[imc-presse] [attac-d-presse] ZiviZ Umfrage: 30.000 Vereine scheuen politisches Engagement
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Tue Mar 7 10:45:18 CET 2023
Pressemitteilung als PDF: https://link.attac.de/ziviz-umfrage
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Pressemitteilung
Attac Deutschland
Berlin, 07. März 2023
/Gemeinsame Pressemitteilung von Amadeu Antonio Stiftung, Allianz
„Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, Attac Deutschland,
Bildungsstätte Anne Frank e.V., Campact e.V., Umweltdachverband
Deutscher Naturschutzring (DNR), foodwatch Deutschland, Gesellschaft für
Freiheitsrechte e.V., innn.it e.V., LobbyControl, Maecenata Stiftung,
Mehr Demokratie e.V., NaturFreunde Deutschlands e.V. und Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und
Antifaschisten (VVN-BdA)/
*
**30.000 Vereine scheuen politisches Engagement
*
*ZiviZ-Umfrage zeigt, wie Angst um Gemeinnützigkeit ziviles Engagement
hemmt. Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern von Ampel-Regierung
rasche Reform des Gemeinnützigkeitsrecht*
Fünf Prozent der zivilgesellschaftlichen Akteur*innen haben Angst, sich
politisch zu engagieren – aus Sorge, ihre Gemeinnützigkeit zu verlieren.
Zu diesem Ergebnis kommt “ZiviZ im Stifterverband” (Zivilgesellschaft in
Zahlen) in ihrer aktuellen Umfrage. Hochgerechnet verliert die
politische Debatte in Deutschland damit mehr als 30.000 Organisationen
und Vereine. Im Bereich Umweltschutz geben sogar elf Prozent der
Befragten an, sich aus Vorsicht politisch zurückzuhalten. Diese Zahlen
untermauern die Erfahrungen vieler zivilgesellschaftlicher
Organisationen: Das überholte Gemeinnützigkeitsrecht unterdrückt
wichtiges demokratisches Engagement von gemeinnützigen Vereinen und
Initiativen. 14 zivilgesellschaftliche Organisationen drängen die
Ampel-Regierung daher, dringend diesen Missstand zu beheben und die
Reform des Gemeinnützigkeitsrechts anzugehen – wie im Koalitionsvertrag
versprochen.
Die Abgabenordnung muss um gemeinnützige Zwecke erweitert und vorhandene
Zwecke müssen konkretisiert werden. Nur auf diese Weise kann die
wichtige Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen zur Förderung von
Demokratie, Grund- und Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit, politischer
Bildung sowie sozialer Gerechtigkeit gewürdigt und abgesichert werden.
Gemeinnützigen Organisationen muss es zudem erlaubt sein, sich an der
politischen Willens- und öffentlichen Meinungsbildung zu beteiligen – in
dem Maß, in dem sie es für angemessen halten. Ferner fordert das Bündnis
eine Demokratieklausel, mithilfe derer gemeinnützige Organisationen aus
aktuellem Anlass über den eigenen Satzungszweck hinaus aktiv werden können.
Am heutigen Dienstag machen die 14 Organisationen und zahlreiche weitere
Partner*innen aus der Zivilgesellschaft zusätzlich auf Social Media
unter dem Hashtag #30000MalWenigerDemokratie deutlich, wie
Organisationen alltäglich vom veralteten Gemeinnützigkeitsrecht daran
gehindert werden, sich politisch einzubringen.
*Zur ZiviZ Trendstudie 2023: *http://www.ziviz.de/ziviz-survey
*Stimmen aus der Zivilgesellschaft:*
*Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung:* „Wie die
ZiviZ-Umfrage zeigt, ist das aktuelle Gemeinnützigkeitsrecht auch ein
Einschüchterungsinstrument für die kritische Zivilgesellschaft. Wir
erleben immer wieder, wie die AfD in ländlichen Regionen die
Abgabenordnung als Instrument zur Disziplinierung lokaler Vereine nutzt.
Es braucht hier endlich Klarheit, dass sich gemeinnützige Vereine auch
für Demokratie und gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus
engagieren dürfen.“
S*tefan Diefenbach-Trommer, Vorstand bei Allianz „Rechtssicherheit für
politische Willensbildung:* „Tag für Tag unterbleibt wichtiges
Engagement für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, weil
Vereine um ihren Status der Gemeinnützigkeit bangen. Das haben uns
Politikerinnen und Politiker oft nicht geglaubt. Die repräsentativen
ZiviZ-Zahlen zeigen nun, dass es sich nicht nur um eine Handvoll Vereine
handelt. Es geht nicht nur um Vereine, deren Mission immer mit
politischer Einmischung verbunden ist. Vier Prozent der Sport- oder der
Katastrophenschutz-Vereine unterlassen demokratisches Engagement, um ihr
Kerngeschäft zu schützen. Das ist alarmierend. Wer Demokratiebildung und
Engagement für Rechtsstaatlichkeit will, muss handeln. SPD, Grüne und
FDP haben dazu im Koalitionsvertrag Sofortmaßnahmen vereinbart. Die
müssen endlich angegangen werden.“
*Frauke Distelrath, Geschäftsführerin von Attac Deutschland:* „Der
Entzug der Gemeinnützigkeit von Attac 2014 war ein Angriff auf die
kritische Zivilgesellschaft. Zahlreichen anderen fürs Gemeinwohl
engagierten Vereinen wurde danach die Gemeinnützigkeit abgesprochen.
Fast noch demokratieschädigender sind die weniger sichtbaren Folgen, die
der ZiviZ Survey bestätigt: Wichtige Stimmen gehen im Diskurs verloren,
weil Vereine es nicht mehr wagen, sich politisch einzumischen. Es ist
höchste Zeit für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht, das die
demokratische Zivilgesellschaft stärkt, statt ihren Gegner*innen zu
helfen. Wir brauchen Engagement statt Politikverdrossenheit!”
*Dr**. Deborah Schnabel, Direktorin der Bildungsstätte Anne Frank e.V.:*
„In unserer politischen Bildungsarbeit ermutigen wir Menschen stets
dazu, aktiv gegen Rassismus, Antisemitismus und andere Formen der
Menschenfeindlichkeit einzutreten. Es steht außer Frage, dass auch wir
als gemeinnützige Organisation unsere Stimme erheben müssen, um aktiv
für unsere Demokratie und eine gerechtere Gesellschaft einzutreten. Und
damit stehen wir nicht allein da: Ob Klimaschutz, Geflüchtetenhilfe oder
eben ganz besonders politische Bildung: Zivilgesellschaftliches
Engagement ist von seinem Wesenskern her politisch. Wenn wir uns selbst
den Mund verbieten, machen wir uns unglaubwürdig – und unsere Demokratie
verliert eine ihrer wichtigsten Stützen.”
*Dr. Felix Kolb, Geschäftsführender Vorstand bei Campact:* „Der neue
ZiviZ Survey zeigt: Das veraltete Gemeinnützigkeitsrecht ist der
Sargnagel für eine lebendige Demokratie. Politisch engagierte Vereine
verstummen, da ihr Wirken systematisch ausgebremst wird. Statt die
Leistung dieser Vereine rechtlich abzusichern, vereitelt die starre
Auslegung der Satzungszwecke ein Engagement für Demokratie. Diesen
Missstand muss die Ampel-Regierung mit einer Reform des
Gemeinnützigkeitsrechts endlich aus dem Weg räumen. Die Arbeit für
Menschenrechte, Demokratie und soziale Gerechtigkeit gehört in die Liste
der gemeinnützigen Zwecke.”
*Florian Schöne, Geschäftsführer des Umweltdachverbands Deutscher
Naturschutzring (DNR):* „Demokratie lebt von der Stärke ihrer
Zivilgesellschaft. Unsere Mitglieder leisten mit ihrem Engagement einen
wichtigen Beitrag für ein vielfältiges, nachhaltiges und lebenswertes
Land. Ihre bisweilen kritische Begleitung und Kontrolle politischer
Prozesse gehört zum anerkannten Selbstverständnis freiheitlicher
Gesellschaften. Dieses Engagement ist für eine lebendige Demokratie
unverzichtbar und muss durch eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts
gestärkt werden.“
*Dr. Chris Methmann, Geschäftsführer von foodwatch Deutschland:*
"Natürlich nützt demokratische Debatte dem Gemeinwohl. Und das muss sich
auch im Recht wiederfinden. Diese Zahlen zeigen: Blockiert die Regierung
eine Gemeinnützigkeits-Reform, setzt sie sich dem Vorwurf aus, sie wolle
die Kritik an ihrer Arbeit dämpfen. Für die Demokratie wäre das fatal.“
*Ulf Buermeyer, Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V.:*
„Wenn sich zivilgesellschaftliche Akteure nicht mehr trauen, den Finger
in die Wunde zu legen, ist das ein fatales Zeichen für unsere
Demokratie. Die Umfrage bestätigt, wovor wir seit Jahren warnen: Das
deutsche Gemeinnützigkeitsrecht beschränkt zivilgesellschaftliches
Engagement und muss dringend modernisiert werden. Wie das geht, zeigen
wir in unserem umfassenden Gesetzentwurf für ein Demokratiestärkungsgesetz.“
*Nora Circosta, Vorständin von innn.it e.V.:* „Wir als innn.it e.V.
kämpfen aktuell vor dem Finanzgericht um unsere Gemeinnützigkeit, weil
das Finanzamt Berlin nicht will, dass wir auf unserer Plattform
Petitionen an Unternehmen kostenfrei zulassen. Solche – aus unserer
Sicht – juristisch falschen Einschätzungen verunsichern tausende andere
Vereine, wie die neue ZiviZ Survey eindrucksvoll belegt. Wir brauchen
endlich Rechtssicherheit durch eine Modernisierung des
Gemeinnützigkeitsrechts.”
*Imke Dierßen, politische Geschäftsführerin von LobbyControl:* „Damit in
unserer Demokratie ausgewogene und am Gemeinwohl orientierte
Entscheidungen möglich sind, brauchen wir eine Zivilgesellschaft, die
sich politisch einmischt. Die Ampel-Koalition muss endlich
Rechtssicherheit bei der Gemeinnützigkeit für die Zivilgesellschaft
schaffen, damit den NGOs nicht länger Steine in den Weg gelegt werden.“
*Dr. Rupert Graf Strachwitz, Vorstand der Maecenata Stiftung:* „Ohne
bürgerschaftliches Engagement und ohne Zivilgesellschaft gibt es keine
Demokratie. Die Verteidiger der Demokratie in Parlamenten, Regierungen
und Parteien sollten wissen, dass die kritischen Akteurinnen und Akteure
in der Zivilgesellschaft letztlich ihre besten Bundesgenossen sind, wenn
es gilt, die Demokratie weiterzuentwickeln und sie vor autoritären,
illiberalen Bedrohungen zu schützen.”
*Alexander Trennheuser, Bundesgeschäftsführer von Mehr Demokratie e.V.:*
„Politisches Engagement in Deutschland verändert sich: Dass die Parteien
weniger Zulauf haben, heißt nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger
politikverdrossen sind. Zivilgesellschaftliche Organisationen sind so
wichtig wie nie zuvor! Das Gemeinnützigkeitsrecht muss dafür sorgen,
dass Engagement gefördert statt ausgetrocknet wird. Wenn man zeitgemäße
Formen des Engagements blockiert, wird das zu einem echten
Demokratie-Problem!”
*Maritta Strasser, Bundesgeschäftsführerin der NaturFreunde Deutschlands
e.V.:* „Der Status der Gemeinnützigkeit ist für die Arbeit der
allermeisten Vereine der Zivilgesellschaft existenziell. Er fußt aber
auf einem veralteten Recht mit aus der Zeit gefallenen und oft schwammig
formulierten Kriterien. In der Anwendung haben einzelne
Sachbearbeiter*innen der Finanzämter viel Auslegungsspielraum und können
die politische Stimme einer lebendigen Zivilgesellschaft sehr schnell
leise stellen. So erging es unserem Landesverband Thüringen, der über
eineinhalb Jahre um seine Gemeinnützigkeit mit dem Finanzamt kämpfen
musste. Wir fordern endlich Rechtssicherheit, um unseren Beitrag zu
einer lebendigen Demokratie leisten zu können!“
*Cornelia Kerth, Bundesvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA):*
„Wir wissen, was es bedeutet, wenn die Gemeinnützigkeit gefährdet ist.
Zwischen 2019 und 2021 mussten wir um unsere materielle Existenz bangen
und konnten die schwierige Auseinandersetzung auch dank einer großen und
gesellschaftlich breiten Solidarität zu einem guten Ende bringen. Der
Aufwand an Zeit und Kraft war immens, die Anspannung groß. Seit drei
Jahren wird nun schon über die Ausweitung und Anpassung des "Katalogs"
gemeinnütziger Tätigkeitsfelder, z. B. der Einsatz für Menschenrechte
oder Klimaschutz, diskutiert. Es wird Zeit, das umzusetzen. Und: Was
gemeinnützig ist, darf nicht der Inlandsgeheimdienst entscheiden.”
*Über Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ)*
Mit dem ZiviZ-Survey untersucht ZiviZ alle vier bis fünf Jahre
Organisationen der Zivilgesellschaft in Deutschland. Zur organisierten
Zivilgesellschaft zählen mehr als 615.000 eingetragene Vereine, aber
auch Stiftungen, gemeinnützige GmbHs und Genossenschaften. Die
repräsentative Befragung von ZiviZ ist in Deutschland einmalig und dient
sowohl der Zivilgesellschaftsforschung als auch der Politik als
wichtiges Orientierungswissen.
--
Lena Zoll
Pressesprecherin
Attac Deutschland
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lena.zoll at attac.de
Tel. 0162 3448009
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