[imc-presse] [attac-d-presse] Gemeinnützigkeit: Scholz-Plan gefährdet Demokratie / Attac, Campact und DemoZ warnen

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Mon Nov 25 11:28:35 CET 2019


Pressemitteilung als PDF:
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Gemeinsame Pressemitteilung
Attac Deutschland
Campact
Demokratisches Zentrum Ludwigsburg (DemoZ)
25. November 2019


* Gemeinnützigkeit: Scholz-Vorhaben würde demokratische
Zivilgesellschaft spalten

* Attac, Campact und DemoZ lehnen Unterscheidung in politische und
gemeinnützige Vereine ab


Die am Freitag öffentlich gewordenen Pläne von Bundesfinanzminister Olaf
Scholz zur Reform der Abgabenordnung stoßen beim
globalisierungskritischen Netzwerk Attac, der Bürgerbewegung Campact und
dem Demokratischen Zentrum Ludwigsburg (DemoZ) auf deutliche Kritik. Die
geplante Ergänzung des Paragraphen 51 der Abgabenordnung, wonach
gemeinnützige Vereine ihre Zwecke nur noch "weit im Hintergrund" mit
politischen Mitteln verfolgen dürften, wäre eine fatale Entwicklung für
die Demokratie, warnen die drei Vereine, denen selbst die
Gemeinnützigkeit entzogen wurde, weil sie zu politisch sind.

Auch die im Bundesfinanzministerium diskutierte Einführung einer neuen
Kategorie "Politische Körperschaft", die nicht gemeinnützig, aber
steuerbegünstigt wäre, führt aus Sicht der drei Vereine in eine falsche
Richtung: Sie würde eine Aufspaltung der Zivilgesellschaft in einen
vorgeblich unpolitischen gemeinnützigen Teil und einen politischen Teil
bedeuten. Für Attac und Campact wäre der Status einer "Politischen
Körperschaft" wahrscheinlich sogar von finanziellem Nutzen, trotzdem
lehnen beide Organisationen diesen Plan ab, weil er die
Zivilgesellschaft insgesamt schädigen würde.

"Die geplante Gesetzesänderung würde politische Aktivitäten von Vereinen
weiter massiv einschränken, statt sie abzusichern", stellt
Attac-Geschäftsführerin Stephanie Handtmann fest. "Wie soll ein Verein
etwa gegen die Menschheitsbedrohung durch die Klimakatastrophe kämpfen,
ohne sich auf politischem Terrain mehr als ‘weit im Hintergrund’ zu
betätigen? Es ist höchste Zeit, das Ruder rumzureißen und die kritische
demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, statt ihr immer weiter
Knüppel zwischen die Beine zu werfen." Es müsse möglich sein,
gemeinnützige Zwecke auch überwiegend oder ausschließlich mit
politischen Mitteln zu verfolgen.

Felix Kolb, geschäftsführender Vorstand von Campact sagt: "Mit einer
zusätzlichen Kategorie ‚Politische Körperschaft‘ wären Vereine
gezwungen, sich zwischen politischer und gemeinnütziger Arbeit zu
entscheiden - dabei ist gemeinnützige Arbeit immer auch politisch! Hier
wird eine künstliche Spaltung erzeugt und der Druck auf gemeinnützige
Vereine, aus Angst vor Verlust der Gemeinnützigkeit ihr politisches
Engagement weiter einzuschränken, wäre immens."

Welch absurde Blüten die Trennung von gemeinnützigem und politischem
Engagement treibt, zeigt der Fall des DemoZ in Ludwigsburg. Das DemoZ
ist ein soziokulturelles Zentrum, eines von 600 in Deutschland. Dessen
Entzug der Gemeinnützigkeit wurde damit begründet, dass sich das Zentrum
politisch zu einseitig positioniere und die politische Willensbildung
nicht mit der notwendigen gesellschaftlichen Offenheit führe, weil es
Rechtsextremisten ausschließt. "Es ist skandalös, dass von uns erwartet
wird, als Beweis für ‚geistige Offenheit‘ Nazis bei unseren
Veranstaltungen zu dulden", sagt Yvonne Kratz vom DemoZ-Vorstand.
"Bundesweit stellen die soziokulturellen Zentren mit Millionen von
Besucherinnen und Besuchern jährlich kulturelle, soziale und
selbstverständlich auch politische Veranstaltungen auf die Beine und
tragen so zu einer aufgeklärten und demokratischen Zivilgesellschaft
bei. Sie alle sind nun in ihrer Existenz bedroht."

Attac, Campact und DemoZ fordern, die massive Einschränkung der
gemeinnützigen Zwecke "Bildung" und "Förderung des demokratischen
Staatswesen" aufzuheben sowie den Katalog gemeinnütziger Zwecke
insbesondere um Menschenrechte, Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und
Frieden zu erweitern, um ihn den Erfordernissen einer modernen
Demokratie anzupassen.

Als Skandal und weiteren Beleg, wie sehr Spielräume für demokratisches
Engagement derzeit eingeschränkt werden, werten die drei Vereine den
Fall der antifaschistischen Bundesvereinigung der Verfolgten des
Naziregimes (VVN-BdA), der das Finanzamt die Gemeinnützigkeit entzogen
hat, weil sie im bayerischen Verfassungsschutzbericht erwähnt wird.


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Für Rückfragen und Interviews:

* Stephanie Handtmann, Attac-Geschäftsführerin, Tel. 069 900 281 22,
0176 2419 1706, sterphanie.handtmann at attac.de

* Svenja Koch, Pressestelle Campact e.V., Tel.: 04231 957 590 (auch
mobil), koch at campact.de

* Yvonne Kratz, Vorstandsmitglied Demokratisches Zentrum Ludwigsburg,
Tel. 0176 6520 2724, gemeinnuetzigkeit at demoz-lb.de

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Hintergrund:

Mit der Behauptung, Attac sei zu politisch, entzog das Finanzamt
Frankfurt dem Netzwerk im April 2014 die Gemeinnützigkeit. Im November
2016 gab das Hessische Finanzgericht der Attac-Klage dagegen voll statt.
Auf Weisung des Bundesfinanzministeriums beantragte das Finanzamt jedoch
Revision beim Bundesfinanzhof. Dieser verwies das Verfahren im Februar
2019 zurück an das Hessische Finanzgericht. In dem erneuten Prozess
(voraussichtlich im Januar 2020) müssen die Richter in Kassel nun den
Vorgaben des BFH folgen, der den Rahmen für politisches Engagement von
gemeinnützigen Organisationen sehr viel enger spannt als sie selbst in
ihrem ersten Urteil.

Infolge des Attac-Urteils des BFH wurde im Oktober auch der
Kampagnenorganisation Campact die Gemeinnützigkeit entzogen. Im November
folgte das soziokulturelle Zentrum DemoZ in Ludwigsburg.

Ohne Gemeinnützigkeit können Mitglieder und Unterstützer*innen eines
Vereins ihre Spenden nicht von der Steuer absetzen. Gemeinnützige
Stiftungen und andere Institutionen können Projekte des Vereins nicht
mehr fördern.

Gemeinsam mit anderen Organisationen setzen sich Attac, Campact und
DemoZ in der Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung"
für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht und eine Änderung der
Abgabenordnung ein. Ihr angeschlossen haben sich mehr als 130 Vereine
und Stiftungen – darunter neben den genannten beispielsweise auch Brot
für die Welt, Amnesty International, Medico International, Oxfam und
Terres des Hommes. (www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de)

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Attac-Webseite zur Gemeinnützigkeit:
www.attac.de/jetzt-erst-recht

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Frauke Distelrath
Pressesprecherin Attac Deutschland
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Münchener Str. 48, 60329 Frankfurt/M
Tel. 069 900 281-42; 0151 6141 0268
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