[SFB_disko] Nachruf

ErnstA ernst at adjuvamus.de
Fre Okt 14 16:42:57 CEST 2005


NACHRUF 


Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, 

Hans Gottfried Hagen ist am 12.10.2005 frühmorgens verstorben.

Ich kannte Hans G. Hagen als intelligenten, klugen, manchmal auch sperrigen, auf jeden Fall aber eloquenten Verteidiger gewerkschaftlicher und sozial bewegter Ideen und Interessen, also eben menschlicher Ideen. Ich lernte ihn in einem Arbeitskreis der damaligen ÖTV zu Zeitverträgen und Erwerbslosigkeit kennen. Danach sahen wir uns über zwanzig Jahre lang immer wieder - zum Beispiel bei verschiedenen Sozialprojekten, den Grünen, den Kritischen GewerkschafterInnen Ost/West, den Euromärschen, bei verschiedenen Sozialbündnissen, Erwerbsloseninitiativen, beim Berliner Sozialforum und vielen anderen Zusammenhängen. 

Er war in diesen sozialen Initiativen unermüdlich tätig, und hier war ihm gerade der Kontakt zu jüngeren und kulturell anders verwurzelten Menschen wichtig, sei es zur Alternativ- oder autonomen Bewegung oder auch bei internationalen Treffen zu Menschen aus anderen Ländern. 

Aus einer basischristlichen und humanistischen Fundierung heraus kämpfte er gegen soziale Ungleichheit, Erwerbslosigkeit und Armut, trat aber nie für ein billiges "Arbeit für alle" oder "Vollbeschäftigung für alle" ein, sondern gegen Niedriglohn, Billigarbeit und auch für ein Grundeinkommen bzw. Existenzgeld.

Und er wusste auch warum: Hans und seine Familie lebten und überlebten in den letzten 30 Jahren nur deswegen, weil er für seine Rechte kämpfte, knapp oberhalb der Armutsgrenze, manchmal auch darunter. Er gab diese seine Erfahrungen mit staatlichen Behörden gerne weiter und arbeitete sich als gelernter Architekt, aus der Basis der 68er Bewegung kommend, in juristische, historische, philosophische und politische Theorien ein. Architektur war für ihn aber nicht nur erlernter Beruf, den er leider nur kurz verwirklichen konnte, sondern auch immer wieder auch Gesprächsthema. 

Er ging gern in Archive und entdeckte dort Papiere zur Organisierung der Armen und Erwerbslosen und der Arbeiterklasse, die vorher wohl noch keiner entdeckt hatte. Diese Papiere gab er gerne weiter - zum Leidwesen der Schatzmeister der politischen Gruppen, die dann über die Kopierkosten klagten. 

Der Umfang seines Wissens und die Querverbindungen, die er gedanklich zog, konnten mich oft verführen, bei zwei, drei Tassen Kaffee (den er trank) und ein, zwei, drei Bier meinerseits die Zeit zu vergessen und diese Gedanken zu wälzen, bis für ihn wieder eine U-Bahn oder S-Bahn nach Spandau fuhr, wo er gerne wohnte. Er war auch und gerade ein Pionier in der Organisierung sozialpolitischer Interessen. Hier war er im positiven Sinne konsequent und hartnäckig, wie kaum ein anderer - manchmal geradezu schweijkisch. 

Noch heute erinnere ich mich gerne daran, wie wir zu viert mit ihm im Jahre 1984 einen bundesweiten Gewerkschaftstag der ÖTV durcheinander brachten, um die Aufnahme von Erwerbslosen und - wie wir heute sagen - prekär Beschäftigten durchzukämpfen. Es gelang zum großen Teil, dieses Ziel zu erreichen. 

Hans war, solange ich ihn kannte, jemand, der sich dem industriellen Arbeitsrythmus verweigerte und Reichtum nicht durch Lohnarbeit, sondern in menschlichen Kontakten suchte und auch fand. 

Bis zuletzt kämpfte er gegen seine Krankheit an und ging auch auf politische Veranstaltungen, zuletzt sah ich ihn auf einer Veranstaltung gegen Ein-Euro-Jobs. 

Nun ist er gestorben - nach langer, schwerer Krankheit. Wir sollten seiner gedenken und aus seinem Denken und Tun die für uns notwendigen Schlüsse ziehen, gerade jetzt wo er nicht mehr unter uns weilt. 

Hans, wir werden dich vermissen. 
Hinrich Garms, 13.10.05

-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit HTML-Daten wurde abgetrennt...
URL: https://lists.nadir.org/pipermail/sozialforum_disko/attachments/20051014/64b31de6/attachment.html