[imc-presse] Erklärung des RAV, VDJ u Grundrechtekomitees zum Gesetzentwurf für ein Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz

RAV e.V. gs at rav.de
Fri Oct 30 10:04:28 CET 2020


Sehr geehrte Damen und Herren,

anbei und hier folgend eine gemeinsame Presseerklärung des
Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins, der Vereinigung
demokratischer Juristinnen und Juristen und des Grundrechtekomitees
nebst detaillierter Erklärungen zum Gesetzentwurf für ein Berliner
Versammlungsfreiheitsgesetz.

Die Erklärung ist hier
<https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/erklaerung-des-rav-der-vdj-und-des-grundrechtekomitees-zum-gesetzentwurf-fuer-ein-berliner-versammlungsfreiheitsgesetz/28f4c866c74be22e6b284b31563c8116/>auch
online abrufbar.

Wir danken für Kenntnisnahme und Veröffentlichung in und mit Ihren Medien.

Für Kontaktaufnahme stehen zur Verfügung:

Rechtsanwalt Dr. Peer Stolle, Tel.: 030.44 67 92 16,
stolle at dka-kanzlei.de <mailto:stolle at dka-kanzlei.de>

Rechtsanwalt Dr. Lukas Theune, Tel.: 030.23 56 44 36,
lukas.theune at rav.de <mailto:lukas.theune at rav.de>

Michèle Winkler; Grundrechtekomitee, Tel.: 0177.272 19 84,
michelewinkler at grundrechtekomitee.de
<mailto:michelewinkler at grundrechtekomitee.de>

Rechtsanwältin Ursula Mende, Vereinigung Demokratischer Juristinnen und
Juristen, Tel.: 02151.15 26 16, _mail at vdj.de_


Mit freundlichen Grüßen

Sigrid v. Klinggräff
RAV-Geschäftsstelle

******

*Gemeinsame Presserklärung Nr. 15/20 vom 30. Oktober 2020*

*
*

***Erklärung des RAV, der VDJ und des Grundrechtekomitees zum
Gesetzentwurf für ein Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz***

**

*Keine Erweiterung polizeilicher Befugnisse bei Versammlungen –
Versammlungsfreiheit schützen, statt beschränken!*

* *

*Der RAV, die VDJ und das Komitee für Grundrechte und Demokratie
begrüßen grundsätzlich das Vorhaben der Rot-Rot-Grünen Koalition in
Berlin, ein modernes und an dem Grundgedanken der Gewährleistung einer
weitreichenden Versammlungsfreiheit ausgerichtetes Gesetz zu erlassen.*

 

Die Versammlungsfreiheit ist – neben der Meinungsfreiheit – eines der
wichtigsten politischen Grundrechte, das für den politischen
Meinungskampf, die gesellschaftliche Teilhabe und die Sicherstellung von
demokratischen Grundsätzen von zentraler Bedeutung ist.

 

*Vor diesem Hintergrund enttäuscht der vorgelegte Gesetzesentwurf
bürger*innenrechtliche Erwartungen*

 

Die Versammlungsbehörde soll immer noch Teil der Polizei sein,
Polizeirecht soll auf Versammlungen anwendbar sein, die polizeiliche
Anwesenheit in den Demonstrationen soll erlaubt sein; nach wie vor
müssen Versammlungen angemeldet werden.

 

Rechtsanwalt Dr. Peer Stolle, Vorstandsvorsitzender des RAV erklärt
hierzu: »/Der Gesetzentwurf sieht weiterhin Versammlungen als
Gefahrenherde und nicht als Ausdruck einer gelebten Demokratie. Die
Chance, die Versammlungsfreiheit zu stärken, wird verpasst/«. Michèle
Winkler vom Komitee für Grundrechte und Demokratie ergänzt: »/Es ist mit
dem im Koalitionsvertrag gegebenen Versprechen eines modernen
Versammlungsrechts nicht vereinbar, wenn nach wie vor Vermummung als
Straftat verfolgt werden kann und Demos verboten werden können, weil
Teilnehmende ›Gewaltbereitschaft vermitteln‹ und bedrohlich wirken. Die
Berliner Gesellschaft hält auch radikal kritische Stimmen aus. Ein
freiheitliches Versammlungsrecht sieht anders aus/«.

 

*Kontakt*:

Rechtsanwalt Dr. Peer Stolle, Tel.: 030.44 67 92 16,
stolle at dka-kanzlei.de <mailto:stolle at dka-kanzlei.de>

Rechtsanwalt Dr. Lukas Theune, Tel.: 030.23 56 44 36,
lukas.theune at rav.de <mailto:lukas.theune at rav.de>

Michèle Winkler; Grundrechtekomitee, Tel.: 0177.272 19 84,
michelewinkler at grundrechtekomitee.de
<mailto:michelewinkler at grundrechtekomitee.de>

Rechtsanwältin Ursula Mende, Vereinigung Demokratischer Juristinnen und
Juristen, Tel.: 02151.15 26 16, _mail at vdj.de_

* *

*Nachfolgend die Argumente im Einzelnen:*

* *

*Hintergrund*

 

Am 2. November 2020 soll die erste Anhörung zu dem Entwurf für ein
Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz im Abgeordnetenhaus stattfinden.

Vor diesem Hintergrund sind folgende Anmerkungen an dem derzeitigen
Gesetzentwurf veranlasst:

 

*1. Die Versammlungsbehörde sollte nicht Teil der Polizei sein*

Es ist zu begrüßen, dass die Versammlungsbehörde nicht mehr beim
Landeskriminalamt, Abt. polizeilicher Staatsschutz, angesiedelt ist. Sie
ist aber weiterhin Teil der Polizeibehörde. Deren Aufgabe ist die
Verfolgung von Straftaten und die Abwehr von Gefahren. Die
Gewährleistung der Versammlungsfreiheit passt nicht zu diesem
Aufgabenbereich. Wir fordern daher die Einrichtung einer eigenen
Versammlungsbehörde, die bspw. beim Landesamt für Bürger- und
Ordnungsangelegenheiten angesiedelt werden könnte. Eine derartige
Trennung zwischen Polizei und Versammlungsbehörde wird in vielen anderen
Bundesländern seit Jahren praktiziert.

 

*2. Die Anzeigepflicht ist zu begrenzen*

Die Anzeigepflicht für Versammlungen ist zu begrenzen auf solche, die
aufgrund ihrer zu erwartenden Größe und/oder ihres inhaltlichen
Kontextes eine vorherige behördliche Befassung erforderlich machen.

Es ist unverhältnismäßig, wenn sich bspw. drei Personen mit einem
Transparent auf einen Bürgersteig hinstellen wollen und diese unter
Bußgeldandrohung vorher diese Versammlung anmelden müssen.

 

*3. Gegen ein Pseudo-Deeskalationsgebot*

Das im Gesetzentwurf aufgeführte Deeskalationsgebot ist tatsächlich keins.

 

Die Regelung in § 3 Abs. 4 GE, in dem festgelegt wird, dass die Behörde
bei konfliktträchtigen Einsatzlagen Gewaltbereitschaft und drohende oder
bestehende Konfrontationen zielgruppenorientiert zu verhindern oder
abzuschwächen habe, um eine nachhaltige Befriedung der jeweiligen Lage
zu ermöglichen, liest sich als Auftrag, weit im Vorfeld von Gefahren für
die öffentliche Sicherheit präventiv und eingreifend tätig zu werden.

 

Deeskalation bedeutet aber, die Polizei auch als (potentiellen) Teil
eines Konfliktes oder einer Eskalationsspirale zu sehen und
dementsprechend einen Einsatz zurückhaltend auszuführen. Eine
entsprechende Verhaltenspflicht findet sich in § 3 Abs. 4 GE nicht; er
ist daher zu streichen.

 

*4. Vermummungs- und Schutzwaffenverbot generell abschaffen*

Die Regelung, dass das Vermummungs- und Schutzwaffenverbot nur bei
spezieller Anordnung gilt, ist zu begrüßen. Allerdings bleibt unklar,
unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang seitens der Behörde
solche Anordnungen getroffen werden sollen. Der Gesetzentwurf ist dort
unklar und unbestimmt.

 

Zu kritisieren ist ferner, dass der Verstoß gegen eine solche Anordnung
weiterhin strafbewehrt ist. Eine Abstufung auf eine Ordnungswidrigkeit
ist daher aus bürgerrechtlicher Sicht eine Mindestforderung.

 

*5. Keine Anwendung von Polizeirecht bei Versammlungen*

Der in § 10 GE geregelte generelle Verweis auf Eingriffsbefugnisse aus
dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz ist ersatzlos zu streichen.

 

Versammlungsbezogene Eingriffe sind im Versammlungsgesetz zu regeln. Das
gebietet die Polizeifestigkeit von Versammlungen. Dieser Verweis
eröffnet der Polizei den Zugriff auf sämtliche Eingriffsmaßnahmen des
Polizeirechts. Dies ist abzulehnen.

 

*6. Integrität von Versammlungen unnötig und unzulässig aufgeweicht*

Die Integrität der Versammlung steht nicht im Mittelpunkt des
Gesetzesentwurfs. Maßnahmen der Gefahrenabwehr nehmen viel Platz im GE
ein und die Polizeifestigkeit von Versammlungen wird an vielen Stellen
unnötig und unzulässig aufgeweicht. Teilweise werden
Eingriffsmöglichkeiten an das Gefahrenabwehrrecht geknüpft, wo eine
Anknüpfung an die Strafprozessordnung vollkommen ausreicht.

 

◦   Insbesondere §16 (Untersagung der Teilnahme oder Anwesenheit und
Ausschluss von Personen) greift unzulässig in die Versammlungsfreiheit
ein: Er ermöglicht der Polizei, selbst über die Teilnahme oder den
Ausschluss von Versammlungen zu verfügen. Dies obliegt der
Versammlungsleitung, nicht der Polizei; §16 sollte daher komplett
gestrichen werden.

◦   Der §17 (Durchsuchung und Identitätsfeststellung) muss ähnlich
kritisch bewerten werden. Insbesondere Identitätsfeststellungen wirken
einschüchternd und halten Teilnehmer*innen von der Ausübung des
Versammlungsrechts ab. Mindestens diese Maßnahme sollte aus dem GE
gestrichen werden. Bezüglich der Durchsuchung ist zu beanstanden, dass
auch in Anknüpfung an § 19 wegen Vermummungsutensilien durchsucht werden
darf, obwohl nach diesem nur noch die Verwendung unter Strafe gestellt
werden soll. Das ist inkohärent. Entweder die Durchsuchung im
Vorfeldbereich wird beschränkt und nur noch zur Strafverfolgung
ermöglicht, oder der Verweis auf § 19 sollte gestrichen werden.

 

*7. Keine Erweiterung der Beschränkungs- und Verbotstatbestände*

Bei der in § 14 GE geregelten Möglichkeit des Erlasses von
Beschränkungen von Versammlungen findet sich auch die Regelung,
Versammlungen zu verbieten oder zu beschränken, wenn aufgrund der
konkreten Art und Weise ihrer Durchführung in erheblicher Weise gegen
das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger und grundlegende
soziale oder ethische Anschauungen verstoßen wird. Damit wird das lt.
Begründung des Gesetzentwurfes eigentlich gestrichene Rechtsgut der
öffentlichen Ordnung durch die Hintertür wiedereingeführt. Bereits die
Gesamtregelung des § 14 GE ist aufgrund seiner Unbestimmtheit zu
kritisieren.

Insbesondere ist § 14 Absatz 2 Satz 2 zu streichen, demzufolge eine
Versammlung schon deshalb beschränkt oder verboten werden könnte, »wenn
diese geeignet oder dazu bestimmt ist, Gewaltbereitschaft zu
vermitteln«. Dieser Passus stellt ein deutlich zu weitgehendes und
gleichzeitig kein klar bestimmtes Merkmal für eine Beschränkung oder ein
Verbot dar. In den in der Gesetzesbegründung zitierten
Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen findet sich keine Entsprechung
zur gewählten Formulierung in § 14 Absatz 2 Satz 2. Dort wird vielmehr
auf paramilitärisches Auftreten oder eine einschüchternde
Gewaltdemonstration abgestellt.

 

*8. Begrenzung des Anwesenheitsrechts der Polizei*

Die Rot-Rot-Grüne Koalition hat mit dem GE auch die Chance verpasst, die
Anwesenheit der Polizei in und an Versammlungen zu begrenzen. Die
Regelung nach § 11, dass die Polizei anwesend sein kann, wenn dies zur
polizeilichen Aufgabenerfüllung nach diesem Gesetz erforderlich sei,
stellt eine pauschale Befugnis zur Anwesenheit dar.

Zudem sieht Satz 2 vor, dass es bei Versammlungen unter freiem Himmel
genügt, wenn die polizeiliche Einsatzleitung sich der
Versammlungsleitung zu erkennen gibt. Dies lässt befürchten, dass es von
polizeilicher Seite für zulässig erachtet werden wird, Polizeikräfte in
Zivil ohne Kennzeichnung in Versammlungen einzusetzen/./

 

*9. Begrenzung von Video- und Tonaufnahmen bei Versammlungen*

Übersichtsaufnahmen sind nach dem Bundesverfassungsgericht keine stets
zulässige Maßnahme, sondern bedürfen einer Gefahrenprognose. Das wäre
als zusätzliche Voraussetzung in § 18 (2) einzufügen. § 18 (3) Nr. 2:
die Speicherung von Bild- und Ton-Aufzeichnungen zur Gefahrenabwehr für
künftige Versammlungen ist zu streichen.

In Bezug auf die Regelung zu Bild- und Tonaufnahmen in § 18 GE ist
weiterhin zu fordern, dass eine weitergehende Aufbewahrungspflicht mit
Sperrung für eine behördliche Verwendung aufgeführt wird. Die
Löschungspflicht nach drei Monaten ist zu kurz. Oft ist in späteren
verwaltungs- und/oder strafrechtlichen Verfahren ein Rückgriff auf
gefertigte Aufnahmen seitens der Betroffenen erforderlich. Eine
pauschale Löschung dieser Daten könnte daher Rechtsschutzmöglichkeiten
verkürzen.

 

*Dies sind die Mindestpunkte, die bei der parlamentarischen
Auseinandersetzung über den Gesetzentwurf aus bürgerrechtlicher Sicht
berücksichtigt werden müssten*. *Ansonsten wird ein
Versammlungsfreiheitsgesetz erlassen, dass das Gegenteil bewirkt: eine
Erweiterung polizeilicher Eingriffsbefugnisse. Dies würde zu einer
Verschlechterung des Status quo führen. Dann wäre es besser, es bei dem
bisherigen Gesetz zu belassen.*

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Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
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