[imc-presse] [attac-d-presse] Prozess um Attac-Gemeinnützigkeit: Restriktive BFH-Vorgaben lassen Finanzgericht keinen Spielraum

Attac-Pressestelle presse at attac.de
Wed Feb 26 14:34:33 CET 2020


Pressemitteilung
Attac Deutschland
Frankfurt am Main, 26. Februar 2020


* Attac wird Gemeinnützigkeit bis zum Verfassungsgericht verteidigen


* Prozess am Hessischen Finanzgericht: Restriktive Vorgaben des
Bundesfinanzhofs lassen keinen Spielraum / Richter kritisieren
BFH-Urteil: „Mit heißer Nadel gestrickt“


Attac wird die Gemeinnützigkeit seines politischen Engagements für eine
sozial gerechte und ökologisch verträgliche Globalisierung durch alle
Instanzen verteidigen und notfalls Verfassungsbeschwerde einlegen. Das
kündigte das globalisierungskritische Netzwerk nach der Verhandlung am
heutigen Mittwoch vor dem Hessischen Finanzgericht an.

Die engen Vorgaben des Bundesfinanzhofs (BFH) ließen den Richtern in
Kassel keinen Spielraum: Bei ihrer erneuten Entscheidung über die
Gemeinnützigkeit von Attac mussten sie der restriktiven Rechtsauslegung
des BFH vom Februar 2019 folgen und die Attac-Klage gegen das
Frankfurter Finanzamt abweisen.

Noch im November 2016 hatten dieselben Richter in Kassel Attac in vollem
Umfang Recht gegeben und dem Netzwerk die Gemeinnützigkeit bestätigt.

In der heutigen Verhandlung machten die Richter denn auch deutlich, dass
sie mit der restriktiven Auslegung des BFH nicht einverstanden sind.
„Alles in allem scheint das Urteil des Bundesfinanzhofs mit heißer Nadel
gestrickt, was bedenklich erscheint, insbesondere wegen der enormen
gesellschaftlichen Auswirkungen", sagte Helmut Lotzgeselle, Vorsitzender
Richter des 4. Senats am Hessischen Finanzgericht. Er kritisierte vor
allem die enge Auslegung des gemeinnützigen Zwecks der politischen
Bildung: „Der BFH hat hier eine eher klassische, keine aufklärerische
Auslegung des Bildungsbegriffs vorgenommen.“ Dennoch habe das Gericht
keinen Spielraum gesehen, Attac trotz der engen Vorgaben des BFH die
Gemeinnützigkeit erneut zuzuerkennen.

"Dass die Richter am Hessischen Finanzgericht heute gegen ihre
offenkundige Überzeugung bürgerschaftliches Engagement schwächen
mussten, ist ein beängstigendes Signal", sagte Maria Wahle vom Vorstand
des Attac-Trägervereins nach der Verhandlung. „Die heutige Entscheidung
zeigt erneut, wie bedrohlich das Urteil des Bundesfinanzhofs für die
gesamte demokratische Zivilgesellschaft ist. Dabei hat nicht erst der
Tabubruch in Erfurt deutlich gemacht, wie dringend eine wehrhafte
Demokratie auf wache Bürgerinnen und Bürger und kritische
Nichtregierungsorganisationen angewiesen ist, die politische
Entscheidungsprozesse begleiten und sich einmischen.“

+ Scholz muss endlich Rechtssicherheit schaffen für politisches
Engagement gemeinnütziger Vereine

Dirk Friedrichs, ebenfalls im Vorstand des Attac-Trägervereins,
forderte: "Die Handlungsspielräume für die Zivilgesellschaft dürfen
nicht weiter beschnitten werden. Wir fordern Bundesfinanzminister Olaf
Scholz dringend auf, schnellstmöglich klare gesetzliche Regelungen zu
schaffen, die es gemeinnützigen Organisationen ermöglichen, sich
politisch zu äußern. Es kann nicht sein, dass ein Verein, der sich
beispielsweise gegen Rassismus einsetzt, seine Gemeinnützigkeit
riskiert. Wir brauchen Rechtssicherheit für gemeinnützige
Organisationen, die sich selbstlos demokratisch engagieren.“

Die Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit von Attac hat Bedeutung
für die gesamte Zivilgesellschaft. Bereits wenige Wochen nach dem
BFH-Urteil im Februar 2019 entzogen Finanzämter weiteren Organisationen
die Gemeinnützigkeit.

Das heutige Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Um den Rechtsweg
auszuschöpfen und notfalls Verfassungsbeschwerde einlegen zu können,
wird Attac Revision beim Bundesfinanzhof beantragen.

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Für Rückfragen:

* Dirk Friedrichs, Vorstand Attac-Trägerverein e.V. /
Attac-Koordinierungskreis, Tel. 0177 3276 659

* Maria Wahle, Vorstand Attac-Trägerverein e.V. /
Attac-Koordinierungskreis, Tel. 0176 8005 7176

* Frauke Distelrath, Pressesprecherin Attac Deutschland,
Tel. 069 900 281 42, 0151 6141 0268

* Andreas van Baaijen, Geschäftsführer Attac Deutschland
Tel. 069 900 281 40, 0176 9981 3292

* Dr. Till Müller-Heidelberg, Kanzlei Dr. Müller-Heidelberg, Fuchs und
Partner, über: Attac-Pressestelle, Tel. 069 900 281 42, 0151 6141 0268

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Weitere Informationen:

* Pressemitteilung zum BFH-Urteil am 26. Februar 2019:
https://link.attac.de/pm-bfh-urteil-2019

* Webseite zur Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit von Attac (mit
Hintergrund und Dokumenten): www.attac.de/jetzt-erst-recht

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Hintergrund

Das Frankfurter Finanzamt entzog Attac 2014 die Gemeinnützigkeit mit der
Begründung, das Netzwerk sei zu politisch. Insbesondere der Einsatz für
eine Finanztransaktionssteuer oder eine Vermögensabgabe diene keinem
gemeinnützigen Zweck, hieß es zur Begründung. Bereits im November 2016
gab das Hessische Finanzgericht der Klage von Attac statt und bestätigte
dessen Gemeinnützigkeit.

Auf Weisung des Bundesfinanzministeriums unter Wolfgang Schäuble
beantragte das Frankfurter Finanzamt jedoch Revision beim BFH in
München. Das Finanzministerium trat dem Revisionsprozess auch offiziell
als Verfahrensbeteiligter bei.

Der BFH hob das Urteil der ersten Instanz im Februar 2019 auf und
verwies das Verfahren zurück an das Hessische Finanzgericht. In seinem
viel kritisierten Urteil hat der BFH den Rahmen für politisches
Engagement von gemeinnützigen Organisationen sehr viel enger als die
bisherige Rechtsprechung gesteckt und insbesondere den gemeinnützigen
Zweck „Förderung der Bildung“ deutlich restriktiver ausgelegt. Die
Richter in Kassel mussten bei ihrer erneuten Entscheidung am 26. Februar
2020 der Rechtsauslegung des BFH folgen.

Durch den Entzug der Gemeinnützigkeit dürfen Mitglieder und Unterstützer
von Attac ihre Beiträge und Spenden nicht mehr von der Steuer absetzen.
Stiftungen und andere Institutionen können Projekte von Attac nicht mehr
fördern. Zudem muss Attac Steuern zahlen, die für gemeinnützige Vereine
nicht anfallen, beispielsweise Schenkungssteuern.

Gemeinsam mit anderen Organisationen hat Attac die Gründung der „Allianz
Rechtssicherheit für politische Willensbildung" angestoßen, die im Juli
2015 die Arbeit aufgenommen hat. Der Allianz setzt sich für ein modernes
Gemeinnützigkeitsrecht und eine Änderung der Abgabenordnung ein. Ihr
angeschlossen haben sich mehr als 150 Vereine und Stiftungen – darunter
neben Attac beispielsweise auch Brot für die Welt, Amnesty
International, Medico International, Oxfam, Terres des Hommes und
Campact. (www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de)



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Frauke Distelrath
Pressesprecherin Attac Deutschland
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Münchener Str. 48, 60329 Frankfurt/M
Tel. 069 900 281-42; 0151 6141 0268
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