[imc-presse] PE: Verwaltungsgericht fechtet Sperrerklärung an

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Sat Mar 31 14:40:04 CEST 2012


Liebe Presse,

unten eine neue Presseerklärung des Arbeitskreis Spitzelklage zu den
aktuellen Entwicklungen der Klage gegen den Polizeispitzel Simon Bromma,
der über knapp ein Jahr hinweg heidelberger Politstrukturen ausspionierte.

schöne Grüße
Alex für den AK Spitzelklage


Presseerklärung des Arbeitskreises Spitzelklage:

Verwaltungsgericht verlangt Vorlage der kompletten Originalakten

Auf dem langen verwaltungsrechtlichen Weg zur unzweifelhaften
Feststellung, der Einsatz Verdeckter Ermittler_innen in Heidelberg (von
2009 bis 2010) sei unrechtmäßig gewesen, haben die sieben Kläger_innen
einen ersten Etappensieg errungen. Das von ihnen erstinstanzlich
angerufene Verwaltungsgericht Karlsruhe hat nun dem Innenministerium, das
die beklagte Seite vertritt, überraschenderweise bis zum 10.04.2012 ein
Ultimatum gestellt. Bis zu diesem Termin solle die federführende
Rechtsabteilung der Landespolizeidirektion innerhalb des
Regierungspräsidiums Karlsruhe eine schriftliche Stellungnahme abliefern
zu der Frage, weshalb im vorliegenden Falle § 99 Absatz 1, Satz 2 der VwGO
überhaupt zur Geltung kommen dürfe. In diesem mit „Sperrerklärung“
überschriebenen Paragraphen werden die behördliche Weitergabe von
„Urkunden oder Akten“ und die „Übermittlung elektronischer Dokumente“
geregelt. Auf folgenden Passus bezieht sich der Landespolizeipräsident
Professor Doktor Wolf Hammann, der die Begründung der Sperrerklärung im
Namen des Innenministers Reinhold Gall (SPD) am 13.12.2011 zu beglaubigen
hatte:
Die „zuständige oberste Aufsichtsbehörde [kann] die Vorlage von Urkunden
oder Akten, die Übermittlung der elektronischen Dokumente und die
Erteilung der Auskünfte verweigern, wenn das Bekanntwerden des Inhalts
dieser Urkunden, Akten, elektronischen Dokumente oder Auskünfte dem Wohl
des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn
die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten
werden müssen“.
Während wir immer wieder darauf hingewiesen hatten, dass wir weder eine
durch die Aktenfreigabe aktivierte Bedrohung des „Wohls des Bundes oder
eines deutschen Landes“ noch eine generelle „Geheimhaltungsbedürftigkeit“
der „polizeilichen Datenerhebung“ (in Form eines Verdeckten Ermittlers)
erkennen können, ist nun auch das Verwaltungsgericht in weiten Teilen
unserer Argumentation gefolgt.
Es hat nun von sich aus dem Innenministerium unmissverständlich zu
verstehen gegeben, dass es als unabhängige juristische Kammer die
kompletten „Originalakten in nicht geschwärzter und vollständiger Form“
vorgelegt bekommen muss, um in dieser Verwaltungsrechtssache überhaupt
objektiv entscheiden zu können. Die kompletten Akten bestehen aus
folgenden Teilen:
Teil A enthält die Akte der Polizeidirektion Heidelberg (mit der
Fuchsschen Einsatzanordnung und den damit verbundenen
allgemeinpolizeilichen Erkenntnissen über die vier Ziel- und
Kontaktpersonen der Maßnahme) und die internen Polizeiberichte nach der
Enttarnung des Verdeckten Ermittlers Simon Bromma.
Teil B besteht aus der Akte des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg, in
der die 15 Einsatzberichte Simon Brommas und die damit in unmittelbarem
Zusammenhang stehende Korrespondenz zu finden sind.
Bisher liegen dem Gericht und den Kläger_innen ausschließlich
Einsatzanordnung bzw. -verlängerungsanträge vor, die bis zu 80 %
geschwärzt sind. Sonst nichts.
Ganz in unserem Sinne ist für das Verwaltungsgericht in Karlsruhe die
Vorlage der Originalakten in nicht geschwärzter und vollständiger Form
„entscheidungserheblich“. Außerdem betont die 4. Kammer dieses Gerichts,
dass der „Einsatz des Polizeibeamten Simon Bromma als Verdeckter Ermittler
(VE) mit dem Decknamen Simon Brenner in der Zeit von - mindestens - April
2010 bis zum 12.12.2010“ auch gegen jene Klagenden gerichtet war, die
nicht „Zielperson“ des Einsatzes waren. Damit wirkt sie bereits zu diesem
frühen Zeitpunkt dem Versuch des Landespolizeipräsidiums entgegen, die
Klage der sechs nicht als „Zielperson“ definierten Kläger_innen als
unzulässig abzuschmettern. Und die Kammer geht noch weiter: Wenn die
Rechtsgrundlage für eine solche „verdeckte Datenerhebung“ § 22 Abs. 3 des
baden-württembergischen Polizeigesetzes bildet, dann müsse diesem
VE-Einsatz zwingend eine „ausreichende Einsatzanordnung“ zugrunde liegen
und der Einsatz selbst „in seiner Ausführung auch von der Anordnung
gedeckt sein“. Die vom Gericht zu klärende Frage, ob die „Zulässigkeit der
Klage als allgemeine Feststellungsklage“ zu verneinen oder zu bejahen sei,
sei nämlich davon abhängig, ob der „Verdeckte Ermittler ... ohne die
Datenerhebung legitimierende Anordnung“ gegen die Kläger_innen ermittelt
habe. Und das lasse sich eben mit den bisher vorliegenden Aktenrudimenten
in keiner Weise nachprüfen.
Im Übrigen unterstreicht das Verwaltungsgericht unseren Standpunkt, wonach
der Verdeckte Ermittler Simon Bromma in seiner Funktion als Polizist an
sich schon eine polizeiliche Datenerhebung verkörpert (siehe PE des AKS
vom 19.03.2012). Durch die Angabe Brommas, dass er während seines
Einsatzes Datensätze über alle Personen angelegt hatte, von denen er laut
eigener Aussage am 12.12.2010 mehr als nur den Vornamen wusste, werde
„deutlich, dass nicht nur möglicherweise allein in der Einsatzanordnung
genannte Personen Ziel des Einsatzes gewesen seien, sondern (spätestens)
im Laufe des Einsatzes weitere Personen zu Zielpersonen geworden,
jedenfalls aber von ihnen Daten durch den Verdeckten Ermittler erhoben
worden seien“.
Das Schreiben des Verwaltungsgerichts an das Regierungspräsidium Karlsruhe
endet mit dem Satz:
„Eine rechtliche Überprüfung aufgrund des vom Beklagten übermittelten
»Aktenrests«, der noch nicht einmal eine rudimentäre Feststellung des
zugrunde liegenden Sachverhalts zulässt, ist nicht möglich.“

Dieser Position wollen wir uns hiermit anschließen und darauf hinweisen,
dass der Ausgang eines wie auch immer durchgeführten „In
camera“-Verfahrens*, bei dem vor dem Oberverwaltungsgericht Mannheim unter
Ausschluss der Öffentlichkeit die Entscheidung über die Zulässigkeit
dieser Sperrerklärung gefällt werden soll, dadurch offener denn je wird.

Wir verlangen weiterhin die vollständige und ungehinderte Aufklärung des
Spitzeleinsatzes.

Bei weiteren Fragen oder Unklarheiten stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung:
Arbeitskreis Spitzelklage | ak-spitzelklage at riseup.net |
http://spitzelklage.blogsport.de
Pressekontakt: M. Dandl (0162 9154917)

Heidelberg, 31.03.2012

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* Ein „In camera“-Verfahren (lat. in camera für in der Kammer, also
„geheim“) ist nach deutschem Recht ein besonderes Zwischenverfahren im
Verwaltungsprozess, in dem die Geheimhaltungsbedürftigkeit im
Gerichtsverfahren überprüft wird. Dabei lässt sich das Gericht
Informationen (Unterlagen, Akten usw.) vorlegen, die weder der
Öffentlichkeit noch den Beteiligten der Streitsache bekannt gegeben oder
zugänglich gemacht werden. Die entscheidungserheblichen Informationen sind
dann nur für die Augen des Gerichtes bestimmt und verbleiben also „in der
Kammer“. Im Ergebnis des „In camera“-Verfahrens wird festgestellt, ob die
Behörde - in unserem Falle die oberste Dienstaufsichtsbehörde der
Polizeidienststellen Baden-Württembergs (das Innenministerium) - die
Unterlagen zu Recht geheim halten darf.



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