[imc-presse] PM zum Beginn des Prozesses gegen zehn türkische Linke (OLG München): "Der türkische Staat ist kein geeignetes Schutzobjekt"

RAV e.V. gs at rav.de
Thu Jun 16 16:16:22 CEST 2016


Sehr geehrte Damen und Herren,

 

anbei und hier folgend senden wir Ihnen die aktuelle gemeinsame
Pressemitteilung des RAV und anderer Bürgerrechtsorganisationen zum 

Beginn des Prozesses gegen zehn türkische Linke vor dem OLG München. 

 

Wir bitten um engagierte Veröffentlichung der Pressemitteilung in Ihren
Medien, um Weiterleitung und Kenntnisnahme.

 

Mit besten Grüßen

 

Ursula Groos

Geschäftsführerin RAV

 

 

***

 

Pressemitteilung vom 16.6.2016

 

Die Bürgerrechtsorganisationen Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.,
RAV und der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ)
erklären zum Beginn des Prozesses gegen zehn türkische Linke vor dem OLG
München:  „Der türkische Staat ist kein geeignetes Schutzobjekt“

 

Am 17. Juni 2016 beginnt vor dem Oberlandesgericht München der größte
Staatsschutzprozess in Deutschland seit Ende der 1980er Jahre. Angeklagt
sind zehn türkische und kurdische Kommunist_innen, denen vorgeworfen wird,
das sogenannte Auslandskomitee der maoistischen TKP/ML (Türkische
Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten) gebildet zu haben. Ihnen wird
die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach §
129b StGB vorgeworfen, der einen Strafrahmen von einem Jahr bis zehn Jahren
Haft vorsieht.

Die 1972 in der Türkei gegründete TKP/ML ist laut Angaben des
Verfassungsschutzes in Deutschland nur politisch aktiv. Laut der
Anklageschrift soll sie dort auch eine bewaffnete Organisation – die TIKKO –
unterhalten, der diverse Anschläge, unter anderem gegen Angehörige der
Polizei und des türkischen Militärs, vorgeworfen werden. Sie ist weder in
Deutschland noch in anderen europäischen Staaten verboten und auf keiner der
nationalen und internationalen Terror-Listen - außer in der Türkei - als
Organisation aufgeführt.

 

Wie auch beim § 129 a StGB (Mitgliedschaft in einer inländischen
terroristischen Vereinigung) bedarf es beim § 129b StGB nicht der Begehung
konkreter Straftaten, um deswegen angeklagt zu werden. Eine
mitgliedschaftliche Betätigung für die Organisation reicht aus. Auch den
hier Angeklagten wird keine konkrete Straftat vorgeworfen. Für die
strafrechtliche Verfolgung einer ausländischen Organisation gemäß § 129b
StGB bedarf es einer sogenannten Verfolgungsermächtigung, die durch das
Bundesministerium für Justiz erteilt wird – ähnlich wie es beim Verfahren
gegen Jan Böhmermann der Fall war. Nach der Gesetzesbegründung sollen bei
der Entscheidung, ob eine Verfolgungsermächtigung erteilt wird oder nicht,
die außenpolitischen Interessen Deutschlands berücksichtigt werden. Das
Ministerium soll dabei weiter in Betracht ziehen, ob die Bestrebungen der
Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden
staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker
gerichtet und insgesamt als verwerflich anzusehen sind.

 

Nach unserer Ansicht ist der türkische Staat in seiner derzeitigen
Verfassung keine die Würde des Menschen achtende staatliche Ordnung. Es ist
bekannt, dass die Republik Türkei seit mehreren Jahren in vielfältiger Art
und Weise die terroristische Vereinigung „Islamischer Staat“ unterstützt, u.
a. durch die Lieferung von Waffen, durch unentgeltliche Behandlung
verletzter IS-Kämpfer, durch Zurverfügungstellen türkischen Staatsgebietes
für Angriffe des IS auf die kurdischen Gebiete in Syrien sowie durch bis in
das Jahr 2016 andauernde Geschäftsbeziehungen. Diese Unterstützung stellt
einen Verstoß gegen Völkerrecht dar, u. a. gegen bindende Resolutionen des
UN-Sicherheitsrates.  Gleichzeitig hat der türkische Staat im letzten Jahr
die Angriffe gegen kurdische Städte und Dörfer intensiviert, die zu immensen
Zerstörungen und zu vielen Hunderten von Opfern unter der Zivilbevölkerung
geführt haben. Journalisten, die kritisch berichten, werden zu langjährigen
Haftstrafen verurteilt, wie auch andere Kritiker_innen, denen Beleidigung
des türkischen Präsidenten Erdogan vorgeworfen wird. Vor einigen Wochen
wurde die Immunität von mehr als einem Viertel der Abgeordneten des
türkischen Parlamentes aufgehoben, wodurch vor allem die Parlamentarier der
prokurdischen und linken Partei HDP betroffen sind, die nun mit einer
Strafverfolgung zu rechnen haben. Vor diesem Hintergrund sehen wir die
Grundlagen für eine Verfolgung von türkischen und kurdischen Organisationen
in Deutschland als nicht gegeben an.

 

Während in Deutschland fast täglich von Nazis und Rassist_innen Anschläge
auf unbewohnte und bewohnte Flüchtlingsunterkünfte, die in den meisten
Fällen unaufgeklärt bleiben, verübt werden, führt die Bundesanwaltschaft mit
einem enormen Aufwand ein Verfahren gegen die zehn Angeklagten. Gleichzeitig
werden derzeit so viele Verfahren gegen Kurden geführt, denen vorgeworfen
wird, Kader der PKK zu sein, wie schon seit Jahren nicht mehr. 

Die deutsche Strafjustiz macht sich damit zum Erfüllungsgehilfen von Erdogan
und der AKP. Solange der türkische Staat permanent und systematisch
nationales und internationales Recht bricht und die Menschenrechte mit Füßen
tritt ist die türkische Staatsräson kein Schutzobjekt des deutschen
Strafrechts.

 

***

 

Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.

Greifswalder Str. 4 | 10405 Berlin

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