[imc-presse] Pressemitteilung_13.11.2016: Jurist*innenvereinigungen erklären: Die Erdogan-Türkei ist kein Rechtsstaat - es gibt keine Demokratie

RAV e.V. gs at rav.de
Sun Nov 13 11:47:08 CET 2016


Sehr geehrte Damen und Herren,

 

anbei und hier folgend senden wir Ihnen eine gemeinsame Pressemitteilung der
Anwältinnen- und Anwältevereinigungen RAV und VDJ, der Arbeitsgemeinschaft
Migrationsrecht im DAV, der Europäischen Anwaltsorganisation EJDM/ELDH und
der  Strafverteidigervereinigungen in Berlin, Hessen und NRW.

 

Wir bitten um Kenntnisnahme und danken für engagierte Veröffentlichung in
Ihren Medien.

 

Für Hintergrundinformationen steht Rechtsanwältin Franziska Nedelmann in
Berlin zur Verfügung: Tel. +49-(0)30-54716772  ||  +49-(0)179-5415029

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Sigrid v. Klinggräff

RAV-Geschäftsstelle

 

 

****

Pressemitteilung, 13.11.2016

 

Türkische Regierung verbietet Anwaltsvereinigungen und lässt
Rechtsanwält*innen festnehmen

Die Erdoğan-Türkei ist kein Rechtsstaat - es gibt keine Demokratie

Am 11. November 2016 hat das türkische Innenministerium im Zuge des
Ausnahmezustandes 370 Organisationen und Vereinigungen in der Türkei
verboten. Es hat u.a. ein 3-monatiges Betätigungsverbot gegen die
fortschrittliche Anwaltsvereinigung ÇHD (Çağdaş Hukukçular Derneği), die
Anwaltsvereinigung für die Freiheit ÖHD (Özgürlükçü Hukukçular Derneği) und
die mesopotamische Anwaltsvereinigung MHD (Mezopotamya Hukukçular Derneği)
verhängt und deren Geschäftsräume versiegeln lassen. Zudem wurden mehrere
Rechtsanwält*innen unter massiver Gewaltanwendung festgenommen. Die
Regierung beruft sich dabei auf Art. 11 des Ausnahmegesetzes und wirft den
Organisationen vor, die nationale Sicherheit zu gefährden. Das Gegenteil ist
der Fall: 

Tatsächlich handelt es sich bei ÇHD, ÖHD und MHD um anwaltliche
Vereinigungen, die sich seit Jahrzehnten für die Durchsetzung von Menschen-
und Bürgerrechten in der Türkei einsetzen. ÇHD und ÖHD sind Mitglieder der
,Europäischen Vereinigung von Jurist*innen für Demokratie und Menschenrechte
in der Welt' (EJDM/ELDH[1]). Die ÇHD ist zudem, wie der RAV, Mitglied des
Dachverbandes der europäischen demokratischen Anwält*innen (EDA/AED[2]). Im
Jahre 2014 wurde der ÇHD darüber hinaus von der Freiburger Kant-Stiftung der
Kant-Weltbürger-Preis[3] und von der VDJ der Hans-Litten-Preis[4] für ihr
Engagement für Menschenrechte und Demokratie verliehen. Sie setzen sich für
die Rechte von Minderheiten, die Bekämpfung von Folter und
Menschenrechtsverletzungen in der Türkei ein, nicht zuletzt durch
erfolgreiche Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

 

Die türkische Regierung verletzt mit diesen rechtswidrigen Angriffen auf
ÇHD, ÖHD und MHD in schamloser Weise das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit
und die Grundprinzipien der freien Advokatur, wie sie von den Vereinten
Nationen im Jahr 1990 als "Basic Principles on the Role of Lawyers"
verabschiedet worden sind. Wenn Rechtsanwält*innen aus Angst vor Verfolgung
nicht für die Interessen ihrer Mandant*innen eintreten können, kann von der
Existenz eines Rechtsstaats keine Rede sein. 

 

Erdoğan betreibt die endgültige Zerschlagung der oppositionellen
Zivilgesellschaft in der Türkei.

 

Wir verurteilen diese rechtswidrigen Angriffe auf unsere Kolleginnen und
Kollegen auf das Schärfste und fordern die unverzügliche Freilassung aller
inhaftierten Rechtsanwält*innen und die unverzügliche Beendigung des
Ausnahmezustandes und der damit einhergehenden Repressionen.

 

Mit der Verhängung des Ausnahmezustandes nach dem Putschversuch am 15. Juli
2016 hat die türkische Regierung systematisch Rechtsstaat und Demokratie
abgeschafft. Mit der Entlassung tausender Richter*innen und
Staatsanwält*innn, Staatsbediensteten, Lehrer*innen und Akademiker*innen,
der Schließung freier Medien und der Verhaftung tausender Menschen -
darunter auch Parlamentsabgeordnete - unter dem Vorwand der
Terrorismusbekämpfung macht die Erdoğan-Regierung eines klar: Es geht nicht
um die Sicherung, sondern um die Abschaffung der Demokratie. Rechtstaatliche
Verfahren sind nicht mehr möglich. Beschuldigte werden zum Objekt der
Verfahren. 

 

Dies sei nur beispielhaft anhand einiger Veränderungen dargestellt, die
durch die Dekrete der Regierung nach Verhängung des Ausnahmezustands in
Bezug auf die Rechte der Verteidigung Gesetzeskraft erhielten: 

 

-       Beschuldigte können bis zu 5 Tage in Incommunicado-Haft gehalten
werden, also ohne Recht auf Kontakt zu einem Rechtsanwalt

-       Beschuldigte können 30 Tage in Gewahrsam genommen werden, ohne einem
Richter vorgeführt werden zu müssen

-       Besuche der Verteidiger*innen bei ihren inhaftierten Mandant*innen
können für einen Zeitraum von bis zu 6 Monaten verboten werden

-       Alle Besprechungen zwischen inhaftierten Beschuldigten und ihren
Verteidiger*innen sollen audiovisuell aufgezeichnet und vom
Gefängnispersonal überwacht werden

-       Alle Verteidigungsunterlagen können beschlagnahmt werden, auch ohne
richterlichen Beschluss

-       Verteidiger*innen können bei Besuchen ihrer Mandant*innen in der
Haft durchsucht werden, auch in den Körperöffnungen

-       Anwaltskanzleien können ohne Durchsuchungsbeschluss durchsucht und
Mandantenunterlagen beschlagnahmt werden[5]

 

Dort, wo die Bevölkerung durch Massensuspendierungen, Strafverfolgung,
Inhaftierung, Folter und Entrechtung eingeschüchtert und mundtot gemacht
wird, ist jeder Demokratie die Grundlage entzogen. Dort, wo
Rechtsanwält*innen ihre Arbeit nicht ausüben dürfen, ist der Rechtsstaat
Vergangenheit.

 

Die Bundesregierung kann vor dieser Entwicklung die Augen nicht
verschließen.

Unsere Solidarität gilt allen, die in der Türkei für Demokratie,
Menschenrechte und Freiheit eintreten.


Pressemitteilung von 


-       Europäische Vereinigung von Juristinnen & Juristen für Demokratie
und Menschenrechte in der Welt (EJDM/ELDH)


-       Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV)

-       Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen (VdJ)

-       Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V.

-       Strafverteidigervereinigung NRW e.V. 

-       Vereinigung Hessischer Strafverteidiger e.V.

-       Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltsverein (DAV)

 

Kontakt: Rechtsanwältin Franziska Nedelmann, Tel. +49-(0)30-54716772

 

---

Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.

Haus der Demokratie und Menschenrechte

Greifswalder Straße 4 | 10405 Berlin

Tel +49 (0)30 417 235 55 | Fax +49 (0)30 417 235 57

mailto:kontakt at rav.de | www.rav.de

Mo - Fr 10:00 - 16:00

 


  _____  

[1] http://www.eldh.eu/de/start/

[2] http://www.aeud.org/

[3] http://www.kantstiftung.de/index.php?page=pressemitteilung-2014

[4]
http://www.vdj.de/aktivitaeten/hans-litten-preis/nachricht/den-hans-litten-p
reis-der-vdj-2014-erhaelt-rechtsanwalt-selcuk-koza-286acli-praesident-des-ch
d/

[5] So die Mitteilung der Istanbuler Rechtsanwaltskammer vom 02.08.2016:
http://www.istanbulbarosu.org.tr/Detail_EN.asp?CatID=57
<http://www.istanbulbarosu.org.tr/Detail_EN.asp?CatID=57&SubCatID=1&ID=11671
> &SubCatID=1&ID=11671 für die Dekrete bis zum 2.8.2016

-------------- next part --------------
An HTML attachment was scrubbed...
URL: </pipermail/imc-presse/attachments/20161113/86a0daf2/attachment-0001.html>
-------------- next part --------------
A non-text attachment was scrubbed...
Name: PM_Die Erdogan-Türkei ist kein Rechtsstaat - es gibt keine Demokratie_13.11.2016.pdf
Type: application/pdf
Size: 180123 bytes
Desc: not available
URL: </pipermail/imc-presse/attachments/20161113/86a0daf2/attachment-0001.pdf>


More information about the imc-presse mailing list