[imc-presse] Von Deeskalation kann keine Rede sein - Parlamentarische Untersuchung des Polizeiverhaltens während des G8-Gipfels gefordert-

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Thu Jun 28 11:07:02 CEST 2007




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Von Deeskalation kann keine Rede sein
Parlamentarische Untersuchung des Polizeiverhaltens während des G8-Gipfels
gefordert


Berlin, 27.06.2007
Nach dem fünfstündigen Hearing "Was geschah in Heiligendamm?" erheben die
Veranstalter massive Vorwürfe gegen Polizei und Politik und fordern
Konsequenzen zur Bewahrung der Bürger- und Freiheitsrechte. Bei der
gestrigen Anhörung in den Räumen der Gewerkschaft ver.di in Berlin kamen
über 30 Zeuginnen und Zeugen zum Ablauf der G8-Protestwoche zu Wort.
Die Planung des Polizeieinsatzes war von Anfang an auf Eskalation ausgelegt.
Politische Zielvorgabe war die weiträumige und totale Abschottung der
Gipfelteilnehmer von ihren Kritikerinnen und Kinder. Dabei kam es zu einer
weit reichenden Außerkraftsetzung von rechtsstaatlichen Schutzstandards und
bürgerlichen Freiheitsrechten. Die Folge war die Behinderung und
Unterbindung von politischem Protest.
Die polizeiliche Sonderbehörde Kavala setzte diese Vorgaben in einem
obrigkeitsstaatlichen Einsatzkonzept um. Geheimdienste, Bundeswehr und die
Länderpolizeien wurden gegen das verfassungsrechtliche Trennungsgebot in den
Planungen und ihrer Umsetzung integriert.
Das Versammlungsrecht wurde mit den weiträumigen Demonstrationsverboten
schwer beschädigt. Den Demonstranten blieb es in Heiligendamm überlassen,
Meinungsfreiheit und Versammlungsrecht zu verteidigen und sich dazu auch
über rechtswidrige Verbote hinwegzusetzen. Die unzähligen polizeilichen
Maßnahmen im Vorfeld, bei den Grenzkontrollen und der Anreise, Schikanen
gegenüber den Campenden, willkürliche Kontrollen und Platzverweise
verschärften die Einschüchterung weiter. Der Datenschutzbeauftragte des
Landes Mecklenburg-Vorpommern, Karsten Neumann, bezeichnete die massiven
Datenerhebungen, die zu keinen Verfahren führten, im Hearing zutreffend als
"rechtswidrigen Überwachungsdruck".
Die Behörde Kavala bediente sich der Propaganda und Provokation. Die vielen
gezielten Falschmeldungen z.B. über Vermummungen und Steinewerfer in absolut
friedfertigen Demonstrationen oder die angebliche "Säureattacke" durch
Clowns führten auch zur weiteren Aufladung des Feindbildes bei den
eingesetzten Beamten. Vielfach kam es zu willkürlichen Übergriffen auf
Demonstrierende. Eine Gruppe von Fahrradfahrern wurde auf dem Heimweg ohne
jeden Anlass mit Pfefferspray und Schlagstöcken attackiert.
Mindestens zwei Personen erlitten schwere Augenverletzungen, hervorgerufen
durch den harten Strahl von Wasserwerfern. Dies muss nach Ansicht der
Veranstalter aufgeklärt werden und zu Strafverfahren führen. Durch die
eidesstattliche Versicherung eines Zeugen wurde beim Hearing auch der
gezielte Einsatz von Zivilbeamten als agents provocateurs untermauert.
Deeskalation ging immer wieder von besonnenen Demonstrierenden aus - nicht
von der Polizei. Das gilt auch für die Auseinandersetzungen während der
Großdemonstration am Samstag, bei dem sich Hunderte an den Straßenschlachten
mit der Polizei beteiligt hatten und viele Unbeteiligte durch prügelnde
Polizei, Reizgas- und Wasserwerfereinsätze an Leib und Leben bedroht waren.
Ein Symbol dafür ist der vielfache Einsatz der selbständig agierenden
Beweis- und Festnahmeeinheiten (BFE), die bei den Auseinandersetzungen am
Rande der Rostocker Großdemonstration maßgeblich beteiligt waren. Die
Beruhigung kam erst nach intensiven Bemühungen eigener Ordner und
Demonstranten zustande. Die Polizeieinheiten mussten mühselig (auch durch
Kollegen) überzeugt werden, deeskalierende Absprachen zwischen
Demonstrationsleitung und Polizeiführung einzuhalten.
Betont wurde beim Hearing, dass es durchaus besonnene Polizeiführer
und -einheiten gab, die sich korrekt, freundlich und deeskalierend
verhielten - und auch bei Kavala gegen unsinnige Befehle intervenierten.
Bei den Ingewahrsamnahmen und in den Gefangenensammelstellen wurde den
Betroffenen seitens Kavala systematisch der Rechtsbeistand verweigert.
Anwältinnen und Anwälte wurde der Zugang verweigert, obwohl die Inhaftierten
nach anwaltlicher Unterstützung verlangten. Dabei wurde das Prinzip der
Gewaltenteilung verletzt. Die Polizei bestimmte darüber, ob Anwältinnen und
Anwälte Zugang zu den in den Gefangenensammelstellen tätigen Richtern
gewährt wurde oder nicht. Die Richter waren mit einem Schild "Kavala Justiz"
gekennzeichnet. Sie präsentierten sich damit als Teil der Exekutive.
Die rechtswidrige Ingewahrsamnahme unter fadenscheinigen Gründen war kein
Einzelfall, sondern die Regel. Die Situation in den Gefangenensammelstellen
war menschenunwürdig. Die oftmals tagelange Unterbringung in Käfigen bei
permanenter Überwachung und Beleuchtung, die stundenlange Verzögerung der
Freilassung trotz richterlichen Beschlusses und die Durchsuchung der
Inhaftierten unter völligem Entkleiden verletzen die Menschenrechte von
Gefangenen.
Die Veranstalter des Hearings fordern daher parlamentarische
Untersuchungsausschüsse zum Verhalten der Polizei. Es muss ermittelt werden,
wer für Planung und Einsatz bei Polizei, Bundeswehr und Politik
verantwortlich war. Darüber hinaus ist endlich eine durchgehende
Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte einzuführen, um die Polizei bei
rechtswidrigem Verhalten identifizieren zu können. Die Veranstalter betonen,
dass letztlich die Politik für die Wahrung der Freiheitsrechte und ein
rechtsstaatliches Vorgehen der Sicherheitsbehörden verantwortlich ist. Wer
von der Polizei einen absolut störungsfreien G8-Gipfel ohne Wahrnehmung von
Protest fordert, verlangt die Verletzung der Verhältnismäßigkeit.
Ansprechpartner für die Veranstalter:
·       Manfred Stenner, Netzwerk Friedenskooperative, Tel. 0177-6014894
·       Matthias Monroy, Gipfelsoli Infogruppe, Tel. 0160-95314023
·       Michael Hiller, Rote Hilfe e.V., Tel. 0178-1489738
·       Peer Stolle, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein,
01577-4704760
·       Sven Giegold, Attac Deutschland, Tel. 0163-5957590

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