[imc-presse] PM Urteil im § 129 b Verfahren gegen kurdischen Exilpolitiker - gegen Kaution frei

buendnisfreiheit buendnisfreiheit at gmail.com
Wed Feb 13 16:53:50 CET 2013


*Pressemitteilung*

*Bündnis Freiheit für Ali Ihsan und Azadî e.V.*


 *Urteil im § 129b Prozess gegen Ali Ihsan Kitay: 2 Jahre und 6 Monate Haft*

*Ali Ihsan Kitay wurde gegen Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen*

   -

   *Politisch motiviertes Pilotverfahren*
   -

   *RichterInnen negieren Völkerrecht ohne sachverständige Grundlage*
   -

   *OLG setzt TAK jenseits der Realität mit PKK gleich*
   -

   „*Mildes“ Urteil aufgrund erlittener Folter*
   -

   *RichterInnen sehen „türkische“ Menschenrechtsverletzungen und
   Kriegsverbrechen als erwiesen an*
   -

   *Kitay und Verteidigung gehen in Revision*
   -

   *Kundgebung vorm Gericht – ca. 100 ProzessbeobachterInnen*

*Vermeintlich „mildes“ Urteil – politisch gewollte Kriminalisierung*

In dem im August 2012 vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg begonnenen
Prozess gegen den kurdischen Politiker Ali Ihsan Kitay wurde am Mittwoch,
den 13. Februar, das Urteil gesprochen. Die RichterInnen befanden den
47-jährigen Kurden schuldig, in den Jahren 2007 und 2008 die kurdische
Arbeiterpartei PKK in Norddeutschland geleitet zu haben. Gegen Kaution wird
Kitay bis zur Entscheidung über die Revision aus der Untersuchungshaft
entlassen. Straftaten in Deutschland werden dem nach Paragraph 129b
Strafgesetzbuch (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im
Ausland) Angeklagten nicht vorgeworfen.

Bei diesem Prozess handelt es sich eindeutig um ein politisch motiviertes
Pilotverfahren. Vier weitere Kurden stehen in Stuttgart, Düsseldorf und
Berlin ebenfalls gemäß §129b vor Gericht, in zwei weiteren „Fällen“ wurde
bereits Anklage erhoben. Erste Grundsatzentscheidungen wurden heute
getroffen – in einigen der Verfahren drohen weit höhere Strafen.

*Gericht sieht Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen als erwiesen
an*

Das zunächst milde wirkende Zeitmaß des Urteils begründeten die fünf
RichterInnen des OLG Hamburg mit der persönlichen Lebensgeschichte Ali
Ihsan Kitays. Insbesondere die in 20 Jahren Haft in der Türkei erlittene
Folter und seine persönliche Motivation, gegen kontinuierliche
Unterdrückung Widerstand leisten zu müssen, um Überleben zu können, wären
dafür maßgeblich gewesen, hieß es in der Urteilsbegründung. Auch die im
Verfahren von der Verteidigung und Kitay selbst geschilderte
Assimilationspolitik, die anhaltende Folterpraxis, Kriegsverbrechen, Fälle
von Verschwindenlassen sowie die anhaltende systematische Unterdrückung der
kurdischen Kultur in der Türkei, die die RichterInnen als erwiesen ansehen,
hätten sich strafmildernd ausgewirkt. „Zum Teil hatten wir den Eindruck die
Türkei sitzt hier vor Gericht“, bemerkte der Vorsitzende Richter
diesbezüglich. Das OLG zog daraus nicht die notwendigen Schlussfolgerungen.

*Widerstand der PKK und das Völkerrecht*

Am Donnerstag und Freitag vergangener Woche hatten die AnwältInnen Kitays
ihr Plädoyer gehalten. Sie forderten Freispruch für ihren Mandanten.
Anwältin Cornelia Ganten Lange erklärte, die Verteidigung habe belegt, dass
der türkische Staat seit seiner Gründung eine systematische, rassistische
Unterdrückungs- und Kolonialpolitik gegenüber den Kurden umsetze. „Dadurch
wird ihnen das Selbstbestimmungsrecht vorenthalten. Man kann von
Staatsterrorismus sprechen.“ Um Widerstand gegen dieses gravierende Unrecht
zu leisten, sei der Widerstand der PKK nach völkerrechtlichen
Gesichtspunkten legitimiert. Unter anderem in Artikel 1. Absatz 4
Zusatzprotokoll der Genfer Konventionen sei geregelt, dass die HPG
(Volksverteidigungskräfte – die Guerilla der PKK) in einem solchen Fall das
Kombatantenprivileg genieße und legitimiert sei, sich auch bewaffnet zu
wehren. Dieser Argumentation wollte das Gericht nicht folgen. Ohne es
hinreichend begründen zu können, sprachen die RichterInnen der kurdischen
Bevölkerung das Recht sich gegen kontinuierliche Unterdrückung zu wehren
ab. Artikel 1. Absatz 4 Zusatzprotokoll gelte in einigen Ländern Afrikas,
nicht jedoch in Kurdistan. Hier würde keine rassistische Unterdrückung
stattfinden. Die RichterInnen hatten im Verfahren keine Sachverständigen zu
den völkerrechtlichen Aspekten oder der Situation in der Türkei geladen.
Dementsprechend konnten sie ihre diesbezügliche Einschätzung auch nicht
hinreichend begründen.

*TAK gleich PKK – Äpfel gleich Birnen – Terrorbild in Aktenzeichen XY Manier
*

Die Bundesanwaltschaft hatte ihr Plädoyer am Dienstag, den 29. Januar
gehalten. Die PKK sei eine terroristische Organisation im Ausland und habe
hauptsächlich Mord und Totschlag als Ziel. Kitay habe als leitender Kader
Demonstrationen organisiert, Spenden gesammelt, Treffen einberufen und
einen Grillwagen von Kiel nach Hamburg beordert. Auf dieser Grundlage
forderte die Bundesanwaltschaft (BAW) drei Jahre und sechs Monate Haft.

Um eine tiefer gehende Beschäftigung mit der politischen Entwicklung und
den inhaltlichen Zielen der PKK zu umgehen, bezeichnete das OLG die
Stadtguerillaorganisation TAK (Freiheitsfalken Kurdistans) als
Unterorganisation der PKK. Die Distanzierungen der PKK von der Politik und
den Anschlägen der Stadtguerillaorganisation TAK, bei denen auch immer
wieder ZivilistInnen getötet werden, seien zumindest bis 2010 nur taktisch
gewesen, so die Argumentation der RichterInnen. Selbst der für die TAK
zuständige Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) wollte im Verfahren
nicht so weit gehen: „Es gibt Indizien, dass die TAK eine Unterorganisation
der PKK sein könnte,“ so seine Aussage. Gut eine Stunde verlasen die
RichterInnen Berichte von Anschlägen der TAK – die hauptsächlich die
städtische Front der PKK im Westen der Türkei sei. In diesem längsten
Abschnitt der Urteilsbegründung sollte offenbar nach bester Aktenzeichen XY
Manier die Orientierung der PKK auf Mord und Totschlag festgeschrieben
werden. Europäische Türkeiexperten sowie der Berater des ehemaligen
türkischen Regierungschefs Turgut Özal, Cengiz Candar, betonen dagegen die
unterschiedlichen politischen Ziele von TAK und PKK. Die Verteidigung
zitierte im Prozess Dokumente, die die organisatorische Unabhängigkeit der
TAK belegen. Auch Wikileaks veröffentlichte in den „Global Intelligence
Files“ eine E-Mail der oft als Privatableger der CIA bezeichneten Agentur
Stratfor, in der eine Quelle aus dem Nordirak diese Einschätzung bestätigt.
Deren Vorgehen erinnere von der Rhetorik und der Anschlagspraxis eher an
die Methoden des „Tiefen Staates“, heißt es dort.

*Der Grill des Terrors*

Das OLG sieht als erwiesen an, dass Ali Ihsan Kitay eine leitende Funktion
für die Region Hamburg und Nord in der PKK einnahm, da er Demonstrationen
(darunter das zum Weltkulturerbe gehörende Newrozfest) organisiert, Spenden
gesammelt und immer wieder Streit geschlichtet habe. Telefonüberwachungen
hätten gezeigt, dass er dies in leitender Funktion getan hätte. Den
Grillwagen, den Kitay von Kiel nach Hamburg „bestellt“ hatte, der beim
Anhören der Telefonüberwachung im Prozess lange Zeit eine Rolle spielte,
sparte das Gericht aus. In einem Artikel der taz mit dem Titel „Grill des
Terrors“ war die Absurdität des Anklagekonstruktes ohne realen Vorwurf
treffend beschrieben worden.

Ali Ihsan Kitay ist in einem Schauprozess zum Objekt politisch motivierter
Interessen geworden, da gerade jetzt eine derartige Kriminalisierung von
Kurdinnen und Kurden mit der Möglichkeit eines höheren Strafmaßes gewünscht
ist, erklärt das Bündnis Freiheit für Ali Ihsan. Wir freuen uns mit Ali
Ihsan, dass er vorerst „freigelassen“ wurde und fordern weiterhin – *„Freiheit
für alle politischen Gefangenen.“ *Dass die RichterInnen das Verständnis
gegenüber Ali Ihsan Kitay, der sehr eindrücklich die Unterdrückung der
gesamten kurdischen Bevölkerung und die Dialogorientierung der kurdischen
Bewegung sowie der PKK an seinem Schicksal verdeutlichte, nicht auf die
völkerrechtliche Ebene anwenden ist außenpolitischen sowie geostrategischen
Interessen in der Türkei und Kurdistan geschuldet.

*Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne auch telefonisch unter 0176 -
20705646 zur Verfügung*

 Im Folgenden finden sie eine Dokumentation des Redebeitrags des Bündnisses
„Freiheit für Ali Ihsan“ auf der Kundgebung vor Beginn des Prozesses mit
einer Skizze der juristischen und politischen Hintergründe des Verfahrens

*
*

*Urteil im § 129 b Prozess gegen Ali Ihsan Kitay – Pilotverfahren für
politisch motivierte Justiz*

Im Prozess gegen den kurdischen Aktivisten Ali Ihsan Kitay wegen des
Vorwurfs „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ gemäß § 129b
wird heute nach sechs Monaten Verfahrensdauer das Urteil gesprochen. Kitay
soll 2007–2008 in der nördlichen Region der BRD „verantwortlicher Kader der
PKK“ gewesen sein. Ali Ihsan saß bereits 20 Jahre in der Türkei im
Gefängnis und wurde dort mehrfach gefoltert. Mit der Kriminalisierung von
Kurd_innen nach dem § 129b verfolgt die Bundesregierung wirtschaftliche und
strategische Ziele.

Konkrete Straftaten oder Anschläge in der BRD werden ihm, wie weiteren
sechs Kurden, die ebenfalls mit Verfahren gemäß § 129b konfrontiert sind,
nicht vorgeworfen. Entscheidend ist bei den Verfahren nach § 129b die
Frage, ob es sich bei der PKK um eine terroristische Vereinigung oder eine
legitime Befreiungsbewegung handelt.

Dieser Prozess muss als ein Pilotverfahren gesehen werden. Das heißt, dass
hier viele Grundlagen für weitere § 129b-Verfahren gegen kurdische
Aktivist_innen gelegt werden.

*§129 b gegen kurdische Exilpolitiker_innen – Was bedeutet das konkret?*

Durch den § 129b wird die Gewaltenteilung zwischen Regierung/Exekutive und
Justiz/Judikative aufgehoben. Normalerweise entscheidet ein Gericht
darüber, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht – im Fall des § 129 b
entscheidet das jedoch das Bundesministerium für Justiz (BMJ). Das Gesetz
sieht vor, dass die Regierung entscheidet, ob eine ausländische
Organisation als terroristisch oder als „legitime Befreiungsbewegung“
eingestuft wird, und dann entweder die Ermächtigung zur Strafverfolgung
erteilt oder nicht. Gleichzeitig sieht das Gesetz vor, dass kein Gericht
die Möglichkeit haben soll, diese Entscheidung der Regierung/Exekutive zu
überprüfen oder zu revidieren. Die Gerichte sollen diese Einschätzung
einfach hinnehmen. Außenpolitische Interessen entscheiden also über einen
etwaige Strafverfolgung. Dadurch ist politischer Willkür Tür und Tor
geöffnet. Das ist schlicht und einfach verfassungswidrig. In Bezug auf
kurdische Exilpolitiker_innen entschied das Bundesjustizministerium
zunächst, dass Personen, denen bestimmte Funktionen innerhalb der PKK
zugeordnet werden (z. B Gebietsverantwortliche), verfolgt werden können.
Diese Ermächtigung kann jedoch je nach politischem Willen erweitert werden.

Bei den Prozessen gemäß den §§ 129 und 129a StGB war es für die Gerichte
stets erforderlich zu beweisen, dass die Ziele der PKK auch in Deutschland
entweder auf die Begehung von Straftaten oder aber sogar sog.
terroristische Taten (§ 129a) gerichtet waren. Das ist bei Prozessen gemäß
§ 129b belanglos. Deshalb hat das Gericht nicht mehr die Frage zu
beantworten, ob die PKK in Deutschland Straftaten begeht. Die entscheidende
Voraussetzung für die Strafbarkeit ist die Frage, ob die PKK in der Türkei
bzw. überall dort, wo sie bewaffnet kämpft, eine terroristische Vereinigung
ist oder nicht. Die Gerichte in Deutschland sollen also über Vorgänge in
der Türkei oder anderswo entscheiden, obwohl sie kaum Kenntnisse über die
gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse und etwaige Konflikte sowie
deren historischen Entwicklungslinien und Hintergründe haben. Wie
verheerend das ist, wurde in dem Verfahren gegen Ali Ihsan Kitay deutlich.
Die Zeugen des Bundeskriminalamtes (BKA) und die Vertreter_innen der
Bundesanwaltschaft (BAW) gründeten die Anklage auf einseitige Ermittlungen,
Vorurteile und laienhaftes und zumeist veraltetes Halbwissen. Die
Richter_innen mussten ein ums andere Mal seitens des Angeklagten und der
Verteidigung über die Lage in der Türkei und Kurdistan aufgeklärt werden.
(weitere Informationen dazu finden sich in den Prozessberichten auf *
http://freiheitfueraliihsan.noblogs.org*)

Im § 129b ist geregelt, dass eine Vereinigung im Ausland dann als
terroristisch gilt, wenn ihr Handeln auf Mord (§ 211) oder Totschlag
(§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen
gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches)
gerichtet ist. Das ist der Aspekt, über den das OLG Hamburg im Verfahren
gegen Ali Ihsan Kitay und alle Gerichte in den weiteren Verfahren § 129b
entscheiden müssen.

Entscheidend bei den Verfahren gegen Kurd_innen ist, ob es sich bei der PKK
um eine terroristische Vereinigung oder eine legitime Befreiungsbewegung
handelt, die in einem bewaffneten Konflikt agiert. Von der kurdischen
Bewegung, Völkerrechtler_innen und der Linken sowie von den von § 129 b
betroffenen Kurd_innen und deren Verteidigungen wird die PKK als eine
Konfliktpartei in einem bewaffneten Konflikt mit dem türkischen Staat und
Militär, in dem beide Parteien Gewalt anwenden dürfen, gesehen. In einem
solchen Konflikt – also in einem Krieg – sind Tötungen (Mord und Totschlag)
erlaubt, wenn sie sich im Rahmen des humanitären Kriegsvölkerrechts bewegen
– also keine Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit
(siehe letzter Abschnitt) begangen werden. Auch Widerstand, wenn nötig auch
bewaffnet, gegen anhaltendes Unrecht und Tyrannei wird in der UN-Charta der
Menschenrechte, als legitim betrachtet. Die kurdische Bewegung leistet seit
mehr als 30 Jahren derartigen Widerstand.

*Der Prozess vor dem OLG Hamburg*

Interessanterweise haben die Richter_innen des OLG Hamburg in einer
Stellungnahme im Verlauf des Prozesses anerkannt, dass in der Türkei das
Selbstbestimmungsrecht der Kurd_innen verletzt wird. Zudem haben sie
die systematische
erneut zunehmende Anwendung von Folter und Begehung von
Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte, die seitens der
Verteidigung im Prozess ausführlich geschildert wurde, als erwiesen
angesehen. Auch Kriegsverbrechen, wie einen Chemiewaffeneinsatz im Mai
1999, bei dem 19 Guerillas der PKK starben, von dem im Prozess
Videoaufzeichnungen aus Armeekreisen gezeigt wurden, sahen die
Richter_innen als erwiesen an. Anhand von Video- und Funkaufzeichnungen
wurde deutlich, dass der heutige Generalstabschef Necdet Özel selbst den
Befehl zum Einsatz des Giftgases gab und Soldaten noch einen Tag später ihm
gegenüber per Funk bei der Bergung der Leichen von Resten des Gases und
eigenen Vergiftungserscheinungen sprachen. Eigentlich müssten also die
dafür verantwortlichen Politiker_innen, der Generalstabschef und
diejenigen, die mit systematischer Folter Verbrechen gegen die
Menschlichkeit begehen, in Deutschland vor Gericht stehen. Hier wird
deutlich, dass es sich bei den § 129b Verfahren nicht um Menschenrechte,
Recht oder die Verfolgung von etwaigen Straftaten, sondern um politische
motivierte Verfolgung (wie im ersten Spiegelstrich beschrieben) handelt.

Trotz alledem ist nach dem bisherigen Prozessverlauf davon auszugehen, dass
nicht nur die BAW in ihrem Plädoyer, sondern auch das Gericht, die PKK
nicht als Kriegspartei anerkennen wollen. So werden militärische Aktionen
der Guerilla im Rahmen von Gefechten als terroristisch betrachtet. Gleiches
gilt für Angriffe der Guerilla auf Einrichtungen militärischer und
polizeilicher Einheiten und Gebäude, die im Rahmen der Selbstverteidigung,
zum Schutz der Bevölkerung oder als Reaktion auf Angriffe von Polizei oder
Militär auf die Zivilbevölkerung erfolgen.

Gleichzeitig hat die BAW an Hand von mehr als vagen Quellen versucht, in
ihrem Plädoyer die Stadtguerillaorganisation Freiheitsfalken (TAK) als eine
Unterorganisation der PKK darzustellen. Dass die PKK sich seit Jahren von
der Politik und den Anschlägen der TAK, bei denen immer wieder
Zivilist_innen zu Schaden kommen, entschieden distanziert und die TAK
ihrerseits die PKK als zu friedlich bezeichnet, sei lediglich Taktik. In
der Äußerung mit freudschem Versprecher „Es ist unbestreitbar, dass die TAK
eine organisatorische Anbindung an die KPD hat,“ zeigte sich das ganze
Dilemma der vorurteilsbeladenen und absurden Argumentation der BAW, wobei
jedoch durchaus damit gerechnet werden muss, dass sich das Gericht dem
anschließen wird.

Eigentlich erwartet man bei einem derartigen Anklagekonstrukt – bei dem es
zum größten Teil um Ereignisse in einer dem Gericht nicht ausreichend
bekannten Region geht – dass in einer umfangreichen Beweisaufnahme
sachverständige Expert_innen sowie Zeugen aus der betroffenen Region gehört
werden. Als Zeugen lud das Gericht allerdings lediglich vier Beamte des
BKA, die ihre am Schreibtisch erworbenen Rechercheergebnisse präsentierten.
Deren Aussagen basierten im Wesentlichen auf einseitiger Ermittlung,
veralteter Recherche weiterer Beamten, unhinterfragbaren Internetquellen,
Vorurteilen sowie laienhaftem Halbwissen. Der Ermittlungsführer B., der die
Struktur und politische Entwicklung der PKK schildern sollte und deren
Handeln bewertete, sagte z. B., dass ihm die Texte der PKK zu ideologisch
wären und er diese nicht verstanden habe. Über die Verhältnisse vor Ort,
über die kurdischen Autonomieregionen im Nordirak oder die im türkischen
Parlament vertretene pro kurdische BDP (Partei für Frieden und Demokratie)
wusste er ebenfalls nichts zu berichten. Die weiteren BKA-Zeugen waren
ähnlich einseitig und unwissend.

Mit den entscheidenden völkerrechtlichen Aspekten und den Hintergründen des
Konflikts, die für ein § 129b Verfahren grundlegend sein sollten, hat sich
das Gericht nur dann beschäftigt, wenn es durch Anträge der Verteidigung
dazu gezwungen wurde. Das Hauptziel der Richter_innen war offensichtlich
die Einbindung Ali Ihsans in die Strukturen der PKK in Deutschland
nachzuweisen. Dazu wurden mit großem Eifer und sehr theatralisch alte
Urteile nach § 129 verlesen, stundenlang Telefonüberwachung angehört und
das Unwissen der BKA-Beamten als Expertenwissen deklariert. Die dabei
erlangten Erkenntnisse, wie z. B. das Organisieren von Demonstrationen (wie
z. B. das Newrozfest, dass Weltkulturerbe ist) durch Ali Ihsan, das
Bestellen eines Grills von Kiel nach Hamburg und das häufigere Schlichten
von Streitigkeiten, dienen schließlich dazu, seine Einbindung in die
PKK-Struktur zu beweisen. Es wurde wie in Aktenzeichen XY ein Bild von
einem Täter heraufbeschworen, der in die wohl geordnete bundesdeutsche Welt
einbricht. Nur, dass ihm keine Straftaten vorgeworfen werden und selbst
Schüler_innen und Lehrer_innen einer das Plädoyer der BAW beobachtenden
Schulklasse sich wunderten, wofür er eigentlich bestraft werden soll.
Insgesamt ist deutlich geworden, dass ganz normales Verhalten – oder auch
gewünschtes Sozialverhalten wie Streit zu schlichten, in dem Moment als
eine Straftat gewertet werden, wenn sie ein/e Kurd_in ausführt, die/der der
PKK zugeordnet wird.

Texte der BDP, der kurdischen Organisationen, der PKK, von Amnesty
International und dem Europäischen Parlament, die sich mit der
Menschenrechtslage in der Türkei beschäftigen, wurden aus dem öffentlichen
Prozess ins Selbstleseverfahren ausgelagert. (weitere Informationen dazu
finden sich in den Prozessberichten auf *
http://freiheitfueraliihsan.noblogs.org*) Die Anträge der Verteidigung auf
Anhörung von Sachverständigen zu den Verhältnissen in den kurdischen
Regionen wurden sämtlich abgelehnt.

Das Bündnis Freiheit für Ali Ihsan fordert die sofortige Freilassung von
Ali Ihsan Kitay und sämtlichen politischen Gefangenen. Die Kriminalisierung
der kurdischen ExilpolitikerInnen und die unverantwortliche
Herangehensweise der Bundesanwaltschaft in diesem Prozess tragen dazu bei,
dass politische Hinrichtungen, wie die Morde an Sakine Cansız, Fidan Doğan
und Leyla Şaylemez am 9. Januar in Paris, durchgeführt werden können. Wir
trauern mit den Familien und der kurdischen Bevölkerung um die in Paris
ermordeten revolutionären Frauen. Diese standen für ein respektvolles
bewusstes Zusammenleben, Bildung, die Befreiung der Frau und einen
Friedensdialog. Sie wurden im Rahmen der Verteilungskriege im Mittleren
Osten und einer Vernichtungsstrategie der aktuellen türkischen
Regierungspartei AKP gegenüber den KurdInnen gezielt hingerichtet.

Deshalb fordern wir jetzt erst recht:

*Weg mit dem PKK Verbot! Freiheit für alle politischen Gefangenen!*

*Freispruch für Ali Ihsan!*

*Freiheit für Öcalan – Frieden in Kurdistan!*
-------------- next part --------------
An HTML attachment was scrubbed...
URL: </pipermail/imc-presse/attachments/20130213/5afc3338/attachment-0001.htm>
-------------- next part --------------
A non-text attachment was scrubbed...
Name: PM Urteil im ? 129 b Verfahren gegen Ali Ihsan Kitay.pdf
Type: application/pdf
Size: 123514 bytes
Desc: not available
URL: </pipermail/imc-presse/attachments/20130213/5afc3338/attachment-0001.pdf>


More information about the imc-presse mailing list