[imc-presse] PM des RAV: Klimaschutz statt Repression: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt auch im Umgang mit der ›Letzten Generation‹!

RAV Geschäftsstelle gs at rav.de
Thu Dec 22 11:03:49 CET 2022


Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freundinnen und Freunde,

anbei und folgend unsere Gemeinsame Erklärung des /Republikanischen 
Anwältinnen- und Anwälteverein/, von /Green Legal Impact e.V/., 
/Lawyers4Future/, /ClientEarth/, der /Humanistischen Union/ und dem 
/Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V/.

Klimaschutz statt Repression:

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt auch im Umgang mit der ›Letzten 
Generation‹!

PM auf der Webseite des RAV: 
https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/klimaschutz-statt-repression-verhaeltnismaessigkeitsgrundsatz-gilt-auch-im-umgang-mit-der-letzten-generation-915

Wir bitten um Kenntnisnahme und Verbreitung in Ihren Medien.

Mit freundlichen Grüßen

Axinja Kormannshaus
RAV-Geschäftsstelle

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Klimaschutz statt Repression:

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt auch im Umgang mit der ›Letzten 
Generation‹!


    Gemeinsame Erklärung des /Republikanischen Anwältinnen- und
    Anwälteverein/, von /Green Legal Impact e.V/., /Lawyers4Future/,
    /ClientEarth/, der /Humanistischen Union/ und dem /Komitee für
    Grundrechte und Demokratie e.V/.

Berlin/Köln, 22. Dezember 2022

*Mit dem Vorwurf der »Bildung einer kriminellen Vereinigung« nach § 129 
StGB fahren die Strafverfolgungsbehörden schweres Geschütz gegen 
gewaltfreien Klimaprotest auf, der mit der Einhaltung der 
Klimaschutzziele ein verfassungs- und völkerrechtlich legitimiertes 
Anliegen verfolgt. Angesichts der weitreichenden Grundrechtseingriffe, 
die durch diesen Vorwurf gerechtfertigt werden, halten wir die 
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Neuruppin nach § 129 StGB gegen 
Menschen aus der Bewegung ›Letzte Generation‹ für unverhältnismäßig.*

Die strafrechtliche Verfolgung von Mitgliedern der Bewegung ›Letzte 
Generation‹ hat eine neue Qualität erreicht. Am vergangenen Dienstag, 
den 13.12., kam es zu elf Hausdurchsuchungen und der Beschlagnahmung von 
Handys, Laptops und Plakaten. Der Vorwurf lautet »Bildung einer 
kriminellen Vereinigung« gemäß § 129 Abs. 1 StGB, außerdem Störung 
öffentlicher Betriebe (§ 316b StGB), Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) und 
Nötigung (§ 240 StGB). Medienberichten zufolge wurden Ermittlungen gegen 
insgesamt 34 Beschuldigte in acht Bundesländern eingeleitet, nachdem 
seit Mai bei mehreren Protestaktionen an der PCK-Raffinerie in Schwedt 
Ventile zugedreht und der Öl-Zufluss damit kurzzeitig unterbrochen 
worden sein soll. Zwei Wochen vor den Hausdurchsuchungen hatten mehrere 
Landesminister auf der Innenministerkonferenz Ermittlungen nach § 129 
StGB gefordert.

*Anfangsverdacht der »Bildung einer kriminellen Vereinigung« bereits 
fraglich*

Die Unterzeichnenden kritisieren dieses Vorgehen, denn bereits das 
Vorliegen des Anfangsverdachts bezüglich der Bildung einer kriminellen 
Vereinigung erscheint zweifelhaft. Der Tatbestand setzt voraus, dass 
eine Gruppe die Begehung von schweren Straftaten bezweckt, von denen 
eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Das 
trifft auf das Festkleben an Straßen, Gemälden und Flughäfen als bislang 
wichtigster Protestform der ›Letzten Generationen‹ schon im Ansatz nicht 
zu. Ob Sitzblockaden und andere Formen des zivilen Ungehorsams überhaupt 
strafbares Verhalten darstellen, ist fraglich – Gerichte und 
Staatsanwaltschaften haben die wertungsoffenen juristischen Fragen der 
Verwerflichkeit und eines rechtfertigenden Klimanotstandes zuletzt 
unterschiedlich beantwortet und Protestierende vereinzelt 
freigesprochen. Jedenfalls aber haben die mit den Sitzblockaden 
verbundenen Vorwürfe kein ausreichendes Gewicht, um Vorwürfe nach § 129 
StGB begründen zu können.

Ähnlich sieht es bei dem Zudrehen von Ventilen an der Raffinerie in 
Schwedt aus. Weder wurden durch die kurzzeitige Unterbrechung der 
Versorgung einer Raffinerie Menschen gefährdet, noch die öffentliche 
Sicherheit in erheblichem Maße beeinträchtigt. Auch zu 
Sachbeschädigungen kam es nicht. Dass die Aktion möglicherweise den 
Anfangsverdacht einer Störung öffentlicher Betriebe begründet, kann für 
sich genommen die Ermittlungen nach § 129 StGB ebenso wenig rechtfertigen.

*Motivation, Ziele und Kontext entscheidend***

Gerade weil der Vorwurf nach § 129 StGB weitreichende 
Ermittlungsmaßnahmen ermöglicht, die mit schweren Grundrechtseingriffen 
verbunden sind, fordert auch der BGH die strikte Einhaltung des 
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Bewertung der Zwecke einer 
Vereinigung. Ob die Schwelle zu einer kriminellen Vereinigung im Sinne 
der Vorschrift überschritten wird, ist nicht allein anhand der 
begangenen Straftaten, sondern anhand einer Gesamtwürdigung aller 
Umstände zu bewerten, die auch den Rahmen und den Hintergrund der Taten 
in den Blick nimmt – und gerade dieser könnte nicht deutlicher gegen die 
Annahme einer kriminellen Vereinigung sprechen:

Die ›Letzte Generation‹ weist mit ihrem Protest auf etwas hin, das auch 
Barack Obama und Annalena Baerbock genau so formuliert haben: Dass wir 
zu der letzten Generation gehören, die die katastrophalen Auswirkungen 
des Klimawandels noch stoppen kann. »Die nächsten acht Jahre sind 
entscheidend«, erkennt selbst Bundeskanzler Olaf Scholz. Trotzdem 
reichen weder global noch national die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen 
aus, um die globalen Klimaziele sowie den in Deutschland 
verfassungsrechtlich vorgegebenen Reduktionspfad einzuhalten. Das wurde 
unlängst durch das Zweijahresgutachten des /Expertenrates für 
Klimafragen/ bestätigt, der einen Paradigmenwechsel in der deutschen 
Klimaschutzpolitik anmahnt. Derweil hat der voranschreitende Klimawandel 
bereits in vielen Teilen der Erde verheerende Konsequenzen. Angesichts 
dieser Entwicklungen richtet sich die ›Letzte Generation‹ an die 
Politik. Die Bewegung fordert im Grunde nicht mehr, als die Einhaltung 
des Klimaschutzgesetzes und der völker- und verfassungsrechtlichen 
Pflicht, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5° C zu begrenzen. Die 
Proteste haben ein starkes kommunikatives Element und zielen auf die 
Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung ab. Sie nehmen damit eine 
grundrechtlich garantierte Freiheit wahr, welche das 
Bundesverfassungsgericht als schlechthin konstitutiv für unsere 
Demokratie erachtet. Diese Umstände müssen die Ermittlungsbehörden bei 
der Bewertung des Verhältnisses von Straftaten und verfolgten Zwecken 
angemessen berücksichtigen.

Für die strafrechtliche Bewertung des Gesamtbildes ist außerdem 
entscheidend: Die Bewegung agiert nicht im Verborgenen, sondern trägt 
ihre Ziele und Methoden sowie die Identität der Beteiligten in die 
Öffentlichkeit. Dort, wo die gewählten Protestformen des zivilen 
Ungehorsams die Grenzen zur Strafbarkeit überschritten haben, stellen 
sich bislang alle Aktiven den Strafverfahren. All das spricht 
entscheidend gegen die Annahme einer kriminellen Vereinigung.

*Ermittlungsmaßnahmen müssen Verhältnismäßigkeit wahren*

In jedem Fall erscheinen die Durchsuchungen und Beschlagnahmungen 
angesichts des gewaltfreien und öffentlichen Protests und der verfolgten 
Anliegen der Bewegung unverhältnismäßig. Die Mitglieder der ›Letzten 
Generation‹ haben bislang keinerlei Anstalten gemacht, ihre Taten zu 
verbergen und Ermittlungsmaßnahmen zu behindern.

Leider reihen sich die Ermittlungen in andere staatliche Maßnahmen gegen 
die ›Letzte Generation‹ ein, wie die wahrscheinlich verfassungswidrige 
Anordnung eines 30-tägigem Gewahrsams in Bayern. In ihrer Gesamtheit 
erwecken diese Maßnahmen den Eindruck einer Instrumentalisierung des 
Ordnungs- und Strafrechts für die Delegitimierung und Einschüchterung 
von unliebsamem Protest. Das ist eines demokratischen Rechtsstaats 
unwürdig. Repression sollte nicht die Antwort des Staats auf eine 
Klimabewegung sein, die den Erhalt unser aller Lebensgrundlagen 
einfordert und an die Einhaltung von Gesetz und Recht erinnert.

*Die Dringlichkeit des Problems erkennen!*

Vor allem aber drohen die Diskussionen über strafrechtliche 
Ermittlungsmaßnahmen von der eigentlichen Problematik abzulenken. Die 
Verantwortlichen sollten sich mit dem Ruf der Protestierenden nach 
wirksamen Maßnahmen gegen die drohende Klimakatastrophe 
auseinandersetzen und endlich ihren verfassungsrechtlichen Pflichten 
nachkommen. Klimaschutz ist Menschenrecht, das haben Gerichte rund um 
die Welt bereits entschieden – und dieses Menschenrecht hat jeder Staat 
zu achten. Die ›Letzte Generation‹ wählt drastische Mittel, um auf das 
bis heute andauernde, drastische Versagen der Klimaschutzpolitik 
hinzuweisen. Die Dringlichkeit der Klimakrise haben die meist jungen 
Betroffenen nicht zu verantworten.



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Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.
Haus der Demokratie und Menschenrechte
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