[imc-presse] PM und Aufruf_Bürgerrechtsorganisationen nehmen Stellung: Unteilbar - weil Menschenrechte keine Grenzen kennen

RAV e.V. gs at rav.de
Tue Oct 2 12:47:17 CEST 2018


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Pressekolleg*innen,

am 13. Oktober werden Zehntausende für eine #unteilbar
<https://www.unteilbar.org/> e Gesellschaft in Berlin auf die Straße gehen
und für ihre Rechte demonstrieren.

Das gilt auch für uns als bürgerrechtliche Organisationen, die sich mit
einem eigenen Aufruf an der Demonstration beteiligen, der die gegenwärtige
Rechtsentwicklung in der Bundesrepublik in den Blick nimmt.

Der Vorsitzende des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV),
Dr. Peer Stolle, erinnert in diesem Zusammenhang an die noch schwelende
Causa Maaßen: »Dass weder Seehofer noch sein Protegé Maaßen nach solchen
Äußerungen nicht sofort entlassen werden, zeigt, dass demokratische und
rechtsstaatliche Prinzipien nicht mehr funktionieren«.

Die Vorsitzende der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen
(VDJ), Ursula Mende, betont: »Wenn demokratische und soziale Standards
systematisch untergepflügt werden und rassistische Ressentiments lautstark
als gesellschaftsfähig in den öffentlichen Diskurs einwandern, müssen gerade
auch demokratische Juristinnen und Juristen Flagge zeigen und
dagegenhalten«.

Und für Michèle Winkler vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, ist
klar, »wir unterstützen #unteilbar, weil Menschenrechte und Demokratie nicht
getrennt voneinander betrachtet werden können. Menschenrechte ohne
Demokratie bleiben gewöhnlich politische Sonntagsreden, Demokratie ohne
Menschenrechte münden in den autoritären Nationalismus«.

Wir bitten um freundliche Beachtung unseres Aufrufs
<https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/unteilbar-weil-men
schenrechte-keine-grenzen-kennen-594/> , den Sie im Wortlaut auch hier
folgend und im Anhang nachlesen können. Für Fragen stehen wir über die
Geschäftsstelle des RAV zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

 

Sigrid v. Klinggräff

RAV-Geschäftsstelle

 

 

---

Unteilbar – weil Menschenrechte keine Grenzen kennen

 

Am 13. Oktober 2018 werden wir gemeinsam mit einer Vielzahl anderer
Menschen, die u.a. in Initiativen gegen Wohnungsnot, Pflegenotstand und
prekarisierte Lebens- und Arbeitsverhältnisse, gegen Überwachung und
Polizeiwillkür und für die Rechte von Geflüchteten aktiv sind, unter dem
Motto ›Solidarität statt Ausgrenzung – Für eine offene und freie
Gesellschaft‹ auf die Straße gehen. Als Bürgerrechtsorganisationen rufen wir
dazu auf, sich an dieser Demonstration des Bündnisses #unteilbar zu
beteiligen.



Seit einigen Jahrzehnten erleben wir eine staatlich orchestrierte
gesellschaftspolitische Wende, die – unabhängig von den jeweiligen
Regierungsparteien – auf einen neoliberalen Staatsumbau und dessen
Absicherung zielt – trotz Mindestlohn und Fortschritten im
Antidiskriminierungsrecht. Das hat auch Folgen für den Rechtsstaat:
Europaweit werden sozial- und bürgerrechtliche Standards unterminiert und
bekämpft. In der Innen- und Migrationspolitik sehen wir uns einer nicht
enden wollenden Welle von Gesetzesverschärfungen gegenüber.

Diese Veränderungen sind grundlegend und betreffen alle Bereiche.



·           Es geht um die alle paar Monate auf den Weg gebrachten neuen
Verschärfungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht, die Schutzsuchenden den Zugang
zum Recht selbst verwehren. Es geht um die Kriminalisierung der
Seenotrettung und um die geplanten Lager in ›Drittstaaten‹, die eine weitere
Abschottung der EU und eine bewusste Aufkündigung von Menschenrechten
bedeuten.

·           Es geht um die neuen Polizeigesetze – in Bayern und
Baden-Württemberg schon in Kraft, in Nordrhein-Westfalen, Sachsen und
Niedersachsen im Gesetzgebungsverfahren –, die mit der Schaffung der
Rechtsfigur der »drohenden Gefahr« polizeiliche Eingriffsbefugnisse weit
über die Abwehr mutmaßlicher (Terror-)Gefahren hinaus entgrenzen. Mit der
Ausweitung auf das polizeiliche Alltagsgeschäft werden so wir alle zum
rechtlich nicht mehr kontrollierbaren ›Fall‹.

·           Es geht um die Verschärfung der Paragrafen 113, 114 StGB, nach
denen jeder Kontakt mit Polizeibeamt*innen von der Drohung mit einer
Freiheitsstrafe begleitet ist – während rechtswidrige Polizeigewalt
weiterhin ignoriert wird und faktisch sanktionslos bleibt.

·           Es geht um einen Verfassungsschutz, der nicht nur von seinem
ehemaligen Leiter, sondern von seiner Grundstruktur her eine Gefahr für
Demokratie und Verfassung ist – der im Ergebnis aber nicht weniger, sondern
immer weitere Befugnisse bekommt.

·           Es geht um einen BND, der sich erfolgreich gegen demokratische
Kontrolle wehren kann, weil die Bundesregierung mit dem Blick auf
›befreundete Dienste‹ den Schutz vor anlassloser Ausspähung der Bevölkerung
ablehnt.

·           Es geht um ein Mietrecht, das uns täglich vor Augen führt, dass
Schutzrechte für Mieterinnen und Mieter ihre Grenzen in ökonomischen
Verwertungsinteressen finden. Denn solange Wohnraum eine Ware ist, bleibt
die Erfüllung eines Grundbedürfnisses ganz elementar von finanziellen
Möglichkeiten begrenzt.

·           Es geht um eine weiterhin bestehende Ungleichbehandlung und
Ungleichstellung von Männern und Frauen und LGBTIQ*-Personen. Es geht um die
Zurückdrängung erkämpfter Rechte wie z.B. durch die aktuelle
Kriminalisierung von Ärzt*innen, die Abtreibungen durchführen, die Förderung
eines rückwärtsgerichteten Familienbildes durch Zahlung von Müttergeld und
die geplanten Streichungen der Mittel für Gender Studies. Gleichzeitig
werden Fälle häuslicher und sexualisierter Gewalt für rassistische Hetze
benutzt.

·           Es geht um ein bestrafendes Sozialrecht, das mit Hartz IV über
vier Millionen Menschen in Armut hält und ihnen, weitgehend entrechtet, jede
Perspektive verbaut.

·           Es geht um die Zunahme von Personen in einem unbefristeten,
generalpräventiven Freiheitsentzug namens Maßregelvollzug – von ca. 2.500
auf mehr als 7.000 Betroffene in den letzten dreißig Jahren.

 

Diese Aufzählung ist weder vollständig noch abschließend. Sie macht aber
deutlich, dass das Recht in seiner Funktion als Schutz vor Diskriminierung,
Ausgrenzung und staatlichen Eingriffen an Bedeutung verliert und immer
offener zu einem Mittel zum Schutz der herrschenden Eigentumsordnung und der
Legitimierung staatlichen Handelns wird. 

Das ist alles nicht neu. Neu ist allerdings die Zuspitzung, die diese
Entwicklung erfährt. Wir haben es nicht mehr mit einzelnen
Gesetzesverschärfungen und Einschränkungen von Grundrechten zu tun. Vielmehr
sehen wir uns einem rassistischen und nationalistischen Diskurs, einem
Rechtsruck in Politik und Gesellschaft gegenüber, der Inhumanität und
Menschenverachtung sagbar und umsetzbar macht. Dieser Rechtsruck wird
begleitet von einer Politik der europäischen Staaten, die zur Verteidigung
der eigenen wirtschaftlichen Interessen und zur Abwehr der Folgen einer
verheerenden globalen Wirtschaftsordnung und des Klimawandels
rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien zur Disposition stellt. Dabei
wird auch zu dem Mittel des offenen Rechtsbruchs gegriffen. Die
Selbstverständlichkeit, mit der die Lebensbedingungen von Millionen von
Menschen in Deutschland und Europa verschlechtert werden, während
gleichzeitig der Rechtsstaat zu einem Sicherheitsstaat umgebaut wird, ist
kein Zufall. Sie ist Folge einer Politik, die auf die Absicherung
wirtschaftlicher Interessen und Profite in den Metropolen durch repressive
Einschüchterung im Innern, Abschottung nach außen und die globale
Infragestellung von Menschenrechten zielt.

Wo Polizei und Politik aktiv rechtsstaatliche Mindeststandards unterlaufen
und dafür auf ein obskures Rechtsempfinden der Bevölkerung‹ verweisen und
sich der Bundesinnenminister über eine obergerichtlich als rechtswidrig
erklärte Abschiebung freut, steht der Rechtsstaat nicht mehr nur auf dem
Spiel, sondern ist im Konkreten außer Kraft gesetzt. Das ist bedrohlich.
Denn der Rechtsstaat ist kein Selbstzweck. Er soll die Freiheiten der
Bürger*innen schützen – vor staatlichem Machtmissbrauch und Behördenwillkür.
Stattdessen werden Menschen, die die für sie geltenden Rechte in Anspruch
nehmen, und ihre Unterstützer*innen und Rechtsanwält*innen kollektiv unter
der Betitelung »Asylindustrie« als Rechtmissbrauchende hingestellt.

Das Recht als Waffe einzusetzen, um sich gegen Herrschaft und Macht zur Wehr
zu setzen – dieser Auftrag ist wichtiger denn je. Wir werden weiter
Bürger*innen- und Menschenrechte gegenüber staatlichen, wirtschaftlichen
oder gesellschaftlichen Machtansprüchen verteidigen. Wir werden dem stetigen
Verlust von Rechtsstaatlichkeit nicht zusehen und weiter für eine
fortschrittliche Entwicklung des Rechts kämpfen. Wir werden uns dabei der im
Windschatten dieser Entwicklung alltäglich gewordenen Inhumanität und
Menschenverachtung, den rassistischen und nationalistischen Diskursen
entgegenstellen. 

Gemeinsam mit einer Vielzahl anderer Menschen, die u.a. in Initiativen gegen
Wohnungsnot, Pflegenotstand und prekarisierte Lebens- und
Arbeitsverhältnisse, gegen Überwachung und Polizeiwillkür, für die Rechte
von Geflüchteten, gegen Rassismus, Antisemitismus, Heteronormativität und
sexualisierte Gewalt aktiv sind, werden wir auf die Straße gehen. Ein
Bündnis wie #unteilbar, in dem sich die Vielfalt der Zivilgesellschaft
vereint und dagegenhält, ist notwendig. Wir denken, dass soziale und
politische Rechte einander bedingen. Deswegen sind wir als RAV, VDJ und
Komitee für Grundrechte und Demokratie Teil dieses Bündnisses und rufen zur
Teilnahme an der Großdemonstration am 13. Oktober 2018 in Berlin auf.



Für ein gemeinsames Streiten gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und soziale
Ungerechtigkeit.

Für einen Zugang zum Recht für alle.

Für die Unteilbarkeit der Menschenrechte.

 

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Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.

Haus der Demokratie und Menschenrechte

Greifswalder Straße 4 | 10405 Berlin

Tel +49 (0)30 417 235 55 | Fax +49 (0)30 417 235 57

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