[imc-presse] Pressemitteilung im Fall Andrej H.

RAV Berlin RAVeV at t-online.de
Thu Oct 25 15:43:53 CEST 2007


Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
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Fax: 030-41723557


Mitteilung an die Presse
im Fall Andrej H.



Der Berliner Soziologe Andrej H. saß im August unter dem Verdacht der
Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129 a Abs. 2 Nr. 2
StGB) für drei Wochen in Untersuchungshaft. Danach wurde er von dem Vollzug
der Untersuchungshaft verschont. In seinem am 24. Oktober veröffentlichten
Beschluss hat der Bundesgerichtshof nun festgestellt, dass die
Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls fehlten, die „aufgedeckten
Indizien“ sprächen nicht hinreichend deutlich für eine Einbindung in die
„militante gruppe“, sondern ließen sich ebenso gut in anderer Weise
interpretieren. Es bestehe lediglich ein Anfangsverdacht.



Der RAV erklärt zu diesem Vorgang:



So erfreulich die Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist, so erschreckend
ist die Tatsache, dass Herr H. aufgrund eines „Anfangsverdachts“ drei Wochen
in Haft gehalten wurde. Der „Anfangsverdacht“ ist gegeben, wenn die
Möglichkeit einer strafbaren Handlung besteht. Ein Haftbefehl darf nur
erlassen werden, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit der Täterschaft oder
Teilnahme besteht („dringender Tatverdacht“).



Die das Verfahren betreibende Generalbundesanwältin Harms – immerhin seit 33
Jahren in der Justiz tätig und selbst sieben Jahre Vorsitzende am
Bundesgerichtshof – behauptete Ende August angesichts der
Presseveröffentlichungen (z.B. FR v. 31.8.2007 „Neun Wörter – ein
Terrorverdacht“), der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof erlasse
keine Haftbefehle nur aufgrund von wissenschaftlichen Veröffentlichungen.
Der Beschluss des BGH hat diese Behauptung widerlegt.



Das Erfassen des Unterschieds zwischen einem „Anfangsverdacht“ und einem
„dringenden Verdacht“ gehört zu den einfachen Dingen der Rechtswissenschaft.
Um den Verdacht gegen Herrn H. zu erhärten, wurde fast ein Jahr sein Telefon
abgehört, sein Handy geortet, seine E-Mails gelesen und die Eingänge seines
Wohnhauses gefilmt. Herausgekommen ist für den BGH ein „Anfangsverdacht“.
Wenn gleichwohl mit dem schärfsten strafprozessual zur Verfügung stehenden
Mittel vorgegangen worden ist, wenn – wie man jetzt sagen muss – der
dringende Verdacht eine schlichte Erfindung des BKA und der
Generalbundesanwaltschaft war, ist dies Willkür. Es ist die Konstruktion von
Verdacht aufgrund der Gesinnung.



Der RAV sieht sich ferner zu folgendem Hinweis veranlasst:



Die Ermittlungen wurden im Fall Andrej H. vom Bundeskriminalamt geführt. Im
Zuge der 2006 verabschiedeten „Föderalismusreform“ sind dem
Bundeskriminalamt neue Kompetenzen bei der „Terrorismusbekämpfung“
zugewachsen (Art. 73 Abs.1 Ziff. 9a GG). Zur Ausgestaltung dieser
Kompetenzen hat Bundesinnenminister Schäuble im Juli den „Entwurf eines
Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des Internationalen Terrorismus durch das
BKA“ vorgelegt, der massiv gegen das 1949 von den Alliierten vorgegebene
Trennungsgebot verstößt. Die strikte Trennung zwischen präventiver
geheimdienstlicher und verfolgender Polizeitätigkeit ist eine Lehre aus der
Zeit des deutschen Faschismus und soll verhindern, dass jemals wieder
Menschen wegen eines vagen, unbewiesenen Verdachts der Geheimpolizei
festgehalten und verfolgt werden.



Es drängt sich der Verdacht auf, dass im Fall Andrej H. - in Vorwegnahme der
im Gesetzesentwurf neu definierten Begehrlichkeiten - genau dies passiert
ist.


Berlin, den 25. Oktober 2007



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