[imc-presse] [attac-d-presse] Gemeinnützigkeit: Attac hat Verfassungsbeschwerde eingereicht

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Mon Mar 1 11:15:38 CET 2021


Pressemitteilung als PDF:
https://link.attac.de/pm-verfassungsbeschwerde

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Pressemitteilung
Attac Deutschland
Frankfurt am Main, 1. März 2021



* Gemeinnützigkeit: Attac hat Verfassungsbeschwerde eingereicht

* Globalisierungskritiker*innen sehen sich in ihren Grundrechten
verletzt

Attac hat Verfassungsbeschwerde gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit
eingereicht. Das globalisierungskritische Netzwerk sieht sich in seinen
Grundrechten verletzt, insbesondere in der Vereinigungsfreiheit (Artikel
9 des Grundgesetzes) in Verbindung mit der Meinungsfreiheit (Artikel 5)
sowie dem Gleichheitssatz (Artikel 3) und dem Demokratieprinzip (Artikel
20). Nach Ansicht der Globalisierungskritiker*innen hat der
Bundesfinanzhof (BFH) in seinen beiden Urteilen zur Gemeinnützigkeit von
Attac die Abgabenordnung verfassungswidrig ausgelegt.

„Der Bundesfinanzhof verkennt die Bedeutung der Vereinigungsfreiheit in
Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Demokratieprinzip
für den demokratischen Prozess. Dies führt zu einer nicht mehr
verfassungskonformen Auslegung der Abgabenordnung, die mit einer
Ungleichbehandlung des Klägers verbunden ist“, heißt es in der
Klagebegründung.

Nicht nur politischen Parteien, sondern auch zivilgesellschaftlichen
Organisationen komme im Prozess der Willensbildung die Funktion von
„Transmissionsriemen“ zu, die auf Fehlentwicklungen hinweisen und damit
zur demokratischen Legitimität und Stabilität der demokratischen Ordnung
beitragen, argumentiert Attac in der Klageschrift. „In Vereinen kann
aktiv am demokratischen Geschehen teilgenommen werden. Meinungen können
geäußert, gebildet und ausgetauscht werden. Die Meinungsbildung in der
Zivilgesellschaft ist für die staatliche Willensbildung in einer
demokratischen Gesellschaft unabdingbare Voraussetzung und benötigt
Vereinigungen, die den Willensbildungsprozess organisieren und
strukturieren.“

Professor Andreas Fisahn, der Attac vor dem Bundesverfassungsgericht
vertritt, stellt fest: „Angesichts dieser Bedeutung der
Vereinigungsfreiheit in einer pluralistischen Demokratie kann man die
Abgabenordnung verfassungskonform kaum in dem Sinne auslegen, dass die
Absicht, auf die Meinungsbildung des Volkes Einfluss zu nehmen,
expliziter Grund ist, eine Gemeinnützigkeit auszuschließen.“

Dirk Friedrichs, Mitglied im bundesweiten Attac-Koordinierungskreis,
ergänzt: „Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs spricht ein autoritäres
Demokratieverständnis von vorgestern. Statt eine aktive, sich
einmischende Zivilgesellschaft zu fördern, sollen ihr vor allem Grenzen
gesetzt werden. In Zeiten, in denen die Zustimmung zur Demokratie
schwindet, ist dies ein fatales Signal.“

Mit der Verfassungsbeschwerde geht die juristische Auseinandersetzung um
die Gemeinnützigkeit von Attac nach fast sieben Jahren in die letzte
Runde. Das Frankfurter Finanzamt hatte Attac 2014 die Gemeinnützigkeit
mit der Begründung entzogen, das Netzwerk agiere zu politisch.
Insbesondere der Einsatz für eine Finanztransaktionssteuer oder eine
Vermögensabgabe diene keinem gemeinnützigen Zweck, hieß es. Ein erstes
Verfahren vor dem Hessischen Finanzgericht gewann Attac. Im
Revisionsverfahren sprach der Bundesfinanzhof Attac jedoch 2019 die
Gemeinnützigkeit ab. In einem zweiten Urteil im Januar 2021 bestätigte
er diese Sicht.

Die Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit von Attac hat Bedeutung
für die gesamte Zivilgesellschaft. Bereits wenige Wochen nach dem ersten
BFH-Urteil 2019 entzogen Finanzämter weiteren Organisationen die
Gemeinnützigkeit.

Attac wird in dem Verfahren von Professor Andreas Fisahn und Professor
Wolfram Cremer vertreten.

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Für Rückfragen:

* Rechtsanwalt Prof. Dr. Andreas Fisahn, Universität Bielefeld,
Tel. 05224 997 182

* Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfram Cremer, Ruhr-Universität Bochum,
Tel. 0151 6285 2980

* Dirk Friedrichs, Vorstand Attac-Trägerverein /
Attac-Koordinierungskreis, Tel. 0177 3276 659

* Frauke Distelrath, Pressesprecherin Attac Deutschland,
Tel. 0151 6141 0268


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Dokumente:

* Verfassungsbeschwerde Attac:
https://link.attac.de/verfassungsbeschwerde

* Zurückweisung der Revision durch den BFH (Beschluss vom 20.12.2020,
zugestellt am 27.1.2021):
https://link.attac.de/urteil-bfh-revision

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Weitere Informationen:

* Pressemitteilung zum zweiten Revisionsurteil des BFH vom 27. Januar
2021: https://link.attac.de/pm-urteil-bfh-revision

* Pressemitteilung zum Urteil des Hessischen Finanzgerichts am 26.
Februar 2020: https://link.attac.de/pm-urteil-hessisches-finanzgericht

* Pressemitteilung zum ersten BFH-Urteil am 26. Februar 2019:
https://link.attac.de/pm-bfh-urteil-2019

* Webseite zur Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit von Attac (mit
Hintergrund und weiteren Dokumenten): www.attac.de/jetzt-erst-recht

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Hintergrund

Das Frankfurter Finanzamt entzog Attac 2014 die Gemeinnützigkeit mit der
Begründung, das Netzwerk sei zu politisch. Insbesondere der Einsatz für
eine Finanztransaktionssteuer oder eine Vermögensabgabe diene keinem
gemeinnützigen Zweck, hieß es zur Begründung. Bereits im November 2016
gab das Hessische Finanzgericht der Klage von Attac statt und bestätigte
dessen Gemeinnützigkeit.

Auf Weisung des Bundesfinanzministeriums unter Wolfgang Schäuble
beantragte das Frankfurter Finanzamt jedoch Revision beim
Bundesfinanzhof in München. Das Finanzministerium trat dem
Revisionsprozess auch offiziell als Verfahrensbeteiligter bei.

Der BFH hob das Urteil der ersten Instanz im Februar 2019 auf und
verwies das Verfahren zurück an das Hessische Finanzgericht. In seinem
viel kritisierten Urteil steckte der BFH den Rahmen für politisches
Engagement von gemeinnützigen Organisationen sehr viel enger als die
bisherige Rechtsprechung gesteckt und legte insbesondere den
gemeinnützigen Zweck „Förderung der Bildung“ deutlich restriktiver aus.
Die Richter in Kassel mussten bei ihrer erneuten Entscheidung am 26.
Februar 2020 der Rechtsauslegung des BFH folgen, ließen aber
ausdrücklich eine Revision zu. Am 27. Januar 2021 wies der BFH die
Revision von Attac zurück. Damit ist der Rechtsweg erschöpft. Am 26.
Februar hat das globalisierungskritische Netzwerk Verfassungsbeschwerde
eingereicht.

Durch den Entzug der Gemeinnützigkeit dürfen Mitglieder und
Unterstützer*innen von Attac ihre Beiträge und Spenden nicht mehr von
der Steuer absetzen. Stiftungen und andere Institutionen können Projekte
von Attac nicht mehr fördern. Zudem muss Attac Steuern zahlen, die für
gemeinnützige Vereine nicht anfallen, beispielsweise Schenkungssteuern.

Gemeinsam mit anderen Organisationen hat Attac die Gründung der „Allianz
Rechtssicherheit für politische Willensbildung" angestoßen, die im Juli
2015 die Arbeit aufgenommen hat. Der Allianz setzt sich für ein modernes
Gemeinnützigkeitsrecht und eine Änderung der Abgabenordnung ein. Ihr
angeschlossen haben sich mehr als 180 Vereine und Stiftungen – darunter
neben Attac beispielsweise auch Brot für die Welt, Amnesty
International, Medico International, Oxfam, Terres des Hommes und
Campact. (www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de)


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Frauke Distelrath
Pressesprecherin Attac Deutschland
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Münchener Str. 48, 60329 Frankfurt/M
Tel. 069 900 281-42; 0151 6141 0268
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