[imc-presse] PM: Erdoğan plant kein Ende des Krieges in Kurdistan, sondern dessen Eskalation
Civaka Azad
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Wed Jul 17 07:51:58 CEST 2024
Erdoğan plant kein Ende des Krieges in Kurdistan, sondern dessen Eskalation
/Gegendarstellung zu den Pressemeldungen über ein Ende türkischer
Angriffe gegen Kurden in Syrien und Irak/
In der Presse häufen sich Meldungen, der türkische Präsident Erdoğan
habe ein Ende der Militäroffensiven in Syrien und im Irak angekündigt.
Diese Aussagen sind irreführend, da sie gute Absichten der Türkei
suggerieren. Auch die Darstellung, es handele sich um Abwehr von
Angriffen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ist äuerst problematisch.
Denn die Realität ist eine andere:
Seit Jahresbeginn hat die Türkei 1076 Angriffe auf die Kurdistan Region
des Irak durchgeführt, allein 238 seit dem Start der jüngsten Offensive
am 15. Juni. Die Einwohner:innen von 162 Dörfern wurden bereits
vertrieben, weitere 602 Dörfer sind von Zwangsmigration bedroht. Die
Angriffe führen zudem zu einer exzessiven ökologischen Destruktion.
Şengal, Lebensraum der Ezid:innen, ist ebenfalls regelmäßig Ziel
türkischer Angriffe. Erst vor wenigen Tagen starb der Journalist Murat
Mîrza İbrahim bei einem Drohnenangriff. Er ist der 13. Zivilist, der in
diesem Jahr durch türkische Angriffe getötet wurde. Auch die Angriffe
gegen das Gebiet der Demokratischen Autonomen Administration von Nord-
und Ostsyrien dauern an.
In der Kurdistan Region des Irak verfügt die Türkei bereits über 71
Militärbasen in einem Radius von 30 km landeinwärts. Zusätzlich wurden
in den vergangenen Wochen 300 Panzer in die Region verlegt. Das
Medienunternehmen Spee hat Dokumente veröffentlicht, wonach der
türkische Staat plant, mehr als 800 syrische paramilitärische Banden,
v.a. IS Mitglieder, in Uniformen der türkischen Armee einzuschleusen.
Der türkische Verteidigungsminister Yaşar Güler legte jüngst die
Absichten offen mit den Worten: „Wir werden unsere Operationen
fortsetzen, bis der letzte Terrorist neutralisiert ist.“ Worauf der
türkische Staatspräsident Erdoğan somit in seiner Rede abzielte, ist
nicht die Beendigung von Okkupation und Angriffen. Es geht darum, die
Kurd:innen und ihre Errungenschaften gänzlich zu vernichten. Passend in
diesem Zusammenhang ist ein Teil des Titels vom Spiegel, in dem vom
„Krieg gegen Kurden“ gesprochen wird. Die in den Artikeln vorherrschende
Reduktion der Angriffe auf die PKK wird allerdings dem Kontext überhaupt
nicht gerecht.
Im Hinblick auf die Absichten und damit die Staatsideologie der Türkei
ist auch die Haltung Devlet Bahceli‘s, Vorsitzender der Türkischen
Nationalistischen Bewegung (MHP), die mit der AKP koaliert, bezeichnend.
Er beanspruchte bereits öffentlich den Nordirak, als türkisches
Staatsgebiet und sagte, dass keine „Macht im Weg stehen könne, damit
Kirkuk die 82. und Mosul die 83.Provinz“ der Türkei werden.
Die Angriffe von syrischem Territorium auf die Türkei – so die Übernahme
des Wordings von Erdoğan, entsprechen ebenfalls nicht der Realität.
Einen solchen Angriff gab es nicht. Es sei hier an die Aussage vom
damaligen Geheimdienstchef und jetzigen Außenminister Hakan Fidan von
März 2014 erinnert „Wenn nötig, werde ich 4 Männer nach Syrien schicken,
ich werde 8 Raketen auf die Türkei abfeuern lassen und eine
Rechtfertigung für einen Krieg schaffen.“
Die Kontextualisierung des Themas im Rahmen der Einstufung der
Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als Terrororganisation und der Verweis
auf wiederholte Anschläge ist falsch. Die Listung ist eine rein
politische Festlegung, wie der Zeitpunkt der Erstlistung zeigt; diese
erfolgte, nachdem die PKK ihre bewaffneten Einheiten aus den
Staatsgrenzen der Türkei zurückzog und einen zentralen Paradigmenwechsel
vollzog. Hier sei auch auf das Urteil des belgischen Kassationshofs
verwiesen, der feststellte, die Arbeiterpartei Kurdistans ist Partei in
einem bewaffneten Konflikt und keine Terrororganisation.
Festzuhalten ist, dass Erdoğans Syrienpolitik gescheitert ist. Daher
sendet er seit Wochen Botschaften an seinen syrischen Counterpart Basar
al-Assad, um ein Treffen und nachfolgend die Normalisierung der
Beziehungen zu erwirken. Dieser allerdings knüpfte einen Austausch an
die Bedingung, sich auf die Kernfragen der Unterstützung des
„Terrorismus“ durch Ankara und des Abzugs der türkischen Truppen aus
Syrien zu konzentrieren. Der irakische Außenminister Fuad Hussein
kündigte indes ein Treffen zwischen syrischen und türkischen
Regierungsvertretern in Bagdad an. Hussein hatte sich am Rande des
NATO-Gipfels mit seinem türkischen Amtskollegen getroffen.
Das Schweigen zur Annektion von Teilen des irakischen Territoriums
impliziert, wie auch in der Vergangenheit im Falle von Nordsyrien,
regionale wie internationale Zustimmung. Allerdings deuten Äußerungen
der USA darauf hin, dass unkontrollierte Entwicklungen nicht
auszuschließen sind.
Vor diesem Hintergrund ist journalistische Genauigkeit essentiell. Jede
Ungenauigkeit und die unkommentierte Übernahme von Narrativen türkischer
Staatsideologie führen zu fehlerhaften Einschätzungen der Entwicklungen,
was in Zeiten zunehmender Krisen und Kriege nicht allein problematisch,
sondern auch gefährlich ist.
Eine entsprechende Korrektur, alternativ ein Interview, das die
Entwicklungen entsprechend kontextualisiert, wäre aus unserer Sicht
notwendig.
Gerne stehen wir hierfür sowohl jetzt als auch zukünftig zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Mako Qocgiri
--
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