[imc-presse] PM - BKA ...denn sie wissen nicht was sie tun

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Mon Sep 17 11:44:58 CEST 2012


*Pressemitteilung*

*Bündnis Freiheit für Ali Ihsan *

*BKA: … denn sie wissen (nicht) was sie tun ! - Der 7. Tag im § 129 b
Prozess gegen den kurdischen Politiker Ali Ihsan Kitay*

Am 7. Verhandlungstag im Prozess gegen den kurdischen Politiker und
Aktivisten Ali Ihsan Kitay sagte der leitende Beamte des
Bundeskriminalamtes (BKA) zur Struktur der PKK, Herr B., als Zeuge aus. In
der Befragung des BKA Beamten durch die Verteidigung wurde deutlich, dass
dieser kaum Wissen über die politische Situation in der Türkei, Kurdistan
und den Mittleren Osten sowie die politische Entwicklung der PKK hat. Aus
seiner Unwissenheit heraus bringt er jedoch in verantwortungsloser Weise
Einschätzungen zur Struktur der PKK und der Gemeinschaft der Gesellschaften
Kurdistans (KCK) sowie deren politische Ziele in den Prozess ein.

„Dass die Einschätzungen eines derart unwissenden Polizeibeamten wesentlich
dazu beigetragen haben, dass das Bundesministerium für Justiz (BMJ) eine
bzw. meherere Verfolgungsermächtigungen gemäß § 129 b StGB (Mitgliedschaft
oder Unterstützung einer „terroristischen Vereinigung im Ausland) gegeben
hat, ist mehr als besorgniserregend. Allein in anbetracht der
undifferenzierten Herangehensweise des BKA Beamten Herr B. sollte der
Prozess gegen Ali Ihsan Kitay, wie sämtliche weiteren Verfahren gegen
KurdInnen gemaß § 129 b sofort ausgesetzt werden, da die Anklage und der
Haftbefehl in wesentlichen Teilen auf dessen Einschätzungen beruhen“,
kritisiert das „Bündnis Freiheit für Ali Ihsan“.

*Zur Verdeutlichung eine kommentierte Beschreibung der Zeugenaussage:*

Bezeichnend für das Selbstverständnis des leitenden „Strukturermittlers“
war die Antwort auf eine Frage der Verteidigung ob Teile des Inhalts eines
von ihm angeblich ausgewertenen Dokuments, ihn nicht zum Nachdenken über
seine Einschätzungen gebracht hätten. Dazu könne er nichts sagen, da es
sich bei dem Dokument um einen ideologisch geprägten Text gehandelt habe,
den er „ehrlich gesagt in großen Teilen nicht verstanden“ habe. Trotzdem
maßt sich der BKA Beamte B. jedoch an die Struktur und die politische
Entwicklung der PKK einschätzen zu können. Politisch oder
verfolgungstechnisch motivierter Willkür wurden und werden auf diese Weise
Tür und Tor geöffnet.

Herr B. musste bei Fragen der Verteidigung nach seinem Wissen über die
politischen Konzepte der PKK und der KCK letzlich eingestehen, dass er bei
seiner Beurteilung der Struktur hauptsächlich auf vor dem Jahr 2006
gesammeltes zusammengefasstes „Wissen“ weiterer BKA- Beamte zurückgegriffen
hat und neuere Entwicklungen lediglich anhand einer bruchstükhaften
Auswertung von Dokumenten der KCK einschätzt. Die Situation in der Türkei
und die konkrete Umsetzung der Politik von PKK und KCK habe er nicht
betrachtet, da ihm das nicht wichtig erschien. Er habe hauptsächlich nach
Straftaten ermittelt, so der leitende Beamte. Klar geworden ist, dass
seinerseits nur belastende Aspekte berücksichtigt und zum Inhalt seiner
Vermerke in den Prozessakten wurden. Entlastende Aspekte dagegen ließ er
nicht in seine Wertung einfliessen.

Weder von der kurdischen Autonomieregion im Nordirak, noch von
Menschenrechtsverletzungen oder der anhaltenden Assimilationspolitik sowie
Rassismus gegenüber der kurdischen Bevölkerung und der Verleugnung der
kurdischen Kultur in der Türkei wusste der BKAler. Auch über die mit 31
Abgeordneten im Parlament vertretenen Demokratischen Friedenspartei BDP
konnte Herr B. keine Auskunft geben. Völkerrechtliche Aspekte und
politische Hintergründe wären für seine Ermittlungen nicht relevant
gewesen, so der Beamte.

Fälschlicher Weise stellt Herr B. die PKK mit der KCK gleich. Diese hätte
schließlich die gleichen Gremienstrukturen und zumindest in kleinen Teilen
ähnliches Personal. Ausführlich beschrieb der Beamte dass jährliche
Parteiversammlungen stattfinden auf denen Beschlüsse gefasst werden, die
dann von den Untergliederungen umgesetzt werden sollen. „Das ist ja genau
wie bei der SPD“, kommentierten Zuschauer den Erkenntniswert dieser
Schilderung. Von der Verteidigung über die inhaltlichen Ziele der KCK oder
den Veränderungen in den Zielen der Politik der PKK gefragt musste der
„Experte“ für die Struktur der Organisation passen.

Das die türkische Regierung seit 2009 in der Türkei 6 ParlamentarierInnen
und 33 BürgermeisterInnen gemeinsam mit 8000 weiteren PolitikerInnen,
JournalistInnen, MenschenrechtlerInnen und Frauenrechtlerinnen als
vermeintliche KCK Mitglieder inhaftieren ließ konnte der Beamte ebenfalls
nicht berichten. Eine Kampagne der Vorgänerpartei der BDP, der DTP, unter
dem Motto „Edi Bese - Es reicht“ zur Freilassung Abdullah Öcalans ordnete
Herr B., entsprechend seiner Unkenntnis über die im Parlament vertretenen
kurdischen Parteien der PKK zu. Eine Kampagne der kurdischen Bewegung gegen
Ehrenmorde und für Frauenrechte war ihm auf Nachfrage der Verteidigung
gänzlich unbekannt. Auch über die Formierung des legalen Dachverbands
Demokratischer Gesellschaftskongress DTK hatte der BKAler kein Wissen.

Über das Konzept der Demokratischen Autonomie konnte der für die Anklage
mit entscheidende Zeuge ebenfalls nichts Näheres sagen. Er kam aber, ohne
es begründen zu können, zu der Einschätzung, dass sich an den Konzepten der
PKK seit Jahren nichts geändert hätte und diese auch mit dem Konzept der
Demokratischen Autonomie noch immer einen eigenen Staat anstrebe. Kein
Staat würde autonome Strukturen dulden, wie dies im Rahmen der
Demokratischen Autonomie angerstrebt würde. Eigene autonome Parlamente,
eine eigene Fahne und eine eigene Verwaltung würden Staaten grundsätzlich
nicht dulden. Die Tatsache, dass ähnliche Konzepte im Baskenland, in
Katalunien, in Schottland oder im Nordirak umgesetzt werden und sich in
Syrien derzeit Ähnliches entwickelt, entzog sich der Kenntnis des leitenden
Strukturbeamten, der auch in weiteren § 129 b StGB Verfahren gegen
kurdische AktivistInnen die entscheidenden Einschätzungen gab und geben
soll. Über Syrien wisse er aus dem Fernsehen. „Die PKK erhebt in den vier
Teilen Kurdistans einen Alleinvertretungsanspruch“, hatte der Beamte im
Vermerk in der Akte wenig fachkundig gedeutet. Auf die Frage der
Verteidigung wie er zu dieser Einschätzung komme, musste Herr B. passen,
nachdem er zuerst versuchte sich auf eine fehlende Aussagegenehmigung zu
berufen. Faktisch richtig ist dagegen, dass die PYD, eine Schwesterpartei
der PKK und die von dem Nordirakischen Kurdenpräsidenten Barzani
dominierten Kräfte in einem Bündnis Teile der kurdischen Region Syriens
verwalten und im Nordirak ebenfalls keinen Alleinvertretungsanspruch
erheben.

*Computer Dateien nicht verwertbar*

In der Befragung der Verteidigung ergab sich ebenfalls, dass bei
Computerdateien, die aus einem Rechtshilfeersuchen aus Belgien stammen,
deren Echtheit aller Wahrscheinlichkeit nicht mit computerforensischen
Standards entsprechenden Methoden erhoben wurden. Es ist den BKA- Beamten
allem anschein nicht möglich gewesen, VerfasserInnen oder auch
Originaldateinamen oder eine etwaige Veränderung des Ausgangsmaterials
nachzuvollziehen. Wenn jedoch nicht sichergestellt wurde, dass die
ausgewerteten Dateien den Originalen entsprechen, würde das dazu führen,
dass die daraus gewonenen Erkenntnisse nicht verwertbar wären. Herr B.
konnte dazu keine Auskunft geben, da er kein Fachmann für solche Details
sei. Die Erkenntnisse aus den Computerdateien der Rechtshilfeersuchen
flossen dagegen nicht unwesentlich in seine Gesamtwertung ein.

*Der 5. und 6. Prozesstag*

Am 5. Prozesstag sollte ein weiterer Zeuge des BKA aussagen. Da die BAW
jedoch einen Tag vor der Befragung drei neue Aktenordner zur Befragung des
Zeugen einreichte, wurde die Befragung auf Antrag der Verteidigung
verschoben. Bereits zu Anfang des Verfahrens hatte Rechtsanwalt Carsten
Gericke kritisiert, dass die BAW bewußt Akten zurückhalte, um diese in ihr
passenden Momenten aus dem Hut zu zaubern. Dadurch werde die
„Waffengleichheit“ im Verfahren verletzt, da der Verteidigung die nötige
Zeit zur Vorbereitung und Besprechung mit dem Mandanten genommen werde.

Am 6. Prozesstag sagte der die Hausdurchsuchung und Ermittlungen gegen Ali
Ihsan Kitay leitende Beamte des BKA aus. Auch dieser Beamte war nach
Kräften bemüht Ali Ihsan Kitay zu belasten. Zu Hintergründen des Konflikts
könne er nichts sagen, da dies nicht sein Aufgabenbereich gewesen sei. Der
BKALer wertete u.a. ein Telfongespräch in dem Ali Ihsan Kitay einem Freund,
der zu früh an einem Kundgebungsort war, riet einen Tee zu trinken, als
hierarchisches Verhältnis und Beleg für die Kadertätigkeit des
Beschuldigten.

Im Rahmen der Telefonüberwachung wäre auch ein Stille SMS gesendet worden,
die das Handy „öffnet“. Ob es dazu einen richterlichen Beschluss gab,
konnte der Zeuge nicht beantworten.

Bei der Hausdurchsuchung wurden mehrere USB Sticks und Computer gefunden -
auf denen sich u.a. Fotos befanden, die Ali Ihsan Kitay in Guerilla
Kleidung zeigen. Diese wären im Kandilgebirge im Nordirak entstanden, wo
sich Ali Ihsan Kitay im Jahr 2009 aufgehalten habe, so der Ermittler. Das
Verfahren gegen Ali Ihsan Kitay hätte lange Zeit keine Priorität gehabt.
Deshalb wäre es erst mehrere Jahre nach der vermuteten Kadertätigkeit zur
Verhaftung gekommen. Straftaten konnte auch dieser Zeuge keine vorwerfen.

Die Verteidigung widersprach der Verwertung der bei der Hausdurchsuchung
erhobenen Beweise, da diese weit nach der angeklagten Zeit (2007-2008) erst
im Jahr 2011 stattfand und auf eine rechtswidrige, da zu unspezifische
Weise angeordnet wurde. Das Gericht will zu einem späteren Zeitpunkt über
diesen „Verwertungswiderspruch“ entscheiden.

*Fazit*

„Es ist deutlich geworden, dass jeder der bisher befragten Beamten des BKA
lediglich den Auftrag hat sich mit den Angeklagten belastenden Teilaspekten
zu beschäftigen. Hintergründe und politische, völkerrechtliche wie auch
menschliche Konflikte, um die es im Prozess gehen sollte, werden
strukturell bedingt ausgblendet. Dass sich Beamten, die maßgeblich
verantwortlich für eine etwaige mehrjährige Inhaftierung von Menschen sein
können nicht im Geringsten mit der inhaltlichen Ausrichtung und Entwicklung
der von Ihnen kriminalisierten Organisation auskennen und sich
hauptsächlich im Bereich der Feinbildlogik und Straftatsuche bewegen, ist
systematisch bedingt und gewollt – jedoch völlig respekt- und
verantwortungslos. Man fühlt sich an die im Film Brazil geschilderte
Entmenschlichung im Rahmen einer paranoiden Verfolgungsmachinerie
erinnert“, schildert dass Bündnis Freiheit für Ali Ihsan Eindrücke der
Prozessbeobachtung. „Dass das BMJ auf einer so unfundierten Recherche eine
Verfolgungsermächtigung gemäß § 129 b erteilt ist nicht hinnehmbar.
Abgesehen davon ist § 129 b aufgrund der Aufhebung der Gewaltenteilung und
gravierender juristischer und handwerklicher Fehler verfassungswidrig.“

Erschreckend ist ebenfalls, dass die 5 RichterInnen des OLG nicht von der
Existenz der im türkischen Parlament vertretenen BDP wussten und immer
wieder versuchten den sichtlich verantwortungslosen Ermittler, vor ihm
unangenehmen Fragen zu „schützen“. Auch die RichterInnen zeigten bisher
kein Interesse an der notwendigen Auseinandersetzung mit politischen
Hintergründen und der Entwicklung der Ausrichtung der Politik der
kurdischen Bewegung sowie völkerrechtlichen Aspekten.


 Unsere Solidarität gegen Ihre Repression !

Freiheit für Ali Ihsan Kitay und alle politischen Gefangegen !

Frieden Kurdistan !
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