einen grundlosen Platzverweis.
Betroffen von diesen Maßnahmen war auch eine Rechtsanwältin, die
unmittelbar nach der Haftvorführung ihres Mandanten bei dem Verlassen
des Leipziger Amtsgerichts von den Polizeibeamt*innen mit in diesen
Kessel gedrängt wurde und der ein Platzverweis nicht nur für das
Gericht, sondern auch für den Ort ihrer Kanzlei ausgesprochen wurde.
Verschiedentliche Versuche, eine Begründung für die nicht
nachvollziehbaren Maßnahmen zu erhalten, scheiterten. Widersprüche
wurden nicht aufgenommen.
Auch mit diesem Vorfall werden sich die Gerichte beschäftigen müssen:
Die betroffene Kollegin erhebt nun Klage zum Verwaltungsgericht gegen
diesen schweren Eingriff in ihre Berufsausübungsfreiheit.
Ebenfalls wurde am darauf folgenden Sonntag jede Versammlung an der
Gefangenensammelstelle an der Hauptwache der Polizei in Leipzig mit
Verweis auf die Allgemeinverfügung ('Versammlungsverbot') unterbunden.
Als am Sonntag wartende Eltern, Angehörige und Freund*innen der
(teilweise vorläufig) Festgenommenen an der Dimitroffstrasse auf die
Entlassung der Festgenommenen aus dem "Leipziger Kessel" warteten und
versuchten, eine Versammlung anzumelden, wurden sie ebenfalls durch die
Polizei gekesselt und Identitätsfeststellungsmaßnahmen unterzogen.
*Wir fordern die umfassende und lückenlose Aufklärung der offensichtlich
rechtswidrigen Repressionsmaßnahmen, die Leipzig am Wochenende des 2.
bis 4. Juni 2023 in einen grundrechtsfreien Raum verwandelt haben, sowie
die Feststellung der Verantwortlichen für das widerrechtliche Vorgehen.
***************
Interviewanfragen können über die Geschäftsstelle vermittelt werden:
030.417 235 55 / kontakt at rav.de
---
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
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