[imc-presse] Türkei/Kurdistan: Reaktionen auf den Angriff in Licê

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Sun Jun 30 17:31:11 CEST 2013


ZK:

 

Tausende begleiten Medeni Yıldırım auf seinem letzten Weg

Tausende Menschen aus Licê/Amed (Diyarbakir) nahmen am 29. Juni am Trauerzug
für den durch das Militär ermordeten 18-jährigen Medeni Yıldırım teil. Im
Anschluss an den Trauerzug wurde der Leichnam von Yıldırım auf dem örtlichen
Friedhof bestattet. Der Trauerzug in Richtung Friedhof war begleitet von
wütenden Menschen, die immer wieder Parolen gegen die AKP-Regierung riefen
und den Staat verantwortlich für den Mord erklärten. Zahlreiche
Verantwortliche der Partei für Frieden und Demokratie (BDP) nahmen ebenfalls
am Trauerzug teil. In einer kurzen Rede forderte die BDP-Abgeordnete Gültan
Kışanak die Regierung dazu auf, den Fall nicht unter den Teppich zu kehren
und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Andernfalls werde die
Regierung zum Verantwortlichen und zum Provokateur, falls der Lösungsprozess
scheitern sollte.

Medeni Yıldırım war gestern bei Protesten gegen den Bau von neuen
Militärstationen in den kurdischen Gebieten durch Kugeln des Militärs
getötet worden. Während der Gouverneur der Region leugnete, dass Soldaten in
Menge geschossen hätten, bestätigten mehrere Augenzeugen das Gegenteil.
Durch Schüsse aus der Militärstation wurden neben Yıldırım zehn weitere
Menschen verletzt. Wie der ältere Bruder von Medeni Yıldırım mitteilte, ist
sein Onkel Adnan Yıldırım schon am 03. Juni 1994 durch Mitglieder des
sogenannten Tiefen Staates ermordet worden.

Quelle: ANF, 29.06.2013, ISKU

  

Taksim-Proteste solidarisieren sich mit Licê

Nach einem Aufruf des Demokratischen Kongresses der Völker (HDK)
versammelten sich tausende Menschen auf dem Taksim Platz, um sich mit der
Bevölkerung von Licê zu solidarisieren. Die Demonstranten in Istanbul liefen
hinter einem Transparent mit der Aufschrift "Leiste Widerstand! Licê -
Taksim ist mit dir". Bei dem Protestzug in Istanbul wurde unter anderem
immer wieder "Das ist erst der Anfang - Der Widerstand geht weiter" und
"Mörderstaat raus aus Kurdistan" gerufen. Die BDP-Abgeordnete Sebahat Tuncel
erklärte in einer Rede während der Demonstration, dass der Lösungsprozess
bei Nicht-Aufklärung der Ermordung von Medeni Yıldırım einen nicht
gewünschten Verlauf nehmen werde. Ein Schweigen gegenüber diesem Fall sei
gleichbedeutend mit einer Mittäterschaft, so Tuncel. Zum Abschluss der
Demonstration wurde auch an die durch Polizeigewalt Getöteten Menschen
während des Gezi-Aufstands gedacht.

 

Auseinandersetzung in Gever

In Gever (Yüksekova) griff die Polizei eine Presseerklärung, welche der
Ortsverband der BDP zum Mord an Medeni Yıldırım abhalten wollte, an.
Daraufhin kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Polizeikräften und
Jugendlichen, die an der Presseerklärung teilnehmen wollten. Die Polizei
setzte Wasserwerfer und Gasgranaten gegen die Menschenmenge ein. Die Menge
reagierte mit Steinen und Feuerwerkskörpern. Die Auseinandersetzungen
verlagerten sich auf die Seitenstraßen des Orts, und gingen über mehrere
Stunden.

Quelle: ANF, 29.06.2013, ISKU

 

DTK und Kurdistan Volksinitiative zu Licê

Einen Tag nach den Vorfällen in Licê (Provinz Amend (Diyarbakir)) hat der
Kongress für eine demokratische Gesellschaft (DTK) eine Erklärung
veröffentlicht. In dieser heißt es, dass der Angriff auf die protestierende
Menschenmenge ein "klarer Mord" und gegen das gesamte kurdische Volk
gerichtet sei. Man könne nach all den Erklärungen der AKP-Regierung und des
Ministerpräsidenten diesen Angriff nicht als Zufall werten. Im Hinblick auf
den Lösungsprozess sei er als eine Provokation zu bewerten.

Auch die Kurdistan Volksinitiative hat in einer Stellungnahme das kurdische
Volk für den 30. Juni zum Serhildan (Volksaufstand) aufgerufen. Neben dem
Protest gegen das Licê-Massaker jährt sich auch die Aktion der PKK-Kämpferin
Zeynep Kinaci (Zilan). Die Initiative wies unter andere darauf hin, dass
trotz der demokratischen und friedlichen Bemühungen Abdullah Öcalans, der
kurdischen Freiheitsbewegung und der kurdischen Nation die
unterdrückerischen, ausbeuterischen und massakerartigen Praktiken der AKP
sich ausbreiten.

Quelle: ANF, T24, 29.06.2013, ISKU

 

Beritan Dersim: Alle müssen nun Edi Bese rufen

Das Mitglied des KCK-Exekutivrats Beritan Dersim bezeichnete in einem
Interview mit dem Fernsehsender Nuce Tv den Angriff auf die in Licê
protestierenden Menschen als "feigen Angriff". 
"Dieser Angriff hat im Grunde wieder einmal die Absicht des Staates, der
AKP-Regierung entschlüsselt. Dieser Angriff, dieses Massaker, diese feige
Operation in Licê ist ein Schlag gegen den Lösungsprozess", erklärte Bawer
Dersim. Der Angriff in Licê sei als "Angriff gegen das gesamte kurdische
Volk" zu sehen. "Ab heute müssen alle Edi Bese (dt.: Es reicht) rufen",
sagte Dersim und rief das gesamte kurdische Volk zu Massendemonstrationen
auf.

Quelle: ANF, 28.06.2013, ISKU

 

Reaktionen auf den Angriff in Licê

BDP Co-Vorsitzender Selahattin Demirtaş: Weshalb neue Militärstationen?

"Wir als BDP kritisieren die Politik der Regierung. Das Versammlungsrecht
ist ein Grundrecht. Der Staat darf sich dem nicht entgegenstellen. Aber in
Licê haben sie von hinten auf demonstrierende Menschen geschossen.

Wir verstehen auch nicht, weshalb die Regierung nun Militärstationen bauen
will. Die Regierung redet davon, dass sie es ernst meint mit dem
Lösungsprozess, aber wir haben bisher keine konkreten Schritte von ihr
gesehen. Stattdessen plant sie den Bau von 134 neuen Militärstationen. Die
Dörfer haben kein Wasser, keine Kanalisation. Aber in denselben Dorf werden
zwei Militärstationen auf einmal gebaut."

 

BDP Istanbul Abgeordneter Sırrı Süreyya Önder: Regierung nicht gewillt ihr
Wort zu halten

"Die Regierung hat bisher immer gesagt, dass sie gewillt ist eine Lösung
anzustreben, aber dass ihr hierzu die Kraft fehlt. Der Angriff von Licê hat
aber offenbart, dass sie auch nicht gewillt ist, eine Lösung anzustreben. Es
scheint so, als habe sich die Regierung mit dem Militär geeinigt und als
herrsche gegenwärtig ein Einvernehmen zwischen diesen beiden Gruppen. Das
hat sich eigentlich schon offenbart, als das Verfahren wegen dem Massaker
von Roboski durch die Justiz an ein Militärgericht weitergegeben worden ist.
Ich bezeichne das als eine neo-kemalistische Koalition. (.)

Der Frieden kann nur von den Völkern ausgehen. Die Regierung kann zwar einen
Friedensprozess vereinfachen. Aber ein Frieden, der allein von der Regierung
ausgeht, kann nicht von nachhaltiger Natur sein. Nur der demokratische Kampf
kann die Völker vereinen und eine Basis für den Frieden schaffen.
Gegenwärtig fangen das türkische und das kurdische Volk an, sich gegenseitig
zu verstehen und hierdurch entwickelt sich bedeutender Wandel. Das ist
natürlich nicht einfach, denn das Verhältnis der Völker wurde hundert Jahre
lang vergiftet. Aber mit den Erfahrungen des demokratischen Kampfes wird die
Bevölkerung diese Vergiftung überwinden und den Weg zum Frieden ebnen."

 

KCK-Exekutivratsmitglied Zübeyir Aydar: Der Angriff beeinflusst den Prozess

"Der Vorfall in Licê ist bedenklich. Ein friedlicher Protest wurde mit
Waffen niedergeschlagen. Gezielt wurde das Feuer in die Menge eröffnet. (.)
Es handelt sich um eine Mentalitätssache. Die Umfragen zeigen die
Unterstützung der überwältigenden Mehrheit im Hinblick auf den
Lösungsprozess. Wenn die Regierung dies nicht umsetzt, rührt das aus ihrer
Mentalität. Wir akzeptieren als Bewegung keine Täuschungen oder
Hinhaltetaktiken.

 

KCK-Exekutivratsvorsitz: Die Regierung wird ihren Aufgaben nicht gerecht

"Wir haben die auf uns fallenden Aufgaben erfüllt, damit der Prozess auf
einer richtigen Grundlage fortlaufen kann. Doch der türkische Staat und die
Regierung erfüllen ihre Pflichten nicht. Auch wenn die
Vernichtungsoperationen gestoppt wurden, dauert der Bau von neuen
Militärstützpunkten, neuer Staudämme, Erkundungsaktivitäten und
Einschüchterungsversuche gegen die Bevölkerung an. (.) Wir versprechen in
Gedenken an Medeni Yildirim die Befreiung des kurdischen Volkes und den
Freiheitskampf bis zum Erfolg fortzuführen."

Quelle: ANF, Milliyet, 29.06.2013, ISKU

 

 

Hintergrundinformationen:

 

Amed/Licê: Militär schießt auf Demonstration 1 Toter, 10 Verletzte

 

Trotz des Rückzugs der Guerillakräfte aus dem türkischen Staatsgebiet baut
der türkische Staat seine militärischen Anlagen in der kurdischen Region
massiv aus. Von der Guerilla verlassene Stellungen werden genutzt, um neue
Militärbasen zu errichten. Dagegen regt sich zivilgesellschaftlicher
Widerstand. Mit Demonstrationen und Sitzblockaden versucht die Bevölkerung
den Ausbau der militärischen Infrastruktur zu verhindern. 

Am 28.06. demonstrierten BewohnerInnen der Region Licê/Amed (Diyarbakir)
gegen den Ausbau des Hezan Kayacik Militärstützpunktes. Um den Ausbau zu
verhindern zerstörten sie drei Zelte. Das Militär eröffnete das Feuer auf
die DemonstrantInnen und tötete den Demonstranten Medemi Yildirim, zehn
weitere wurden verletzt. Neun Personen werden im Universitätskrankenhaus in
Amed behandelt. Unter den Verletzten befindet sich auch die 16-jährige
Ronida Pervane. 

Trotz der Schüsse der Soldaten verließ die Bevölkerung das Gebiet nicht und
begann sich mit Steinen gegen die Angriffe zu verteidigen. Das Militär
beorderte zusätzliche Panzer aus Licê zur Unterstützung zum Stützpunkt.
Spezialeinheiten werden ebenfalls in die Region verlegt. Während die
Auseinandersetzungen andauern, reist eine Delegation von
Menschenrechtsvereinen und der BDP in die Region. 

Auch die Bevölkerung von Dêrsim ist in den letzten Tagen vermehrt zum Opfer
von Angriffen von dem Staat nahestehenden Kontraeinheiten geworden - so
griffen mit Kalaschnikows bewaffnete Kontras ein Dorf an, zerschossen die
Fassaden der Häuser und versuchten so die Bevölkerung einzuschüchtern. Es
offensichtlich, dass der Staat und Paramilitärs den durch den Rückzug der
Guerilla freigewordenen Raum für Provokationen und Angriffe auf die
Bevölkerung zu nutzen scheinen. 

Diese Angriffe kommen zu einem krisenhaften Zeitpunkt im Friedensprozess.
Während die Guerilla ihren Abzug aus türkischem Staatsgebiet weitgehend
abgeschlossen hat, kündigte am Vortag Ministerpräsident Erdogan an, das
keine der Forderungen der kurdischen Seite und der eingerichteten
"Kommission der Weisen" erfüllt werde; er erklärte, es werde "keine Reformen
zur Lösung der kurdischen Frage geben". Weder die Zehnprozenthürde würde
gesenkt werden, noch Unterricht in kurdischer Muttersprache eingeführt
werden.

Quelle: ANF/ISKU/JW, 28.06.2013

 

 

 

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