[imc-presse] [attac-d-presse] Attac-Studie: 77 Prozent der Griechenland-"Rettung" flossen in Finanzsektor
Attac-Pressestelle
presse at attac.de
Mon Jun 17 11:13:41 CEST 2013
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
eine Recherche von Attac Österreich zeigt: 77 Prozent des Geldes für die
so genannte Griechenland-Rettung flossen in den Finanzsektor - die
EU-Krisenpolitik rettet Banken, nicht die Bevölkerung.
Unten finden Sie die Ergebnisse der Studie im Einzelnen. Bitte beachten
Sie auch den Link zum Hintergrundmaterial am Ende des Textes.
Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an meinen Pressesprecher-Kollegen
bei Attac Österreich:
* David Walch, Tel. +43-1-544 00 10, presse at attac.at
Mit besten Grüßen
Frauke Distelrath
********
Attac-Presseaussendung
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*Griechenland-"Rettung": 77 Prozent flossen in Finanzsektor *
Attac-Recherche zeigt: EU-Krisenpolitik rettet Banken, nicht die
Bevölkerung
Seit März 2010 haben die Europäische Union (EU) und der Internationale
Währungsfonds (IWF) in 23 Tranchen 206,9 Milliarden Euro für die
sogenannte "Griechenland-Rettung" eingesetzt. Wofür diese große Summe
öffentlicher Gelder im Detail verwendet wird, dokumentieren die
Verantwortlichen jedoch so gut wie gar nicht. Attac hat daher
nachrecherchiert: Mindestens 77 Prozent der Hilfsgelder lassen sich
direkt oder indirekt dem Finanzsektor zuordnen.
*Die Ergebnisse im Detail: *
* 58,2 Milliarden (28,1 Prozent) wurden für die Rekapitalisierung
griechischer Banken verwendet -- anstatt den zu großen und maroden
Sektor nachhaltig umzustrukturieren und die Eigentümer der Banken
für deren Verluste haften zu lassen.
* 101,3 Milliarden (49 Prozent) kamen Gläubigern des griechischen
Staats zugute. Davon wurden 55,44 Milliarden verwendet, um
auslaufende Staatsanleihen zu bedienen -- anstatt die Gläubiger das
Risiko tragen zu lassen, für das sie zuvor hohe Zinsen kassiert
hatten. Weitere 34,6 Milliarden dienten dazu, die Gläubiger für den
Schuldenschnitt im März 2012 zu gewinnen. 11,29 Milliarden wurden im
Dezember 2012 für einen Schuldenrückkauf eingesetzt, bei dem der
griechische Staat Gläubiger beinahe wertlose Anleihen abkaufte.
* 46,6 Milliarden (22,5 Prozent) flossen in den griechischen
Staatshaushalt oder konnten nicht eindeutig zugeordnet werden.
* 0,9 Milliarden (0,4 Prozent) gingen als griechischer Beitrag an den
neuen Rettungsschirm ESM.
Eine genaue Auflistung der Tranchen, ihrer Verwendung und der Quellen
unter:
http://www.attac.at/uploads/media/hintergrundmaterial_bailout_deutsch.pdf
"Das Ziel der politischen Eliten ist nicht die Rettung der griechischen
Bevölkerung, sondern die Rettung des Finanzsektors", fasst Lisa
Mittendrein von Attac die Ergebnisse zusammen: "Sie haben Hunderte
Milliarden an öffentlichen Geldern eingesetzt, um Banken und andere
Finanzakteure und vor allem deren Eigentümer vor den Folgen der von
ihnen verursachten Finanzkrise zu retten."
*Politik stellt "Rettungspakete" falsch dar *
Die weit verbreitete und von europäischen Politikern öffentlich
vertretene Position, dass das Geld der sogenannten "Rettungspakete" den
Menschen in Griechenland zugutekommen würde, ist damit widerlegt. Die
griechische Bevölkerung muss die Rettung von Banken und Gläubigen
vielmehr mit einer brutalen Kürzungspolitik bezahlen, die die bekannten
katastrophalen sozialen Folgen hat.
*Intransparenter Umgang mit öffentlichem Geld *
"Unsere Ergebnisse machen deutlich, dass das Hauptziel der Krisenpolitik
seit 2008 darin besteht, die Vermögen der Reichsten zu schützen. Die
Politik nimmt enorme Arbeitslosigkeit, Armut und Not in Kauf -- um einen
Finanzsektor zu retten, der nicht zu retten ist. Auch die
österreichische Regierung trägt diesen menschenverachtenden Kurs seit
Jahren mit", ergänzt Mittendrein. Aus demokratiepolitischer Sicht ist
zudem bedenklich, dass die Verantwortlichen in Troika und EFSF ihren
Umgang mit öffentlichen Mitteln kaum dokumentieren. "Es ist ein Skandal,
dass die EU-Kommission zwar Hunderte Seiten an Berichten veröffentlicht,
aber nirgendwo auflistet, wofür das Geld konkret verwendet wurde",
erklärt Mittendrein. "Die Verantwortlichen sind aufgefordert, für volle
Transparenz zu sorgen und zu belegen, wer von den Zahlungen tatsächlich
profitiert."
*
**Milliardär und Hedgefonds profitieren *
Zu den tatsächlich Geretteten zählt etwa die Milliardärsfamilie Latsis,
eine der reichsten Familien Griechenlands, die große Teile der staatlich
geretteten "Eurobank Ergasias" besitzt.(1) Auch Spekulanten
profitierten: Der Hedgefonds Third Point streifte im Zuge des
Schuldenrückkaufs vom Dezember 2012 mit Hilfe von öffentlichen Geldern
einen Gewinn von rund 500 Millionen ein. (2) "Wenn Kommissionspräsident
Barroso sagt, die sogenannte Griechenland-Rettung sei ein Akt der
Solidarität, stellt sich die Frage: Solidarität mit wem?", kommentiert
Mittendrein. (3)
*Weitere 34,6 Milliarden für Zinszahlungen *
Maximal 46,6 Milliarden (22,5 Prozent) der sogenannten "Rettungspakete"
flossen in den griechischen Staatshaushalt. Dieser Summe stehen jedoch
weitere Ausgabenposten im selben Zeitraum gegenüber, die nicht der
breiten Bevölkerung zugutekommen. Mehr als 34,6 Milliarden flossen aus
dem Staatshaushalt als Zinsen für laufende Staatsanleihen erneut an
Gläubiger (2. Quartal 2010 bis 4. Quartal 2012 (4)). Zudem wendete der
Staat allein in den ersten Jahren weitere 10,2 Milliarden für
Verteidigungsausgaben auf (2010 und 2011 (5)). Insidern zufolge üben die
Regierungen in Berlin und Paris Druck auf Griechenland aus, die
Militärausgaben nicht zu kürzen, da davon deutsche und französische
Rüstungskonzerne betroffen wären. (6)
*Nicht die erste Bankenrettung *
"Die sogenannte Griechenland-Rettung entpuppt sich bei genauerem
Hinschauen als weitere Banken- und Reichenrettung", bilanziert
Mittendrein. Man dürfe nicht vergessen, dass Europas Banken seit 2008
bereits 670 Milliarden Euro an direkter staatlicher Hilfe (ohne
Garantien) erhalten haben. (7) Der Finanzsektor Griechenlands -- wie
auch Gesamteuropas - bleibt jedoch weiterhin höchst instabil. Das zeigt
nicht zuletzt die jüngste Auszahlung zweier Tranchen für
Bankenrekapitalisierungen im Umfang von 23,2 Milliarden Euro seit
Dezember 2012.
*Die Politik verabsäumt notwendige Regulierung... *
Der Schuldenschnitt für den griechischen Staat hat die dortigen Banken
so stark getroffen, dass der Staat sich erneut verschulden muss, um sie
mit Milliardenhilfen zu retten. "Die europäische Politik hat es in den
fünf Jahren seit dem Finanzcrash verabsäumt, die Finanzmärkte zu
regulieren und ein Bankeninsolvenzrecht zu verabschieden. So müssen bei
Verlusten weiterhin die Steuerzahler einspringen, während die
Bank-Eigentümer ungeschoren davonkommen. Die Regierungen müssen endlich
aufhören, dem Finanzsektor diese Erpressungsmöglichkeit einzuräumen",
kritisiert Mittendrein.
*... und rettet korruptes griechisches Bankensystem *
Verschärfend kommt hinzu, dass erneute Milliardenhilfen an die
griechischen Banken fließen, obwohl einige von ihnen die offiziellen
Bedingungen dafür nur noch mit dubiosen Mitteln erfüllen. Ein
Reuters-Bericht deckte 2012 auf, mit welchen skandalösen Praktiken
griechische Banken einander unbesicherte Kredite über ein Pyramidenspiel
mit Offshore-Firmen zuschanzten, um so den Anschein zu erwecken, noch
Zugang zu privatem Kapital zu haben und damit die Voraussetzungen für
eine staatliche Rekapitalisierung zu erfüllen. (8) "Während die
europäische und griechische Politik der breiten Bevölkerung Blut,
Schweiß und Tränen abverlangt, verschließt sie ihre Augen gegenüber den
geheimen Deals der Finanzoligarchen, die die wahren Profiteure der
Rettungsgelder sind", bestätigt Marica Frangakis, Ökonomin am Athener
Nicos-Poulantzas-Institut und Gründungsmitglied von Attac Hellas.
*Radikaler Kurswechsel überfällig *
In der europäischen Krisenpolitik ist ein radikaler Kurswechsel
überfällig. "Unsere Regierungen retten Europas Banken und Reiche mit
immer neuen Milliarden an öffentlichen Mitteln und behaupten gegenüber
ihren Wählerinnen und Wählern, dass diese an die griechische Bevölkerung
fließen würden. Mit dieser Scheinheiligkeit muss Schluss sein", fordern
Mittendrein und Frangakis. Zu große und damit "systemrelevante" Banken
müssen zerteilt und die Profitlogik durch Gemeinwohlorientierung ersetzt
werden. Gläubiger und Vermögende müssen an den Kosten der Krise gerecht
beteiligt und der Finanzsektor streng reguliert werden. "Griechenland
selbst braucht nach drei Jahren, in denen es von der aufgezwungenen
Krisenpolitik zugrunde gerichtet wurde, dringend echte Rettungspakete,
die auch bei der Bevölkerung ankommen", fasst Mittendrein zusammen.
*Weitere bizarre Details:*
Die Attac-Recherche hat zudem weitere bizarre Details über die
sogenannte "Griechenland-Rettung" ans Licht gebracht:
* Mehrmals brachen EU und IWF ihre eigenen Ankündigungen und hielten
zugesagte Teilzahlungen wochen- bis monatelang zurück, um Druck auf
die griechische Demokratie auszuüben: im Herbst 2011, um eine
Volksabstimmung über die Austeritätspolitik zu verhindern, und im
Mai/Juni 2012, um die Siegeschancen der Troika-freundlichen Parteien
bei den Parlamentswahlen zu erhöhen. Mit dem Zurückhalten zugesagter
Gelder zwingt die Troika die griechische Regierung, kurzfristige
Anleihen auszugeben, um den unmittelbar drohenden Staatsbankrott zu
vermeiden. Da diese nur wenige Wochen oder Monate laufenden
"Treasury Bills" hochverzinst sind, steigen damit die griechischen
Staatsschulden und die Gewinne der Geldgeber. Das ist ein weiterer
Beleg dafür, dass der Schuldenabbau nicht das Hauptziel der Troika
ist, sondern primär ein Vorwand, um die Zerstörung von Sozialstaat
und ArbeitnehmerInnenrechten voranzutreiben.
* Eine Tranche im Umfang von 1 Milliarden Euro, die Griechenland im
Juni 2012 von der EFSF erhielt, diente primär dazu, die griechische
Pflichteinlage in den EFSF-Nachfolger ESM zu finanzieren. Die EFSF
finanzierte also ihren eigenen Nachfolger -- aber nicht direkt,
sondern unter Erhöhung des griechischen Schuldenstands.
* Klaus Regling, Vorsitzender von EFSF und ESM, hat in seiner Karriere
mehrfach zwischen Politik und Finanzsektor hin- und hergewechselt.
Vor dieser Tätigkeit arbeitete er abwechselnd für die deutsche
Bundesregierung, den Hedgefonds Moore Capital Strategy Group, die
Generaldirektion für wirtschaftliche und finanzielle Angelegenheiten
in der Europäischen Kommission und den Hedgefonds Winton Futures
Fund Ltd. Er steht damit symbolisch für die Verflechtung von
Finanzmärkten und Politik, die mitverantwortlich dafür ist, dass die
EU-Krisenpolitik primär auf die Rettung des Finanzsektors abzielt.
* Laut Geschäftsbericht gab die EFSF 2011 rund 3,1 Mio. Euro für
Personalkosten aus. (9) In diesem Jahr arbeiteten Medienberichten
zufolge 12 Personen für die EFSF (10). Im Schnitt wurden also
258.000 Euro pro Mitarbeiter ausgegeben. EFSF-Vorsitzender Klaus
Regling verdient mutmaßlich 324.000 Euro plus Zulagen im Jahr. (11)
Menschen mit Einkommen in dieser Größenordnung verwalten eine
Politik, die in Griechenland den Mindestlohn auf 580 Euro brutto pro
Monat (510 für Jugendliche) gesenkt hat. (12)
Quellen:
http://www.attac.at/uploads/media/hintergrundmaterial_bailout_deutsch.pdf
Rückfragen:
David Walch
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