[imc-presse] (no subject)

hamburger appell hamburger.appell at gmail.com
Tue Apr 16 12:31:14 CEST 2013


* *

Für Rückfragen stehen wir Ihnen per e-mail oder auf Anfrage auch gerne
telefonisch zur Verfügung

Weitere Informationen und die Möglichkeit zur Unterschrift finden Sie auf

http://www.hamburgerappell.blogspot.de/

*
*

*Hamburger Appell*

*Für eine friedliche Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts *

*ist ein Dialog sämtlicher beteiligter Akteure notwendig*

*Das Urteil im § 129b Verfahren vor dem *

*Oberlandesgericht (OLG) Hamburg ist das falsche Zeichen*


   -

   Die UnterzeichnerInnen des Hamburger Appels sind gemeinsam der Ansicht,
   dass die kurdische Frage ausschließlich durch einen Dialog gelöst werden
   kann.


   -

   Um den erneut zwischen der türkischen Regierung und Abdullah Öcalan
   sowie der PKK begonnenen Dialog zu fördern, der auch von der Europäischen
   Kommission und dem Europaparlament begrüßt wird, ist es notwendig die am
   Konflikt beteiligten politischen Akteure auch als solche anzuerkennen.


   -

   Die PKK ohne Berücksichtigung ihrer politischen Ausrichtung und
   Dialogorientierung als terroristisch zu stigmatisieren, ist einem solchen
   Dialog hinderlich.


   -

   Auch die Kriminalisierung kurdischer ExilpolitikerInnen und der PKK in
   Europa sind für einen Dialog sehr kontraproduktiv. Dadurch werden lediglich
   diejenigen Kräfte gefördert, die eine Annäherung der Konfliktparteien mit
   allen Mitteln verhindern wollen. Das wurde in besorgniserregender Weise
   Anfang Januar 2013 im Rahmen der politischen Hinrichtungen der kurdischen
   Politikerinnen Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez erneut
   deutlich. Diese wurden Berichten zufolge offenbar durch den türkischen
   Geheimdienst und/oder den eines anderen Landes begangen.


   -

   Der § 129 b ist verfassungswidrig. Durch ihn wird die Gewaltenteilung
   aufgehoben. Da das Bundes-ministerium der Justiz eine
   Verfolgungsermächtigung für Verfahren gemäß § 129 b erteilt, an die die
   Gerichte gebunden sind, entscheiden außenpolitische Interessen über eine
   etwaige Strafverfolgung. Dadurch ist politischer Willkür Tür und Tor
   geöffnet.


   -

   Die Verurteilung des kurdischen Exilpolitikers Ali Ihsan Kitay im ersten
   in der Bundesrepublik zu Ende geführten § 129 b Prozess gegen KurdInnen vor
   dem OLG Hamburg (Mitte Februar 2013) ist ein einseitiges und falsches
   Signal in Richtung Türkei.


   -

   Es ist positiv zu werten, dass das OLG Hamburg die Verletzung des
   Selbstbestimmungsrechts der KurdInnen sowie die anhaltenden staatlichen
   Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen bis hin zum Einsatz von
   Chemiewaffen (u.a. einen 1999 vom jetzigen Generalstabschef Necdet Özel
   befehligten Chemiewaffeneinsatz in Cukurca) in der Türkei als erwiesen
   ansieht und die Straflosigkeit der Täter aus den Reihen von Polizei und
   Militär kritisiert. Dass daraus in der mündlichen Urteilsbegründung
   allerdings keine Konsequenzen in Hinsicht auf die völkerrechtliche und
   juristische Einordnung und Wertung des Konflikts folgten, sehen wir als
   vergebene Chance und verantwor-tungslos.

*Sollten sich die folgenden Aspekte der mündlichen Urteilsbegründung auch
im schriftlichen Urteil, das in einigen Monaten zugestellt wird,
wiederfinden, sehen und kritisieren wir das mit großer Sorge:*

   -

   Die seitens des OLG in der mündlichen Urteilsbegründung ausgesprochene
   Nichtaner-kennung der Anwendung des Artikels 1 Abs. 4 des 2.
   Zusatzprotokolls der Genfer Konventionen auf die PKK sehen wir als Fehler.
   Ähnlich wie dem ANC, den PalästinenserInnen und weiteren afrikanischen
   Befreiungsbewegungen sollte auch der PKK der Kombattantenstatus im
   Widerstand gegen anhaltendes Unrecht und Tyrannei zugestanden werden. Der
   Kombattantenstatus bedeutet, dass eine Bewegung als Konfliktpartei in
   einem bewaffneten Konflikt anerkannt wird, in dem beide Parteien Gewalt
   anwenden dürfen. In einem solchen Konflikt – also in einem Krieg – sind
   Tötungen erlaubt, wenn sie sich im Rahmen des humanitären
   Kriegsvölkerrechts bewegen. Die Unterdrückungspolitik der türkischen
   Regierungen ist seit Staatsgründung rassistisch motiviert und hat
   kolonialistische Ausmaße, wie auch im Verfahren seitens Ali Ihsan Kitay und
   der Verteidigung eindrücklich geschildert wurde. Zudem finden anhaltende
   systematische Angriffe auf die Zivilbevölkerung statt.


   -

   Offenbar um die für ein § 129 b-Verfahren (Mitgliedschaft oder
   Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland) angemessene
   Beschäftigung mit der Situation in der Türkei sowie dem Völkerrecht zu
   umgehen, hat das OLG Hamburg die Ladung von Sachverständigen verweigert.
   Als Zeugen wurden lediglich vier Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA)
   gehört, die ungenau und einseitig (asymmetrisch) ermittelt hatten und auf
   veraltetes Wissen zurückgriffen. Durch ein solches Vorgehen konnte eine
   Einschätzung der gesellschaftlichen Situation in der Türkei und der
   Handlungsmotive der politischen Akteure nicht stattfinden. Dies wäre jedoch
   die Voraussetzung gewesen, um die Handlungen der PKK bewerten und
   beurteilen zu können, wie es im § 129 b absurder Weise vorausgesetzt wird.


   -

   Die in der mündlichen Urteilsbegründung vorgenommene Einordnung der
   Stadtguerillaorganisation Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) als
   Unterorganisation der PKK widerspricht im Prozess vorgelegten Dokumenten
   sowie ExpertInnenwissen, den Einschätzungen führender PolitikerInnen und
   Studien wissenschaftlicher Stiftungen. Die PKK hat sich mehrfach von der
   TAK und deren Anschlagspraxis, bei der auch Zivilisten getötet werden,
   distanziert. Das Gericht begründete die Zuschreibung der TAK zur PKK
   lediglich anhand von Spekulationen. Eine solche Vorgehensweise widerspricht
   verantwor-tungsvollem Abwägen und der Unschuldsvermutung.


   -

   Sollten sich die Wertungen des Gerichts in der schriftlichen
   Urteilsbegründung wiederfinden, kann dies nur als politisch motivierte
   Herangehensweise eines Gerichts jenseits rechtstaatlicher Normen gewertet
   werden.


   -

   Sowohl im Verfahren wie in der mündlichen Urteilsbegründung wurde
   deutlich, dass das OLG Hamburg entsprechend der von der Bundesregierung
   vorgegebenen politischen Interessenlage, die die Motivation des Handelns
   der PKK auf „Mord und Totschlag“ gedeutet hat, ohne die politische
   Ausrichtung, Geschichte und Entwicklung der Politik der Organisation und
   die Situation in der Türkei in Betracht zu ziehen und zu würdigen. Das
   halten wir in Anbetracht der „Schwere“ des § 129b und gerade in einer
   sensiblen Dialogphase für verantwortungslos

*
*

*Wir setzen uns ein für:*


   -

   Die Unterstützung des Friedensdialogs zwischen VertreterInnen der
   türkischen Regierung, Abdullah Öcalan und VertreterInnen der PKK, durch
   eine Politik der Entspannung und des Dialogs mit den KurdInnen in der
   Bundesrepublik und Europa.


   -

   Die Aufhebung der Verfolgungsermächtigungen gemäß § 129 b gegen
   kurdische ExilpolitikerInnen durch das Bundesministerium der Justiz.


   -

   Die Beendigung der Kriminalisierung kurdischer ExilpolitikerInnen in der
   Bundesrepublik und Europa.


   -

   Die Aufhebung des PKK-Verbots in der Bundesrepublik.


   -

   Die Anerkennung der PKK als Konfliktpartei in einem bewaffneten Konflikt
   mit dem türkischen Staat und Militär, in dem beide Parteien gemäß
   „Humanitärem Kriegsvölkerrecht“ handeln können.


   -

   Die Anerkennung der völkerrechtlichen Legitimität des Widerstands der
   PKK gemäß dem 2. Zusatzprotokoll Artikel 1 Absatz 4 der Genfer Konventionen.


   -

   Die Abschaffung des § 129 b, der durch die ihm innewohnende Aufhebung
   der Gewaltenteilung verfassungswidrig ist. Da dass Bundesministerium der
   Justiz eine Verfolgungsermächtigung für Verfahren gemäß § 129 b erteilt, an
   die die Gerichte gebunden sind, entscheiden außenpolitische Interessen
   über eine etwaige Strafverfolgung. Dadurch ist politischer Willkür Tür und
   Tor geöffnet.


 *ErstunterzeichnerInnen:*

*Professor Dr. Norman Paech, Völkerrechtler, Hamburg*

*Rolf Becker, Schauspieler, ver.di Hamburg, FB 8, OVV
(Ortsvereinsvorstand), *

*Heinz Jürgen Schneider, Rechtsanwalt, Hamburg*

*Britta Eder, Rechtsanwältin, Hamburg*

*Dr. Gerd Garweg, Arzt, Hamburg *

*Maria Garweg, Menschenrechtlerin, Hamburg*

*Cansu Özdemir, Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft, DIE LINKE*

*Christian Arndt, Pastor, Hamburg*

*Martin Dolzer, Soziologe, Hamburg*

*Wolfgang Struwe, Informationsstelle Kurdistan (isku), Hamburg*

*Antje Steinberg, Lehrerin GEW, Bremen *

*Anita Friedetzky, Lehrerin, GEW, Hamburg *

*Anja Flach, Autorin, Hamburg*

*Irfan Cüre, Journalist, Hamburg*

*Heidrun Dittrich, Mitglied des Bundestags (MdB) DIE LINKE,
Seniorenpolitische Sprecherin*

*Andrej Hunko, MdB DIE LINKE, **Mitglied der Parlamentarischen Versammlung
des Europarats*

*Ulla Jelpke, MdB DIE LINKE, Innenpolitische Sprecherin*

*Peter Strutynski, Friedensforscher*

*Marion Padua, Stadträtin Nürnberg, Linke Liste*

*Heike Geisweid, Rechtsanwältin, Bochum*

*Prof. Dr. Armin Rieser, Bonn*

*Ali Atalan, Bundessprecher der BAG Frieden und internationale Politik DIE
LINKE*

*Club der kurdischen Schriftsteller und Künstler e.V*

*YXK Verband der Studierenden Hamburg e.V.*

*Bundesausschuss Friedensratschlag*



*Hintergründe zum § 129b Prozess gegen Ali Ihsan Kitay*

*Vermeintlich „mildes“ Urteil – politisch gewollte Kriminalisierung*

In dem im August 2012 vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg begonnenen
Prozess gegen den kurdischen Politiker Ali Ihsan Kitay wurde am Mittwoch,
den 13. Februar, das Urteil gesprochen. Die RichterInnen befanden den
47-jährigen Kurden schuldig, in den Jahren 2007 und 2008 die kurdische
Arbeiterpartei PKK in Norddeutschland geleitet zu haben. Gegen Kaution
wurde Kitay bis zur Entscheidung über die Revision aus der
Untersuchungshaft entlassen. Straftaten in Deutschland werden dem nach
Paragraph 129b Strafgesetzbuch (Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung im Ausland) Angeklagten nicht vorgeworfen.


*Dieser Prozess muss als Pilotverfahren gesehen werden. *

Vier weitere Kurden stehen momentan in Stuttgart, Düsseldorf und Berlin
ebenfalls gemäß §129b vor Gericht, in zwei weiteren „Fällen“ wurde bereits
Anklage erhoben. Erste Grundsatzent-scheidungen wurden vor dem OLG Hamburg
getroffen – in einigen der jetzt anhängigen und weiteren etwaigen Verfahren
drohen weit höhere Strafen.

*Gericht sieht Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen als erwiesen
an*

Das für einen Paragraph 129 b Prozess zunächst milde wirkende Strafmaß des
Urteils begründeten die fünf RichterInnen des OLG Hamburg mit der
persönlichen Lebensgeschichte Ali Ihsan Kitays. Insbesondere die in 20
Jahren Haft in der Türkei erlittene Folter und seine persönliche Motivation
gegen kontinuierliche Unterdrückung Widerstand leisten zu müssen, um
Überleben zu können, wären dafür maßgeblich gewesen, hieß es in der
Urteilsbegründung. Auch die im Verfahren von der Verteidigung und Kitay
selbst geschilderte Assimilationspolitik, die anhaltende Folterpraxis,
Kriegsverbrechen, Fälle von Verschwindenlassen sowie die anhaltende
systematische Unterdrückung der kurdischen Kultur in der Türkei, die die
RichterInnen als erwiesen ansehen, hätten sich strafmildernd ausgewirkt.
„Zum Teil hatten wir den Eindruck die Türkei sitzt hier vor Gericht“,
bemerkte der Vorsitzende Richter diesbezüglich. Das OLG zog daraus jedoch
leider nicht die notwendigen Schlussfolgerungen. (s.u.)

*§129 b gegen kurdische ExilpolitikerInnen – Was bedeutet das konkret?*

Durch den § 129b wird die Gewaltenteilung zwischen Regierung/Exekutive und
Justiz/Judikative aufgehoben. Normalerweise entscheidet ein Gericht
darüber, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht – im Fall des § 129 b
entscheidet das jedoch das Bundesministerium für Justiz (BMJ). Das Gesetz
sieht vor, dass die Regierung entscheidet, ob eine ausländische
Organisation als terroristisch oder als „legitime Befreiungsbewegung“
eingestuft wird, und dann entweder die Ermächtigung zur Strafverfolgung
erteilt oder nicht. Gleichzeitig sieht das Gesetz vor, dass kein Gericht
die Möglichkeit haben soll, diese Entscheidung der Regierung/Exekutive zu
überprüfen oder zu revidieren. Die Gerichte sollen diese Einschätzung
einfach hinnehmen. Außenpolitische Interessen entscheiden über einen
etwaige Strafverfolgung. Dadurch ist politischer Willkür Tür und Tor
geöffnet. Das ist schlicht und einfach verfassungswidrig. In Bezug auf
kurdische ExilpolitikerInnen entschied das Bundesjustizministerium
zunächst, dass Personen, denen bestimmte Funktionen innerhalb der PKK
zugeordnet werden (z. B Gebietsverantwortliche), verfolgt werden können.
Diese Ermächtigung kann jedoch je nach politischem Willen erweitert werden.

Bei den Prozessen gemäß den §§ 129 und 129a StGB war es für die Gerichte
stets erforderlich zu beweisen, dass die Ziele der PKK auch in Deutschland
entweder auf die Begehung von Straftaten oder aber sogar sog.
terroristische Taten (§ 129a) gerichtet waren. Das ist bei Prozessen gemäß
§ 129b belanglos. Deshalb hat das Gericht nicht mehr die Frage zu
beantworten, ob die PKK in Deutschland Straftaten begeht. Die entscheidende
Voraussetzung für die Strafbarkeit ist die Frage, ob die PKK in der Türkei
bzw. überall dort, wo sie bewaffnet kämpft, eine terroristische Vereinigung
ist oder nicht.

*Gerichte entscheiden ohne notwendiges Hintergrundwissen*

Die Gerichte in Deutschland sollen über Vorgänge in der Türkei oder
anderswo entscheiden, obwohl sie kaum Kenntnisse über die
gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse und etwaige Konflikte sowie
deren historischen Entwicklungslinien und Hintergründe haben. Wie
verheerend das ist, wurde in dem Verfahren gegen Ali Ihsan Kitay deutlich.
Die Zeugen des Bundeskriminalamtes (BKA) und die VertreterInnen der
Bundesanwaltschaft (BAW) gründeten die Anklage auf einseitige
(assymetrische) Ermittlungen, Vorurteile und laienhaftes und zumeist
veraltetes Halbwissen. Die RichterInnen mussten ein ums andere Mal seitens
des Angeklagten und der Verteidigung über die Lage in der Türkei und
Kurdistan aufgeklärt werden. (weitere Informationen dazu finden sich u.a.
in Prozessberichten auf der Seite eines breiten Bündnisses, dass den
Prozess begleitet hat - *http://freiheitfueraliihsan.noblogs.org*)

*Der § 129 b*

Im § 129b ist geregelt, dass eine Vereinigung im Ausland dann als
terroristisch gilt, wenn ihr Handeln auf Mord (§ 211) oder Totschlag
(§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstraf-gesetzbuches) oder Verbrechen
gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches)
gerichtet ist. Das ist der Aspekt, über den das OLG Hamburg im Verfahren
gegen Ali Ihsan Kitay und alle Gerichte in den weiteren Verfahren § 129b
entscheiden müssen.

Entscheidend bei den Verfahren gegen KurdInnen ist, ob es sich bei der PKK
um eine terroristische Vereinigung oder eine legitime Befreiungsbewegung
handelt, die in einem bewaffneten Konflikt agiert. Von der kurdischen
Bewegung, VölkerrechtlerInnen und der Linken sowie von den von § 129 b
betroffenen KurdInnen und deren Verteidigungen wird die PKK als eine
Konfliktpartei in einem bewaffneten Konflikt mit dem türkischen Staat und
Militär, in dem beide Parteien Gewalt anwenden dürfen, gesehen. In einem
solchen Konflikt – also in einem Krieg – sind Tötungen (Mord und Totschlag)
erlaubt, wenn sie sich im Rahmen des humanitären Kriegsvölkerrechts bewegen
– also keine Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit
begangen werden. Auch Widerstand, wenn nötig bewaffnet, gegen anhaltendes
Unrecht und Tyrannei wird in der UN-Charta der Menschenrechte, als legitim
betrachtet. Die kurdische Bewegung leistet seit mehr als 30 Jahren
derartigen Widerstand.

*Der Prozess vor dem OLG Hamburg*

Interessanterweise haben die RichterInnen des OLG Hamburg in einer
Stellungnahme im Verlauf des Prozesses anerkannt, dass in der Türkei das
Selbstbestimmungsrecht der KurdInnen verletzt wird. Zudem haben sie
die systematische
erneut zunehmende Anwendung von Folter und Begehung von
Menschenrechts-verletzungen durch Sicherheitskräfte, die seitens der
Verteidigung im Prozess ausführlich geschildert wurde, als erwiesen
angesehen. Auch Kriegsverbrechen, wie einen Chemiewaffeneinsatz im Mai
1999, bei dem 19 Guerillas der PKK starben, von dem im Prozess
Videoaufzeichnungen aus Armeekreisen gezeigt wurden, sahen die RichterInnen
als erwiesen an. Anhand von Video- und Funkaufzeichnungen wurde deutlich,
dass der heutige Generalstabschef Necdet Özel selbst den Befehl zum Einsatz
des Giftgases gab und Soldaten noch einen Tag später ihm gegenüber per Funk
bei der Bergung der Leichen von Resten des Gases und eigenen
Vergiftungserscheinungen sprachen.

Eigentlich müssten also die dafür verantwortlichen PolitikerInnen, der
Generalstabschef und diejenigen, die mit systematischer Folter Verbrechen
gegen die Menschlichkeit begehen, in Deutschland vor Gericht stehen. In
diesem Zusammenhang wird deutlich, dass es bei den § 129b Verfahren nicht
um die Gewährung von Menschenrechten und Recht oder die Verfolgung von
etwaigen Straftaten geht, sondern um politische motivierte Verfolgung
handelt.

*Haltlose Einschätzung des Gerichts – Die TAK sei eine Unterorganisation
der PKK*

Um eine tiefer gehende Beschäftigung mit der politischen Entwicklung und
den inhaltlichen Zielen der PKK zu umgehen, bezeichnete das OLG die
Stadtguerillaorganisation TAK (Freiheitsfalken Kurdistans) als
Unter-organisation der PKK. Die Distanzierungen der PKK von der Politik und
den Anschlägen der Stadtguerillaorganisation TAK, bei denen auch immer
wieder ZivilistInnen getötet werden, seien zumindest bis 2010 nur taktisch
gewesen, so die Argumentation der RichterInnen. Selbst der für die TAK
zuständige Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) wollte im Verfahren
nicht so weit gehen: „Es gibt Indizien, dass die TAK eine Unterorganisation
der PKK sein könnte,“ so seine Aussage. Gut eine Stunde verlasen die
RichterInnen Berichte von Anschlägen der TAK – die hauptsächlich die
städtische Front der PKK im Westen der Türkei sei. In diesem längsten
Abschnitt der Urteilsbegründung sollte offenbar nach bester Aktenzeichen XY
Manier die Orientierung der PKK auf Mord und Totschlag festgeschrieben
werden. Europäische Türkeiexperten sowie der Berater des ehemaligen
türkischen Regierungschefs Turgut Özal, Cengiz Candar, betonen dagegen die
unterschiedlichen politischen Ziele von TAK und PKK. Die Verteidigung
zitierte im Prozess Dokumente, die die organisatorische Unabhängigkeit der
TAK belegen. Auch Wikileaks veröffentlichte in den „Global Intelligence
Files“ eine E-Mail der oft als Privatableger der CIA bezeichneten Agentur
Stratfor, in der eine Quelle aus dem Nordirak diese Einschätzung bestätigt.
Deren Vorgehen erinnere von der Rhetorik und der Anschlagspraxis eher an
die Methoden des „Tiefen Staates“, heißt es dort.

Auch die BAW hatte an Hand von mehr als vagen Quellen versucht, in ihrem
Plädoyer die Stadtguerillaorganisation Freiheitsfalken (TAK) als eine
Unterorganisation der PKK darzustellen. In der Äußerung mit freudschem
Versprecher „Es ist unbestreitbar, dass die TAK eine organisatorische
Anbindung an die KPD hat,“ zeigte sich das ganze Dilemma der
vorurteilsbeladenen und absurden Argumentation der BAW.

Das OLG wertete auch militärische Aktionen der Guerilla im Rahmen von
Gefechten als terroristisch. Gleiches gilt für Angriffe der Guerilla auf
Einrichtungen militärischer und polizeilicher Einheiten und Gebäude, die im
Rahmen der Selbstverteidigung, zum Schutz der Bevölkerung oder als Reaktion
auf Angriffe von Polizei oder Militär auf die Zivilbevölkerung erfolgten.

*Keine Sachverständigen geladen*

Eigentlich erwartet man bei einem derartig schwerwiegenden Anklagekonstrukt
– bei dem es zum größten Teil um Ereignisse in einer dem Gericht nicht
ausreichend bekannten Region geht – dass in einer umfangreichen
Beweisaufnahme sachverständige ExpertInnen sowie Zeugen aus der betroffenen
Region gehört werden. Als Zeugen lud das Gericht lediglich vier Beamte des
BKA, die ihre am Schreibtisch erworbenen Rechercheergebnisse präsentierten.
Deren Aussagen basierten im Wesentlichen auf einseitiger (asymmetrischer)
Ermittlung, veralteter Recherche weiterer Beamten, unhinterfragbaren
Internetquellen, Vorurteilen sowie laienhaftem Halbwissen.

Der Ermittlungsführer B., der die Struktur und politische Entwicklung der
PKK schildern sollte und deren Handeln bewertete, sagte z. B., dass ihm die
Texte der PKK zu ideologisch wären und er diese nicht verstanden habe. Über
die Verhältnisse vor Ort, über die kurdischen Autonomieregionen im Nordirak
oder die im türkischen Parlament vertretene pro kurdische BDP (Partei für
Frieden und Demokratie) wusste er ebenfalls nichts zu berichten. Die
weiteren BKA-Zeugen verhielten sich ähnlich einseitig und unwissend.

Mit den entscheidenden völkerrechtlichen Aspekten und den Hintergründen des
Konflikts, die für ein § 129b Verfahren grundlegend sein sollten, hat sich
das Gericht nur dann beschäftigt, wenn es durch Anträge der Verteidigung
dazu gezwungen wurde. Das Hauptziel der RichterInnen war offensichtlich die
Einbindung Ali Ihsans in die Strukturen der PKK in Deutschland
nachzuweisen. Dazu wurden alte Urteile nach § 129 verlesen, stundenlang
Telefonüberwachung angehört und das Unwissen der BKA-Beamten als
Experten-wissen deklariert. Die dabei erlangten Erkenntnisse, wie z. B. das
Organisieren von Demonstrationen (wie z. B. das Newrozfest, dass
Weltkulturerbe ist) durch Ali Ihsan, das Bestellen eines Grills von Kiel
nach Hamburg und das häufigere Schlichten von Streitigkeiten, dienten
schließlich dazu, seine Einbindung in die PKK-Struktur zu beweisen.

Texte der BDP, der kurdischen Organisationen, der PKK, von Amnesty
International und dem Europäischen Parlament, die sich mit der
Menschenrechtslage in der Türkei beschäftigen, wurden aus dem öffentlichen
Prozess ins Selbstleseverfahren ausgelagert. Die Anträge der Verteidigung
auf Anhörung von Sachver-ständigen zu den Verhältnissen in den kurdischen
Regionen wurden sämtlich abgelehnt.

In diesem Zusammenhang ist ebenfalls ersichtlich, wie hinderlich das vor 20
Jahren ausgesprochene Betätigungsverbot der PKK in der BRD ist. Es ist eine
nicht zu verleugnende Realität, dass die PKK in der Türkei und auch in der
europäischen Exilcommunity eine Massenbasis hat. Durch dieses Verbot und
seine Folgen werden die in der Verfassung garantierten Rechte auf
„Vereinigung“ und „freie Meinungsäußerung“ stark eingeschränkt. Ein
Großteil der KurdInnen ist dadurch täglich direkter oder indirekter
Repression ausgesetzt. 20 Jahre „PKK-Verbot“ haben gezeigt, dass eine
solche an den gesellschaftlichen Realitäten vorbeigehende Verbotspraxis
nicht zu einer Lösung des Konflikts beitragen kann, sondern im Gegenteil
zur Willkür gegenüber den und der Unterdrückung der KurdInnen beiträgt.
Deshalb besteht die Notwendigkeit, diese falsche Politik zu korrigieren.

*Gemeinsam sind wir der Ansicht, dass die skizzierte einseitige
Prozessführung in Anbetracht der Schwere des § 129 b verantwortungslos ist.
Ein solches Urteil, wie das des OLG Hamburg, ist gerade in einer sensiblen
Dialogphase von großer Relevanz und das falsche Signal. *
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