[imc-presse] Pressemitteilung RAV: Koalitionsvertrag stellt nicht im Ansatz den notwendigen Systemwechsel dar (Bereich Migration u Asyl)
RAV e.V.
gs at rav.de
Fri Nov 26 10:41:42 CET 2021
Sehr geehrte Damen und Herren,
anbei und hier folgend eine aktuelle Pressemitteilung des RAV*, *in dem
festgestellt wird, dass der *Koalitionsvertrag* zwar positive Ansätze
enthält, aber die grundlegend notwendige Modernisierung und den
Systemwechsel im *Bereich ›Migration und Asyl‹* verfehlt.
Entscheidend ist, ob die neue Regierung auf diese Anforderungen und auf
das Sterben an den Außengrenzen und auf den Fluchtrouten nur mit
Sonntagsreden oder mit menschenrechtsbasierter Politik reagieren wird.
Wir bitten um Kenntnisnahme und Aufnahme in und mit Ihren Medien.
Die PM ist auch von der RAV-Webseite abrufbar:
https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/bereich-migration-und-asylkoalitionsvertrag-stellt-nicht-im-ansatz-den-notwendigen-systemwechsel-dar-816
**
Mit freundlichen Grüßen
Sigrid v. Klinggräff
RAV-Geschäftsstelle
***************
RAV-Pressemitteilung 9/21, 26.11.2021
*Bereich ›Migration und Asyl**
**Koalitionsvertrag stellt nicht im Ansatz den notwendigen Systemwechsel
dar*
*Aus Sicht des RAV ist festzustellen: Der Koalitionsvertrag enthält im
Bereich ›Migration und Asyl‹ einige Aussagen, die eine überfällige
Abkehr von einer rückwärts ausgerichteten Politik darstellen. Sie
stellen aber nicht ansatzweise den dringend notwendigen Systemwechsel dar.*
Im 21. Jahrhundert beispielsweise Menschen nach geltendem Recht das
Recht auf Arbeit gesetzlich zu verweigern, ist ein Anachronismus und
fundamentaler Angriff auf die Gleichheit und Würde jedes Einzelnen. Es
ist also zu begrüßen, dass durch die Ampel-Koalition Arbeitsverbote
gestrichen werden sollen. Gleichwohl wird erst die Praxis zeigen, wie
ernst die Streichung des Arbeitsverbots gemeint ist und ob alle Gruppen
wie etwa Asylsuchende hiervon umfasst sein sollen.
*Im Einzelnen*
Ebenso ist positiv, dass die neue Koalition das Rechtsinstitut der
›Duldung light‹ abschaffen wird. Diese ›Duldung light‹ hat in keinem
Fall zum deklarierten Ziel der Ausreise oder Abschiebung geführt.
Zugleich hat sie aber massiv in menschenrechtlich geschützte Rechtgüter,
wie das Recht auf Arbeit, eingegriffen.
Der RAV kritisiert aber auf das Schärfste, dass es auch unter der
Ampel-Koalition weiter Duldungszeiten geben wird, die bei der Berechnung
der Dauer der Aufenthaltszeit eines Menschen nicht berücksichtigt werden
sollen. Dies führt dazu, dass eine Person zwar faktisch in Deutschland
ist, rechtlich sich aber in einer Art Niemandsland befindet.
Die ›Duldung light‹ ist nicht nur unsinnig, sondern zog – genau wie die
neu eingeführte /verpflichtenden Prüfung des Widerrufs/ eines
Schutzstatus – einen Rattenschwanz an bürokratischen Verfahren und
Rechtsstreitigkeiten nach sich. In ca. 97 Prozent der sinnlos
eingeleiteten Widerrufsprüfungen kommt es nicht zum Widerspruch. Es ist
also zu begrüßen, dass der Koalitionsvertrag eine Abschaffung der
/verpflichtenden Einleitung des Widerrufsverfahrens/ vorsieht.
*Lager und Abschiebehaft*
Die Aussage des Koalitionsvertrags im Bereich Asyl zur Abkehr von den
Ankerzentren ist nicht weitgehend genug. Das gesamte Konzept dieser
Zentren ist radikal gescheitert. Absonderungen von Menschen über
Wohnverpflichtungen in Lagern, die ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit
nicht entsprechen, sind abzuschaffen.
Kinder nicht in Abschiebehaft zu nehmen, wie es im Koalitionsvertrag
heißt, stellt eine Selbstverständlichkeit dar. Die überfällige, dringend
notwendige grundsätzliche Reform des gesamten rechtswidrigen Systems
Abschiebung bleibt aus.
*Der RAV kritisiert u.a. auf das schärfste, dass in
Abschiebehaftverfahren weiter keine zwingende anwaltliche Beiordnung
vorgesehen ist, obwohl sich die überwiegende Mehrheit der
haftrechtlichen Beschlüsse als rechtswidrig erweisen.*
Im Bereich Familiennachzug enthält der Koalitionsvertrag Ansätze, die
positiv zu bewerten sind. Erleichterungen in den Rechtsgrundlagen und
die Abkehr von der Idee, erst im Ausland die Sprache erlernen zu müssen,
statt eine schnelle Einreise und Teilnahme an Sprachkursen hier zu
ermöglichen, ist zu begrüßen, wenn auch nicht weitgehend genug.
Insbesondere die unerträglichen jahrelangen Wartezeiten in den
Visaverfahren sind sofort zu ändern.
Erleichterungen im Bereich der Verfestigung des Aufenthalts sowie die
Einführung der doppelten Staatsangehörigkeit stellen eine überfällige
Reform dar. Die Regelungen sind aber nicht ausreichend, zu kritisieren
ist, dass die Bleiberechtsregelung weiter an einen Stichtag anknüpft.
Der Koalitionsvertrag spricht von einer Vereinheitlichung der
Rechtsprechung im Bereich Asyl. Unklar ist, was hier gemeint wird. Es
darf jedenfalls auf keinen Fall darauf hinauslaufen, dass eine
Tatsacheninstanz im Rechtszug entfällt.
Es liest sich zwar positiv, dass legale Einreisemöglichkeiten
ausgeweitet werden sollen. Aber auch hier ist abzuwarten, ob es sich um
symbolische Maßnahmen handelt oder denen, die zum Zweck der Bildung oder
Erwerbstätigkeit zuwandern wollen ohne hochqualifiziert zu sein, ein
faires Verfahren eröffnet wird.
*Krise des europäischen Asylrechts*
Die Aussagen zur europäischen Migrations- und Asylpolitik sind aus Sicht
des RAV vollkommen unzureichend. Der Auslagerung des Asylrechts in
Drittstaaten wird keine unmissverständliche Absage erteilt. Effektiven
Rechtsschutz an den europäischen Außengrenzen gibt es nicht. Konzepten
eines ›Rechtsschutz light‹ ist eine klare Absage zu erteilen.
/Relocation/-Programme und /Ressettlements /sind zwar zu begrüßen.
Allerdings sind diese als Antwort auf die Krise des europäischen
Asylrechts unzureichend, denn sie formulieren keine transparenten und
rationalen Verfahren für die Betroffenen. Nur eine ›Koalition der
Willigen‹ in Europa kann und muss sich über eine Aufnahme von
Schutzsuchenden in fairen Verfahren verständigen. Es gibt nur eine
Antwort auf die aktuelle Krise: Aufnahme und das strikte Eintreten gegen
rechtswidrige Push Backs, keine direkte und indirekte Kooperation mit
Drittstaaten wie Libyen oder der Türkei.
Weiter gilt ein in Teilen verfassungswidriges Sozialrecht für
Flüchtlinge. Es wird weiter Abschiebungen in Krisenländer und ausweglose
Situationen geben.
Dieser Koalition ist ins Stammbuch zu schreiben: Grundrechte und
Menschenrechte gelten, wenn sie für jede einzelne und jeden einzelnen
gelten. Statt sie zur Disposition zu stellen, sind sie gerade in
Krisenzeiten zu verteidigen.
*Zusammenfassend ist festzustellen: Der Koalitionsvertrag enthält zwar
positive Ansätze, verfehlt aber die grundlegend notwendige
Modernisierung und den Systemwechsel im Bereich ›Migration und Asyl‹.
Entscheidend ist, ob die neue Regierung auf diese Anforderungen und auf
das Sterben an den Außengrenzen und auf den Fluchtrouten nur mit
Sonntagsreden oder mit menschenrechtsbasierter Politik reagieren wird.*
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Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
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