[imc-presse] Gemeinsame Erklärung_Gegen die Angriffe auf den demokratischen Rechtsstaat

RAV e.V. gs at rav.de
Wed Feb 19 10:20:59 CET 2025


Gemeinsame Erklärung von Bürgerrechtsorganisationen und juristischen 
Berufsverbänden vom 19. Februar 2025 zur anstehenden Bundestagswahl

https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/gegen-die-angriffe-auf-den-demokratischen-rechtsstaat-1109 
<https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/gegen-die-angriffe-auf-den-demokratischen-rechtsstaat-1109>

*Gegen die Angriffe auf den demokratischen Rechtsstaat
*
Als Bürger:innen- und Menschenrechtsrechtsorganisationen sowie als 
juristische Berufsvertretungen wenden wir uns mit Nachdruck gegen die 
Infragestellung rechtsstaatlicher Mechanismen in diesem 
Bundestagswahlkampf. Überzogene Law and Order-Forderungen und 
verfassungswidrige Gesetze sind für uns nichts neues, gegen diese 
politisch und juristisch vorzugehen, ist schon lange ein Teil unserer 
Arbeit. Aber dieser Wahlkampf hat eine andere, gefährliche Qualität: Im 
Zuge einer radikalisierten Migrationspolitik, die durch den Aufstieg der 
AfD in den Wahlumfragen begünstigt wird, werden das Recht an sich und 
die Institutionen des Rechtsstaats, allen voran die Gerichte und die 
Rechtsanwaltschaft, auch von demokratischen Parteien offen in Zweifel 
gezogen. Durch die Zustimmung zum sog. „5-Punkte-Plan“ fordern CDU/CSU, 
FDP, BSW und AfD unverhohlen den Bruch mit Europarecht und 
Verfassungsrecht. Durch einen kalkulierten Rechtsbruch qua permanenter 
Grenzkontrollen soll Druck auf die europäische Gesetzgebung ausgeübt 
werden. Ob Urteile des Europäischen Gerichtshofs noch umgesetzt werden, 
ist zu einer offenen Frage geworden. In den letzten Jahren ist neben dem 
Migrationsrecht auch im Klima- und Umweltrecht öfter von einem sog. 
„exekutiven Ungehorsam“ die Rede, indem Gerichtsentscheidungen seitens 
der Regierung und Verwaltung schlicht ignoriert werden. Hinter 
vorgehaltener Hand sprechen Politiker:innen aus den Reihen der CDU laut 
Medienberichten bereits von den „Scheiß-Gerichten 
<https://www.zeit.de/2025/05/asylpolitik-cdu-friedrich-merz-afd-demokratie>“. 
Sie stoßen in eine rhetorische Kerbe, die unter den extrem rechten 
Regierungen in Italien, Polen und in Ungarn bereits autoritär 
umgeschlagen ist: Richter:innen werden zu Feinden des Staates erklärt. 
SPD und Grüne haben in der denkwürdigen Sitzungswoche des Bundestages 
Ende Januar 2025 zwar rhetorisch den Rechtsstaat hochgehalten, aber auch 
sie selbst haben zuvor in der Migrations- und Sicherheitsgesetzgebung 
europa- und verfassungswidrige Vorhaben vorangetrieben: darunter zuletzt 
die Kontrollen an den deutschen EU-Binnengrenzen und das 
„Sicherheitspaket“ vom 18. Oktober 2024.

Gegen die Einhaltung des gesetzten Rechts wird von Politiker:innen und 
in Teilen der Medien das Argument vorgebracht, das Recht dürfe nicht 
gegen „den Willen des Volkes stehen“. Falls es dies tue, müsse es 
verändert werden. Aber erstens geht es bei den allermeisten rechtlichen 
Aspekten, die aktuell infrage gestellt werden, nicht um einfaches 
Gesetzesrecht. Stattdessen geht es um Grund- und Menschenrechte, 
internationale und europäische Verträge oder um die Unabhängigkeit der 
Gerichtsbarkeit an sich. Richtig ist, dass das Recht immer das Ergebnis 
von gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen ist. Aber unteilbare Grund- 
und Menschenrechte dürfen in politischen Verhandlungen nicht zur 
Disposition stehen. Im Übrigen lässt sich Recht nicht mit einem 
Faustschlag von Regierungsvertretern auf den Tisch hinwegfegen, sondern 
muss selbst Gegenstand von Verfahren im Parlament oder mit Partnern aus 
anderen Ländern sein. Zweitens sind diese Rechtsgrundlagen gerade in 
Deutschland das Ergebnis der historischen Erfahrungen aus zwei 
Weltkriegen und der NS-Herrschaft. Sie sind ein Teil der Aufarbeitung 
von Vergangenheit, die nichts an ihrer Gültigkeit verloren hat. Dazu 
zählt vor allem die Unteilbarkeit der menschlichen Würde und die 
Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, auch unabhängig von ihrer 
Herkunft. Und drittens geht die Gegenüberstellung von Demokratie und 
Recht implizit von einer „vollständigen“ Demokratie aus, in der die 
Interessen aller repräsentiert werden. Aber in unseren aktuellen 
demokratischen Verfahren sind Armutsbetroffene, die Mehrzahl der 
Lohnabhängigen, migrantische Personen ohne europäische 
Staatsbürgerschaft und solche diverser sexueller Orientierung viel zu 
oft ausgeschlossen. Um ihre Positionen in der Gesellschaft zu verbessern 
bedarf es einer Veränderung politischer Machtverhältnisse. Solange das 
aber nicht passiert ist, können diese Menschen in Verfahren vor Gericht 
mittels der Grund- und Menschenrechte ihren Platz und ihre Teilhabe an 
dieser Gesellschaft geltend machen.

Aktuell ist die Migrationspolitik der Schauplatz, auf dem um die Zukunft 
der rechtsstaatlichen Verfasstheit und um die Unteilbarkeit von 
Grundrechten gekämpft wird. Doch bleiben diese Entwicklungen dort nicht 
stehen. Der erstarkende Autoritarismus manifestiert sich auch dort, wo 
die Wissenschaftsfreiheit missachtet, das Streikrecht angegriffen, das 
Versammlungsrecht eingeschränkt und Anwält:innen in Klimaschutzverfahren 
als vermeintliche Gegner:innen der Demokratie gebrandmarkt werden.

Als Bürger:innenrechtsorganisationen und juristische Berufsvertretungen 
setzen wir uns für einen demokratischen und menschenrechtsbasierten 
Rechtsstaat ein, in dem die Staatsgewalt umfassend an Grundrechte 
gebunden ist, sowie für eine unabhängige Justiz und eine engagierte 
Rechtsanwaltschaft. Die Verteidigung der Verfassung und der 
Menschenrechte ist ein Teil in dem Kampf um Demokratie. Es gilt, nicht 
länger der Aushöhlung des Rechts das Wort zu reden, sondern den 
Rechtsstaat in schwierigen Zeiten offensiv zu verteidigen.

Humanistische Union (HU)
Komitee für Grundrechte und Demokratie
Neue Richtervereinigung (NRV)
Postmigrantischer Jurist*innenbund
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV)
Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ)

*Bei Presserückfragen wenden Sie sich an:*
Prof. Dr. Dr. Maximilian Pichl
Ko-Vorsitzender der VDJ
Tel.: 06971163438
E-Mail: mail at vdj.de

-- 
Sigrid v. Klinggräff
RAV-Geschäftsstelle

Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
>>> NEUE ADRESSE seit dem 1.10.2024 <<<
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