[imc-presse] Kommunalwahlen in der Türkei: Opposition meldet Unregelmäßigkeiten

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Sun Mar 31 15:05:46 CEST 2019


Sehr geehrte Pressevertreterinnen und Pressevertreter*,*

die Bürger in der Türkei und Nordkurdistan haben gewählt, die Wahllokale
im Südosten des Landes sind geschlossen, im Westen wird noch bis 16 Uhr
mitteleuropäische  Zeit gewählt. Das Land blickt bereits jetzt auf einen
unruhigen Tag zurück: Wahlhelfer wurden bedroht und festgenommen. Bei
einer Schießerei in Malatya kamen drei Wahlhelfer ums Leben. Hohe
Polizei- und Militärpräsenz in und um den Wahllokalen in HDP-Hochburgen
prägte das Bild.

Die Kreuze sind gemacht, nun werden die Stimmen ausgezählt: In den
kurdischen Regionen der Türkei ist die Stimmabgabe bei den
Kommunalwahlen abgeschlossen. Die Wahllokale in den östlichen Provinzen
schlossen um 16.00 Uhr Ortszeit. Erste Ergebnisse sollen am frühen Abend
bekannt gegeben werden. Die Kommunalwahl ist ein Stimmungstest für
Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Regierungspartei AKP. In der
Wirtschaftsmetropole Istanbul und der Hauptstadt Ankara wird ein knapper
Ausgang erwartet.

Rund 57 Millionen Personen sind bei den Kommunalwahlen in der Türkei und
Nordkurdistan am Sonntag stimmberechtigt. Die kommunalen Vertreterinnen
und Vertreter werden für fünf Jahre gewählt. Landesweit werden 194.390
Wahlurnen aufgestellt. Die Wahllokale sind in den östlichen Provinzen
von 7 bis 16 Uhr geöffnet, im Westen von 8 bis 17 Uhr. Gewählt werden
Bürgermeister, Stadt- und Provinzräte sowie Ortsvorsteher.

Die Demokratische Partei der Völker (HDP) hat zur Kommunalwahl in der
Türkei massiven Druck auf ihre Anhänger und Politiker beklagt. Während
des gesamten Wahlkampfs seien 713 HDP-Funktionäre und Anhänger
festgenommen worden; 107 von ihnen sitzen in Untersuchungshaft, teilte
die HDP am Sonntag mit. Die Wahl finde unter ungleichen Voraussetzungen
statt. So habe die Regierung staatliche Ressourcen im Wahlkampf
missbraucht, Medien zensiert und für einen «gefährlichen politischen
Diskurs» geführt, der das «Land polarisiert und alle kritischen Stimmen
als Terroristen kriminalisiert». Aus diesem Grund rief die Demokratische
Partei der Völker (HDP) zur internationalen Wahlbeobachtung
<http://civaka-azad.org/kommunalwahl-und-newrozfest-in-der-tuerkei-wahlbeobachtungsdelegation-im-maerz-2019/> auf.


Die Wahlen wurden nach den bisherigen Informationen von zahlreichen
Unregelmäßigkeiten begleitet, welche internationale Wahlbeobachter
insbesondere aus Nordkurdistan meldeten. Im Folgenden ein grober
Überblick über die bisher bekannten Unregelmäßigkeiten:

*Hohe Polizei- und Militärpräsenz in HDP-Hochburgen*

In der nordkurdischen Metropole Amed (Diyarbakir) sind am heutigen
Wahltag knapp 19.000 Polizisten und Gendarmarie im Dienst. Die seit dem
20. November 2018 vor der HDP-Zentrale stationierten Polizeitruppen sind
heute abgezogen worden. „Das Bedrohungsszenario vor den Wahlurnen hat
heute Vorrang“, lautete der Kommentar aus dem HDP-Vorstand.
Internationale Wahlbeobachter bestätigen die große Militärpräsenz in der
Kreisstadt Hazro (Provinz Amed) und zweifeln am demokratischen Charakter
der Wahlen.

Auch in Serêkaniyê (Ceylanpınar) in der Provinz Riha (Urfa) sind
tausende polizeiliche Sondereinheitskräfte und militärisches Personal
stationiert worden. Die massive Verlegung in die Kreisstadt mit 82.000
Einwohnern verweist auf die Atmosphäre am Wahltag. Der HDP-Abgeordnete
Ömer Öcalan rief die Urnen-Beauftragten seiner Partei dazu auf, sich
„besonnen und mutig“ zu verhalten.

Im Stadtteil Yeşilova in Erdîş (Erciş, Provinz Wan), einer Hochburg der
HDP, haben AKP-Anhänger die Wähler bedroht. Es kam zu einer verbalen
Auseinandersetzung, woraufhin Bereitschaftspolizisten das Wahllokal
besetzten. Vor dem Gebäude versuchte die Polizei, die Menschenmenge mit
Wasserwerfern auseinanderzutreiben. Die Urnen-Beauftragten der HDP
wurden aus dem Wahllokal entfernt, zwei von ihnen wurden festgenommen.

*Repression gegen europäische Wahlbeobachter *

Auf Einladung der HDP beobachten 72 Personen aus Europa die
Kommunalwahlen in Nordkurdistan. 14 Wahlbeobachtern wurde die Einreise
verweigert. In Idil (Provinz Şirnex/Şırnak) sind zwei Wahlbeobachter aus
Deutschland nach einer Personalkontrolle wieder freigelassen worden. Sie
wurden anschließend aus der Stadt verwiesen. Zwei Italienerinnen wurden
in Hênê (Hani, Provinz Amed) vorübergehend festgenommen und in die
Abteilung der Antiterrorpolizei gebracht, anschließend wieder freigelassen.

*Wahlfälschung und Geisterwähler *

*Am gestrigen Samstag sind**i*n Sêrt (Siirt) bereits sind Dutzende Busse
mit „Geisterwählern“ eingetroffen. Der Konvoi wurde von gepanzerten
Fahrzeugen begleitet. Im Vorfeld der Kommunalwahlen hatte sich
herausgestellt, dass 6488 Wahlberechtigte nicht im Wahlregister
aufgeführt sind. Stattdessen fanden sich in dem Verzeichnis tausende
Wahlberechtigte, die in öffentlichen Gebäuden oder unbewohnten
Baustellen gemeldet sind.

In der Kreisstadt Xalfetî (Halfeti) in Riha (Urfa) haben aus Mersin
kommende Polizisten ihre Stimme an der Urne 1094 abgegeben. Beamte
brauchen eine Sondergenehmigung, wenn sie außerhalb ihres Wohnorts
wählen wollen. Dieses Papier konnten die Polizisten allerdings nicht
vorlegen. Seit gestern Nacht werden „Geisterwähler“ aus Mersin, Adana,
Antalya und Konya in Polizeifahrzeugen in die Stadt gebracht.

In der Kreisstadt Curnê Reş (Hilvan, Provinz Riha/Urfa) sind 45
Wählerstimmen gesammelt abgegeben worden, ohne dass die Wahlberechtigten
darüber Bescheid wussten. Die Betroffenen fordern die Annullierung der
Wahlurne.

*Meletî: Drei Tote bei Schießerei in Wahllokal*

In Şîro (Pütürge) in der nordkurdischen Provinz Meletî (Malatya) ist es
in einem Wahllokal zu einem Streit zwischen zwei Gruppen gekommen, bei
der drei Personen erschossen wurden. Bei den Toten handelt es sich um
Wahlhelfer der Partei Saadet Partisi (SP). Die Täter stammen aus dem
Umfeld des örtlichen AKP-Bürgermeisterkandidaten. Eine Person wurde
festgenommen.

*Hungerstreik im Schatten der Wahlen*

Die Kommunalwahlen finden im Schatten des Hungerstreiks von rund 7.000
politischen kurdischen Gefangenen in der Türkei
<http://civaka-azad.org/informationswoche-weltweiter-hungerstreik-kurdischer-aktivisten/>statt,
die ein Ende der Isolation Abdullah Öcalans fordern. Unter den
Hungerstreikenden befindet sich auch die HDP-Abgeordnete Dersim Dağ, die
in Amed-Kayapinar ihre Stimme abgegeben hat. Die kurdische Politikerin
ist seit dem 3. März im Hungerstreik. Auch der ehemalige Gefangene Sedat
Akin, der sich seit 84 Tagen im Hungerstreik gegen die Isolation Öcalans
befindet, erschein zur Stimmabgabe im Rollstuhl. Der ehemalige Gefangene
setzt die Aktion nach seiner Entlassung in seiner Wohnung in Êlih
(Batman) fort. Da sich das Wahllokal im zweiten Stock einer Schule ohne
Fahrstuhl befindet, musste er im Rollstuhl zur Urne getragen werden.

Für weitere Rückfragen und den Kontakt zu Wahlbeobachter*innen aus
Deutschland für Interviewanfragen stehen wir Ihnen gerne per Mail zur
Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Ali Çiçek

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