[imc-presse] [attac-d-presse] Mehr als 50 Wissenschaftler kritisieren Krisenpolitik

Frauke Distelrath presse at attac.de
Wed Nov 9 12:38:00 CET 2011


Pressemitteilung
Attac Deutschland
Frankfurt am Main, 9. November 2011



* Mehr als 50 Wissenschaftler kritisieren Krisenpolitik in Stellungnahme
* Akademiker rufen dazu auf, die Occupy-Bewegung aktiv zu unterstützen

"Finanzmärkte regulieren und Einkommen gerecht verteilen" – unter diesem
Titel haben mehr als 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
verschiedener Disziplinen am heutigen Mittwoch eine gemeinsame
Stellungnahme zur Finanz- und Eurokrise veröffentlicht
(www.stellungnahme-zur-krisenpolitik.de). In dem Text kritisieren sie
die aktuelle Krisenpolitik scharf und fordern die Bürgerinnen und Bürger
dazu auf, die Occupy-Bewegung aktiv zu unterstützen.

"Die Krisenpolitik der EU ist eine politische Bankrott-Erklärung. Es
handelt sich um eine destruktive Rezessionspolitik, die zum Scheitern
verurteilt ist. Diese Politik verschärft die Krise nur weiter und löst
zudem eine tiefe soziale und demokratische Krise aus", sagte Andreas
Fisahn, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bielefeld.
Stattdessen notwendig wäre nach Ansicht der Wissenschaftler als erster
Schritt die Entmachtung der Finanzindustrie. Dazu Christoph Butterwegge,
Professor für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln: "Wer diese
Krise ernsthaft bekämpfen will, muss das Problem an den Wurzeln
anpacken. Das bedeutet unter anderem, die Finanzmärkte streng zu
regulieren sowie Einkommen und Vermögen von oben nach unten
umzuverteilen." Beispiele für notwendige konkrete Maßnahmen seien
Kapitalverkehrskontrollen und eine Wiedererhebung der Vermögenssteuer.

Die Stellungnahme endet mit dem Aufruf, die Occupy-Bewegung aktiv zu
unterstützen. Andreas Fisahn "Auch das System der repräsentativen
Demokratie ist in eine tiefe Krise geraten. Die zentralen Entscheidungen
folgen den Interessen der Finanzindustrie, nicht denen der Bevölkerung.
Das macht eine kraftvolle Widerstandsbewegung erforderlich. Wir freuen
uns, dass der Krisendynamik mittlerweile eine Bewegungsdynamik
gegenübersteht."

Unter dem Motto "Banken in die Schranken!" ruft ein breites Bündnis dazu
auf, am 12. November das Frankfurter Bankenzentrum und das Berliner
Regierungsviertel zu umzingeln. Organisiert werden die Menschenketten
von Attac, Campact und den Naturfreunden. Zu den zahlreichen Aufrufern
gehört auch der DGB.


Im Internet:

www.stellungnahme-zur-krisenpolitik.de

www.banken-in-die-schranken.de



Für Rückfragen und die Vermittlung von Interviews:

* Steffen Stierle, Koordinator des Wissenschaftlichen Beirats von Attac,
steffen.stierle at attac.de, Tel. 0170 4451755



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Stellungnahme zur Krisenpolitik:
Finanzmärkte regulieren und Einkommen gerecht verteilen


Die öffentliche Diskussion um die "Schuldenkrise" vor allem in
Griechenland, aber auch Irland, Portugal, Spanien und Italien geht von
einer falschen Diagnose aus und kommt so zu einer Therapie, die das
Problem verschärft und nicht beseitigt. Es war keineswegs die Prasserei
der öffentlichen Hand, die zu den aktuellen Zahlungsschwierigkeiten der
Länder des Euro-Raums geführt hat.

Ursache des hohen Schuldenstandes war die Finanzmarkt- und
Wirtschaftskrise, die vergleichsweise harmlos als Hypotheken-Kredikrise
2007 in den USA begann, sich dann aber zu einer globalen Krise von
historischem Ausmaß weiterentwickelt hat. Es handelt sich dabei um eine
Krise des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, der auf spekulativen
Blasen beruht, die zwangsläufig irgendwann platzen müssen. Als es soweit
war, waren die Banken von Insolvenz bedroht und die Staaten eilten ihnen
mit Milliardenkrediten und Bürgschaften zur Hilfe. Gleichzeitig führte
die Kreditklemme der Banken zu einer Rezession, wie man sie seit 1949
nicht mehr erlebt hatte. Damit stiegen die Ausgaben der Staaten extrem
und die Einnahmen brachen weg. Die "Schuldenkrise" ist also keine neue
Krise, sondern die Fortsetzung der globalen Finanzkrise. Dazu kommt das
Problem, dass der Eurozone eine einheitliche Sozial-, Steuer- und
Lohnpolitik fehlt, weil die marktradikale Ideologie trotz einheitlicher
Währung an der Konkurrenz der Euro-Staaten auf den Weltfinanzmärkten
festhielt.

Die von der EU verordneten Kürzungsprogramme haben in den betroffenen
Ländern das Gegenteil von dem bewirkt, was sie erreichen sollten. Nicht
nur die Wirtschaftskrise wurde verschärft, sondern auch noch die
Schuldenkrise selbst. Die betroffenen Länder werden systematisch in die
Rezession getrieben. Schuldenbremsen und Stabilitätsversprechen sind in
einer solchen Situation reine Augenwischerei.

Dagegen wurde das Prinzip des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus nicht
angetastet. Die angebliche Regulierung der Finanzmärkte durch neue
EU-Gesetze folgte dem Irrglauben, Transparenz der Märkte führe zu
erhöhter Sicherheit. Die Banken-Stresstests erweisen sich als Fata
Morgana – tatsächlich würden die Banken eine Griechenlandpleite nicht
überleben und deshalb sollen jetzt wieder die Staaten nach dem Willen
der EU frisches Geld zur Verfügung stellen. Das Prinzip der
Kapitalverkehrsfreiheit wurde nicht angetastet, die Finanzmärkte bleiben
unreguliert, und die Banken und Anteilseigner streichen weiter, ohne
selbst Leistung erbringen zu müssen, hohe Gewinne ein.

Europa steht vor der Wahl, in der Krise auseinander zu fallen oder Wege
zu einem anderen Wirtschaftsmodell einzuschlagen. Erste Schritte auf
diesem Weg müssen in der Entmachtung der "Finanzindustrie" durch eine
scharfe Regulierung und die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen
bestehen. Der Anteil leistungsloser Einkommen am Volkseinkommen ist
drastisch zu senken, indem z.B. Spekulationsgewinne hoch besteuert
werden und eine Finanztransaktionssteuer eingeführt wird, die die
Finanzmärkte deutlich entschleunigt. Gleichzeitig sind z.B. über
Mindestlöhne die Einkommen der arbeitenden Menschen zu erhöhen. Ein
Schuldenschnitt ist unvermeidbar, es kommt aber dabei darauf an, wie er
gestaltet wird. Es braucht ein Verfahren, das es ausschließt, dass
weiter die Gewinne privatisiert und die Kosten sozialisiert werden. Das
Hoffen auf eine freiwillige Beteiligung der Finanzindustrie ist müßig.
Die Banken müssen einer gesellschaftlichen Kontrolle unterworfen werden,
große Vermögen müssen durch die Einführung einer Vermögenssteuer an den
Kosten der Krise beteiligt werden.

Das ist das Gegenteil der vorherrschenden Krisenpolitik, einer
Krisenpolitik, die hoffnungslos delegitimiert ist. Die Menschen empören
sich darüber, dass die Politik die Interessen der 99% ignoriert und die
Demokratie dem sog. freien Markt unterordnet. Mit der Occupy-Bewegung
entsteht weltweit Widerstand gegen diese Politik. Wir rufen alle
Bürgerinnen und Bürger auf, sich der Bewegung anzuschließen.



ErstunterzeichnerInnen

Dr. Christian Christen (Referent für Wirtschaftspolitik)

Prof. Dr. Christoph Butterwegge (Uni Köln)

Prof. Dr. Andreas Fisahn (Uni Bielefeld)

Prof. Dr. Birgit Mahnkopf (HWR Berlin)

Prof. Dr. Elmar Altvater (FU Berlin, em.)

Dr. Wolfgang Neef (TU Berlin)

Dr. Winfried Wolf (Redakteur)

Prof. Dr. Isidor Wallimann (FH Basel)

Prof. Dr. Thea Bauriedl (LMU München)

Prof. Dr. Rudolph Hickel (Uni Bremen)

Dr. Heike Knops (Pfarrerin)

Prof. Dr. Reinhart Kößler (Arnold Bergstraesser Institut)

Prof. Dr. Wolfgang Fritz Haug (Berliner Institut für kritische Theorie)

Dr. Harald Klimenta (Physiker)

Prof. Dr. Norman Paech (HWP Hamburg, em.)

Prof. Dr. Peter Herrmann (Uni Cork)

Prof. Dr. Gerd Steffens (Uni Kassel, em.)

Prof. Dr. Michael Schneider (Filmakademie Baden-Württemberg)

Prof. Dr. Jörg Reitzig (FH Ludwigshafen)

Prof. Dr. Hans-Jürgen Krysmanski (Uni Münster)

Prof. Dr. Trevor Evans (HWR Berlin)

Dr. Silke Ötsch (Uni Innsbruck)

Prof. Dr. Stephan Lessenich (Uni Jena)

Prof. Dr. Wolfgang Däubler (Uni Bremen)

Dr. Anne Karrass (Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag)

Prof. Dr. Armin Bernhard (Uni Duisburg-Essen)

Dr. Ulrich Brand (Uni Wien)

Prof. Dr. Heide Gerstenberger (Uni Bremen, em.)

PD Dr. Achim Brunnengräber (FU Berlin)

PD Dr. Heike Walk (FU Berlin)

Stefan Thimmel (Rosa Luxemburg Stiftung)

Prof. Dr. Christian Spatscheck (HS Bremen)

Prof. Dr. Rainer Rilling (Rosa Luxemburg Stiftung)

Dr. Nicola Liebert (Journalistin)

PD Dr. Ralf Ptak (Uni Köln)

Dr. Axel Bust-Bartels

Prof. Dr. Camille Logeay (HTW Berlin)

Dr. Malte Schophaus (Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen)

Prof. Dr. Roland Roth (HS Magdeburg-Stendal)

Prof. Dr. Frigga Haug (HWP Hambrug, em.)

Tanja von Egan-Krieger (Uni Greifswald)

Prof. Dr. Mohssen Massarrat (Uni Osnabrück, em.)

Prof. Dr. Klaus Meschkat (Uni Hannover, em.)

Prof. Dr. Michael Krätke (University Lancaster)

Prof. Dr. Adelheid Biesecker (Uni Bremen, em.)




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Frauke Distelrath
Pressesprecherin Attac Deutschland
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