[imc-presse] PM: „Lampedusa in Hamburg“ - Hanseatisches Oberverwaltungsgericht macht den Weg frei für symbolisches Flüchtlingscamp

Britta Eder eder at anwaltsbuero-s36.de
Thu Jun 13 10:41:55 CEST 2013


Pressemitteilung
Anwaltsbüro Schulterblatt 36
(Andreas Beuth • Britta Eder • Marc Meyer[1] • Gerrit Onken • Hendrik Schulze • Ingrid Witte-Rohde • Nils Rotermund)



„Lampedusa in Hamburg“ - Hanseatisches Oberverwaltungsgericht macht den Weg frei für symbolisches Flüchtlingscamp
Bereits vor zwei Wochen sollte auf dem Gerhard-Hauptmann-Platz ein symbolisches Flüchtlingscamp errichtet werden, um auf die katastrophale Situation der etwa 300 libyschen Flüchtlinge aufmerksam zu machen, die sich derzeit in Hamburg aufhalten. Dem stand bisher insbesondere das von der Versammlungsbehörde ausgesprochene Verbot entgegen, dass Versammlungsteilnehmer in den Zelten auch nächtigen. Dieses Verbot hat nun der vierte Senat des Hanseatischen Oberverwaltungsgerichts mit seinem Beschluss vom 12.06.2013 (Az: 4 Bs 166/13) ausgesetzt. Bereits zuvor hatte das Verwaltungsgericht die Beschränkung auf weniger als drei Zelte für rechtswidrig befunden.
„Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ist aus verfassungsrechtlicher Sicht sehr zu begrüßen, da sie entgegen dem bundesweiten Trend die im Grundgesetz verbürgte Gestaltungsfreiheit im Versammlungsrecht stärkt“, kommentiert Rechtsanwalt Nils Rotermund. Immer wieder haben Gerichte es in den letzten Jahren verboten, bei Dauerversammlungen Zelte aufzustellen und diese auch als Schlafplatz zu nutzen. Oft wurden die Begründungen an den Haaren herbeigezogen. So wurde den Versammlungsteilnehmern etwa vorgeschlagen, eine Art Schichtdienst einzurichten. Die juristische Literatur bemerkte allzu spitzfindig, das Wort „Mahnwache“ komme von „Wachen“ und schließe es daher begriffslogisch aus, vor Ort zu schlafen. Auf derlei Begriffsklauberei hat sich das Oberverwaltungsgericht Hamburg erfreulicherweise nicht eingelassen und in der Entscheidung klar festgestellt:
„Der Gesamtcharakter der Versammlung wird durch die andauernde Mahnwache, die `rund um die Uhr` stattfindet, geprägt. Dieser Charakter wird nicht bereits dadurch geändert, dass einzelne Versammlungsteilnehmer sich zwischendurch ausruhen und dabei auch schlafen. Die Versammlung verliert nicht das Gesamtgepräge einer Dauermahnwache, wenn Versammlungsteilnehmer Ruhepausen einlegen, um eine effektive Meinungskundgabe gewährleisten zu können“
„Durch das symbolische Flüchtlingscamp sollen die Folgen der harten Linie des Hamburger Senats und der wesentlich auch von Deutschland geprägten Europäischen Flüchtlingspolitik, insbesondere durch das Dublin-II-Abkommen, verdeutlicht werden“, so Rechtsanwältin Britta Eder. Die Flüchtlinge hatten, teils auf Grund von politischer Verfolgung und Kriegen in ihren Heimatländern, teils als Wanderarbeiter, in Libyen ein erträgliches Auskommen gefunden. Infolge des auch von der europäischen Staatengemeinschaft tatkräftig befeuerten Bürgerkriegs und der anschließenden Zunahme oft rassistisch motivierter Übergriffe mussten sie jedoch auch aus Libyen fliehen. Wie viele afrikanische Flüchtlinge erreichten sie zunächst das vor Nordafrika gelegene Lampedusa. Die italienische Insel dient seit Jahren als eine Art gesamteuropäisches Flüchtlingslager, dessen Infrastruktur vollkommen überlastet ist.
Die Flüchtlinge werden unter erbärmlichen Bedingungen teils in Baracken, teils in Zeltlagern untergebracht und haben keinerlei Perspektive. In Italien ist man erkennbar weder in der Lage noch Willens, ihnen ein einigermaßen menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Der Weg in die praktisch

flüchtlingsfreien nord- und westeuropäischen Staaten ist durch das Dublin II-Abkommen versperrt. Danach ist für Asyl und humanitären Aufenthalt allein der Staat zuständig, in dem ein Drittstaatsangehöriger den Geltungsbereich des Schengener Abkommens betreten hat. Der – an den gesamteuropäischen Aufnahmekapazitäten gemessen durchaus überschaubare – Flüchtlingsstrom trifft folgerichtig allein die ohnehin krisengebeutelten Mittelmeeranrainer. Dort hat sich die Lage inzwischen derart zugespitzt, dass auch deutsche Gerichte die Abschiebung nach Italien und Griechenland bereits aus humanitären Gründen abgelehnt haben.
Nachdem die EU Anfang des Jahres ihre Unterstützungszahlungen einstellte, hat Italien unter anderem die 300 derzeit in Hamburg lebenden Flüchtlinge praktisch vor die Tür gesetzt. Wie viele der Betroffenen berichten, stellten die italienischen Behörden ihnen Aufenthaltserlaubnisse aus, verwiesen sie - teilweise unter Zwang – binnen weniger Tage aus Ihren provisorischen Flüchtlingsunterkünften und forderte sie auf „ihr Glück“ in nördlichen EU-Ländern zu suchen. In Italien hätten sie keine Perspektive, weder auf Arbeit noch Unterkunft.
Etwa 300 Flüchtlinge erreichten Hamburg und kamen zunächst in den Winternotlagern für Obdachlose unter. Als diese Ende April geschlossen wurden, fanden sich die Menschen auf der Straße wieder. Der Hamburger Senat weigert sich beharrlich, eine Lösung für Betroffenen zu ermöglichen. „Dass das Flüchtlingsregime der EU offensichtlich gescheitert ist, hindert den Senat nicht daran, immer wieder zu betonen, das Gesetz lasse keine Lösung zu. Der Senat und das offenbar ebenfalls beteiligte Bundesinnenministerium ignorieren und verschweigen dabei geflissentlich, dass sowohl das deutsche Aufenthaltsgesetz als auch die Vereinbarung anderer Aufnahmekontingente auf EU-Ebene, eine legale Lösung für die Flüchtlinge ermöglicht.“ kommentiert Rechtsanwältin Witte-Rohde. Unter kompletter Verkennung der Situation in Italien und den Heimatländern der Betroffenen verweist Sozialsenator Scheele die Flüchtlinge darauf, dorthin zurückzufahren, wo sie arbeiten dürften und ein Aufenthaltsrecht hätten. Das sei in Italien oder auch in ihren ursprünglichen Heimatländern der Fall.
Um der Öffentlichkeit die dramatischen und menschenunwürdigen Folgen des europäischen Flüchtlingsrechts vor Augen zu führen, meldete Hartmut Obens aus der Bezirksversammlung Eimsbüttel für DIE LINKE Eimsbüttel und die KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und Migrantinnen unter dem Tenor „Lampedusa in Hamburg – Unterkunft und Aufenthaltsstatus für die libyschen Flüchtlinge – Weg mit Dublin II“ ein symbolisches Flüchtlingscamp als Dauermahnwache an. Das Camp sollte aus einer unbestimmten Anzahl von Zelten und einer Dixi-Toilette bestehen.
Die Versammlungsbehörde reagierte zunächst mit einer Verzögerungstaktik. Wenige Stunden vor dem geplanten Beginn der Mahnwache bestätigte sie statt des Zeltlagers einen einzelnen Pavillon und verwies den Anmelder im Übrigen darauf, eine Sondernutzungsgenehmigung zu beantragen, wie sie für Straßenfeste und ähnliche Veranstaltungen vorgesehen ist. Die gesetzlich vorgesehene gerichtlich überprüfbare Entscheidung der Versammlungsbehörde bekam der Anmelder erst, nachdem er das Verwaltungsgericht eingeschaltet hatte. Wenig überraschend verbot die Behörde es dann in dem gerichtlich erzwungenen  Bescheid, mehr als ein Zelt aufzustellen, in dem zudem niemand hätte schlafen sollen.
Der Anmelder legte Widerspruch ein und rief erneut das Verwaltungsgericht Hamburg an, das die Anzahl der Zelte auf drei erhöhte und es gestattete, eine Dixi-Toilette aufzustellen. Erst das Oberverwaltungsgericht hat nun auch das Verbot ausgesetzt, in den Zelten zu schlafen.
Für Rückfragen stehen Ihnen jederzeit gerne Rechtsanwältinnen Britta Eder und Ingrid Witte-Rohde unter der Tel. Nr: 040 / 432 80 580 und unter info at anwaltsbuero-s36.de<mailto:info at anwaltsbuero-s36.de> zur Verfügung.





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[1] In Anstellung
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