[imc-presse] PM Plädoyer der Verteidigung im § 129 b Vefahren gegen Kurden

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Sun Feb 10 12:29:51 CET 2013


*Pressemitteilung
Bündnis Freiheit für Ali Ihsan**

- Im § 129 b Prozess gegen den Kurden Ali Ihsan Kitay fordert die
Verteidigung Freispruch
- Plädoyer: Der Widerstand der PKK gegen Staatsterrorismus sowie
systematische
  Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen ist völkerrechtlich
legitim
- Kombatantenstatus gemäß Art. 1 Abs. 4 des 1. Zusatzprotokolls der Genfer
Konventionen gilt für PKK
- BAW hat assymetrisch ermittelt
- EU Terrorsliste war zwischen 2002 und 2008 rechtswidrig
- TAK gehört organisatorisch nicht zur PKK*

In dem Prozess gegen den kurdischen Aktivisten Ali Ihsan Kitay, wegen des
Vorwurfs
"Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland" gemäß
§129b, hielt die
Verteidigung am 7. und 8. Februar, den 29. und 30. Prozesstagen, das
Plädoyer. Kitay soll 2007 -
2008 in der nördlichen Region "verantwortlicher Kader der Arbeiterpartei
Kurdistans PKK"
gewesen sein. Ali Ihsan Kitay saß bereits 20 Jahre in der Türkei im
Gefängnis und wurde dort
mehrfach gefoltert. Dieser Prozess kann als Pilotverfahren gesehen werden.
Das heißt, dass hier
Grundlagen für weitere § 129 b-Verfahren gegen kurdische Aktivist_innen
gelegt werden.
Konkrete Straftaten oder Anschläge in der BRD werden Ali Ihsan Kitay, wie
weiteren 5 Kurden, die
derzeit ebenfalls mit Verfahren gemäß § 129b konfrontiert sind, nicht
vorgeworfen.

Bei den Prozessen gemäß den §§ 129 und 129 a StGB war es für die Gerichte
stets erforderlich, zu
beweisen, dass die Ziele der PKK auch in Deutschland entweder auf die
Begehung von Straftaten
oder aber sogar „terroristische“ Taten (§ 129a) gerichtet waren. Das ist
bei Prozessen gemäß § 129 b
belanglos. Deshalb hat das Gericht nicht mehr die Frage zu beantworten, ob
die PKK in
Deutschland Straftaten begeht. Die entscheidende Voraussetzung für eine
etwaige Strafbarkeit ist
die Frage, ob die PKK in der Türkei bzw. überall dort, wo sie bewaffnet
kämpft, eine terroristische
Vereinigung ist oder legitimen Widerstand leistet.

In einem Konflikt, wie dem zwischen dem türkischen Staat und der PKK – also
in einem Krieg –
sind Tötungen (Mord und Totschlag) erlaubt, wenn sie sich im Rahmen des
humanitären
Kriegsvölkerrechts bewegen – also keine Kriegsverbrechen oder Verbrechen
gegen die
Menschlichkeit begangen werden. Auch Widerstand, wenn nötig auch bewaffnet,
gegen anhaltendes
Unrecht und Tyrannei wird u.a. in der UN-Charta der Menschenrechte, als
legitim betrachtet.
Die Verteidiger_innen Kitays, Cornelia Ganten Lange und Carsten Gericke
forderten im
Plädoyer einen Freispruch für den kurdischen Exilpolitiker.

Durch von der Verteidigung eingebrachte Dokumente sei belegt worden, dass
der türkische Staat
seit weit mehr als 30 Jahren, im Grunde genommen seit der Staatsgründung,
eine systematische
rassistische Unterdrückungs- und Kolonialpolitik gegenüber der kurdischen
Bevölkerung umsetzt.
Die kurdischen Provinzen seien faktisch Besetzt. Den Kurd_innen werde in
diesem Rahmen das
Selbstbestimmungsrecht, dass in völkerrechtlichen Verträgen wie z.B. der
Charta der UN verankert
ist, vorenthalten. Sicherheitskräfte und Militär begehen ständig
Menschenrechtsverletzungen,
extralegale Hinrichtungen, systematische Folter sowie Kriegsverbrechen, wie
z.b. einen
Giftgaseinsatz unter der Leitung des jetzigen Generalstabschefs Necdet Özel
im Jahr 1999 – das
haben auch die Richter_innen des OLG Hamburg in einer rechtlichen
Stellungnahme als erwiesen
betrachtet - erklärte Ganten Lange im Plädoyer.

*Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention sind in der Türkei
Alltag.*

Das belegten die Anwält_innen anhand einer Vielzahl von Urteilen des
Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte, Berichten von Amnesty International sowie der türkischen
Menschenrechtsorganisation
IHD und weiteren Dokumenten. Über Ausnahmezustandsregelungen und die Macht
der Gouverneure werde den kommunalen Verwaltungen faktisch die Macht
entzogen.
Man könne in diesem Zusammenhang von Staatsterrorismus sprechen. Um
Widerstand gegen dieses
gravierende Unrecht zu leisten sind die PKK und KCK (Gemeinschaft der
Gesellschaften
Kurdistans – die von der BAW mit der PKK gleichgesetzt wird) nach
völkerrechtlichen
Gesichtspunkten auch zu Gewalt legitimiert, so Cornelia Ganten Lange. Gemäß
Artikel 1. Absatz 4
Zusatzprotokoll der Genfer Konventionen sei geregelt, dass die HPG (die
Guerilla der PKK) in
einem solchen Fall das Kombatantenprivileg genießt – also legitimiert ist,
sich auch bewaffnet zu
wehren. U.a. aufgrund des beschriebenen Unrechts sowie der kolonialen
Praxis des Staates, in deren
Rahmen durch eine systematische alltägliche Unterdrückung der Bevölkerung
versucht werde, den
Kurd_innen die Identität zu nehmen, treffe diese Regulierung zu. Die
staatliche Praxis und
Assimilationspolitik basiere auf einer Ideologie der Überlegenheit des
türkischen Volkes und sei
auch in der türkischen Verfassung und Gesetzen festgelegt. In der Türkei
werden nur
nichtmuslimische Gruppen als Minderheiten anerkannt. Die staatliche
Negation der Kurd_innen
ziele auf Verleugnung sowie eine Türkisierung.

In diesem Rahmen würden die kurdische Sprache und Kultur kontinuierlich
unterdrückt und teils
verboten, kurdische Parteien seien seit den 1990er Jahren immer wieder
verboten, mehr als 8000
Kurd_innen seit 2009, zumeist wegen freien Meinungsäußerungen, im Rahmen
der „KCK
Verfahren“ verhaftet worden. Darunter befinden sich 237
Funktionsträger_innen, wie
Bürgermeister_innen, Stadträt_innen und Abgeordnete des Nationalparlaments.
Am Fall der
Politikerin Leyla Zana, die bereits in den 1990er Jahren zehn Jahre wegen
Kurdischsprechens im
Parlament inhaftiert war – und erst kürzlich erneut zu 10 Jahren Haft -
aufgrund einer Rede vor dem
Europäischen Parlament - verurteilt wurde, zeigte Rechtsanwältin Ganten
Lange, dass unter der
AKP Regierung erneut zunehmende Ausmaß der Repression.

Mehr als 3000 Dörfer wurden vom Militär entvölkert. Der staatliche Terror
habe sich nicht auf die
1990er Jahre beschränkt, als von Armee und Geheimdienst Massengräber
angelegt und tausende
Politiker_innen, Menschenrechtler_innen und Journalist_innen extralegal
hingerichtet wurden. Bis
Heute finden massive Repression, Folter und extralegale Hinrichtungen
statt. Als Beispiel benannte
die Verteidigung den Bombenanschlag auf den Buchladen von Seferi Yilmaz in
Semdinli im Jahr
2005, bei dem 2 Buchhändler starben. 3 Täter aus den Reihen des
Geheimdienstes JITEM waren
von der Bevölkerung gestellt und den Behörden übergeben, eine Todesliste
mit 100 Namen von
kurdischen Aktivist_innen in ihrem Auto gefunden worden. Die Täter sind
jedoch bis Heute auf
freiem Fuß. Die Straflosigkeit der Täter aus den Reihen der
„Sicherheitskräfte“ bei Tötungen,
Kriegsverbrechen und Folter ist laut Amnesty International und Human Rights
Watch in der Türkei
ein großes Problem.

Auch das Massaker von Roboski, bei dem die türkische Armee Ende 2011, in
vollem Bewusstsein
dass es sich um Zivilist_innen handelte, 34 Menschen zu Tode bombte sowie
einen
Chemiewaffeneinsatz in der Region Cukurca, aus dem Jahr 2009, bei dem 8
Guerillas starben,
nannten die Anwält_innen, neben vielen weiteren Menschenrechtsverletzungen
und
Kriegsverbrechen als Beispiel.
*
BAW ermittelte einseitig und unvollständig – assymetrische Strafverfolgung*

Ausführlich beschrieb Ganten Lange wie die Zeugen des Bundeskriminalamtes
(BKA), wie auch
die Vertreter_innen der Bundesanwaltschaft (BAW) im Plädoyer ihre Vorwürfe
auf einseitige
Ermittlungen, Vorurteile und laienhaftes und zumeist veraltetes Halbwissen
gründeten. Die BAW
betreibt mit diesem Prozess eine assymetrische Verfolgung und Außenpolitik
mit den Mitteln des
Strafrechts, kritisierte Verteidiger Carsten Gericke. Der Vorwurf der BAW,
dass die HPG Anschläge,
die auf Mord und Totschlag orientiert sind, durchgeführt habe, entbehre
jeglicher nachvollziehbarer
Grundlage, so Ganten Lange. Diesbezüglich wurden seitens der Anklagebehörde
lediglich nicht
verifizierbare Artikel in den Prozess eingeführt. Die Verteidigung wies
auch nach, dass die türkische
Armee eine eigene Einheit für psychologische Kriegsführung hat, die einen
großen Einfluss auf
Veröffentlichungen in der Presse habe. U.a. aus diesem Grund sei ein
alleiniger Artikel kein Beweis
für Angriffe der HPG oder Berichte über das Kriegsgeschehen. Ein ehemaliger
General habe zudem
kürzlich kritisiert, dass unzählige Soldaten durch „friendly fire“ aufgrund
schlechter Ausbildung
sowie durch Minen sterben, von denen seitens der Armee eine hohe Anzahl
gelegt wurde ohne diese
zu kartographieren.

Das Anklagekonstrukt, dass eine „europäische Organisation der Kurd_innen“,
die CDK in die
Strukturen der PKK und KCK eingebunden und an deren Weisungen gebunden sei,
konnte die
BAW durch nichts belegen, erklärte die Verteidigung. Auch die Behauptung
der BAW, dass die
Stadtguerillaorganisation Freiheitsfalken (TAK) eine Unterorganisation der
PKK sei, ist schlicht
falsch. Der Zeuge Schmitz vom BKA habe diesbezüglich eingestanden, dass es
dafür keinen Beweis
gibt - und seine vagen Vermutungen lediglich auf ungenaue und nicht
hinterfragbare Internetrecherche
begründet. Die Anwält_innen Kitays verdeutlichten anhand von Dokumenten,
dass die
PKK sich seit Jahren von der Politik und den Anschlägen der TAK, bei denen
immer wieder
Zivilist_innen zu Schaden kommen, entschieden distanziert – und die TAK die
PKK als zu friedlich
und eine Organisation mit falscher Perspektive bezeichnet.

Anhand von Stellungnahmen zeigten die Anwält_innen Kitays, dass die HPG
Selbstmordattentate,
wie sie von der TAK begangen werden, grundsätzlich ablehnt. Vorliegenden
Dokumenten zufolge
sei nachvollziehbar, dass spätere Mitglieder der TAK sich in einer Phase
interner Auseinandersetzungen
im Jahr 2003 oder 2004 von der PKK trennten und gemeinsam mit weiteren
unbekannten
Mitgliedern eine völlig unabhängige Organisation gründeten.

Das OLG Hamburg hätte Sachverständige laden müssen, um sich bei so
gravierenenden
Anschuldigungen ein Bild der Situation in der Türkei machen zu können,
forderte Anwalt Carsten
Gericke. BAW und BKA waren bei den Ermittlungen und in Bezug auf die
Anklage nicht auf dem
rechten Auge - aber auf dem Türkei Auge blind, so der Strafverteidiger. Die
zahlreichen Straftaten
und Kriegsverbrechen (Verstöße gegen das Kriegsvölkerrecht) von Polizisten
und Armee, wurden in
den Ermittlungen nicht berücksichtigt. Aufgrund einer fundierten Anzeige
nach dem
bundesdeutschen Völkerstrafgesetzbuch, die Menschenrechtler_innen und der
Bundestagsabgeordnete Harald Weinberg (Die Linke) 2011 bei der BAW
eingereicht hatten, sei bis
Heute nicht einmal ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden, kritisierte
der Verteidiger.

§ 129 b werde entgegen seiner Bestimmung gegen Befreiungsbewegungen
eingesetzt. Dies sollte
nach Willen des Gesetzgebers jedoch gerade ausgeschlossen sein. Eine solch
asymmetrische
Strafverfolgung sei nicht hinnehmbar. Weder durch die Telefonüberwachungen,
die im Prozess
gehört wurden noch durch andere Eingaben, konnte bewiesen werden, dass Ali
Ihsan Kitay eine
leitende Funktion einnahm, erklärte Gericke und zitierte Beispiele von im
Prozess gehörten
Telefongesprächen, in denen, dem Angeklagten laut BAW untergeordnete, ihm
Anweisungen gaben.
Menschen anzurufen und zu fragen ob sie zu einer Demonstration kommen,
bewege sich im
besonders geschützten Rahmen des Versammlungsrechts, Streit zu schlichten,
wie Kitay es immer
wider tat, sei für das soziale Wohl gewollt – beides werde Kitay aber nun
von der BAW
vorgeworfen. Das sei schlicht absurd.

Weitere Personen, die wegen gleicher Vorwürfe im gleichen „Tatzeitraum“
(2007-2008) angeklagt
waren, wurden lediglich nach dem Vereinsgesetz § 20 verfolgt, dass einen
Strafrahmen von bis zu
einem Jahr vorsieht, § 129 b dagegen 1- 10 Jahre. Sie wurden sämtlich
freigesprochen bzw. die
Verfahren eingestellt. „Ali Ihsan Kitay ist zum Objekt politisch
motivierter Interessen der BAW
geworden, da gerade jetzt eine derartige Kriminalisierung der Kurd_innen
mit höherem Strafmaß
gewünscht ist,“ so Gericke. Kitay müsse frei gesprochen werden, da seine
Motivation sich politisch
zu organisieren ausschließlich der legitime Widerstand gegen die vom
türkischen Staat ausgehende,
seit 100 Jahren anhaltende Unterdrückung und Gewalt sei.

Die BAW hatte sich bei ihrer Einschätzung, ob die PKK terroristisch
handele, hauptsächlich auf die
in einem geheim tagenden Gremium des Europarats beschlossene,
EU-Terrorliste berufen. Der
Europäische Gerichtshof (EUGH) habe aber in einem Urteil 2008, die
Rechtswidrigkeit der Listung
der PKK auf der EU- Terrorliste in den Jahren 2002 - 2008 entschieden. Da
gerade ein
erfolgversprechender Friedensdialog in der Türkei zwischen
Regierungsvertreter_innen und
Abdullah Öcalan stattfinde - es werde derzeit eine konkrete Roadmap
diskutiert, Gespräche mit der
PKK im Kandilgebirge seien anberaumt - sei das Vorgehen der BAW völlig
unangemessen und
unproduktiv. Ali Ihsan Kitay sei freizusprechen, schloss Gericke das
Plädoyer.

Das Bündnis Freiheit für Ali Ihsan fordert einen Freispruch und die
sofortige Freilassung von Ali
Ihsan Kitay und sämtlichen politischen Gefangenen. Der Widerstand der PKK
ist, wie von der
Verteidigung aufgezeigt, völkerrechtlich legitim. Die Kriminalisierung der
kurdischen
ExilpolitikerInnen und die unverantwortliche Herangehensweise der
Bundesanwaltschaft in diesem
Prozess tragen dazu bei, dass politische Hinrichtungen wie die Morde an
Sakine Cansiz, Fidan
Dogan und Leyla Saylemez am 9. Januar in Paris durchgeführt werden können.
Wir trauern mit den
Familien und der kurdischen Bevölkerung um die in Paris ermordeten
revolutionären Frauen. Diese
standen für ein respektvolles bewusstes Zusammenleben, Bildung, die
Befreiung der Frau und einen
Friedensdialog. Sie wurden im Rahmen der Verteilungskriege im Mittleren
Osten und einer
Vernichtungsstrategie der AKP gegenüber den KurdInnen gezielt hingerichtet.

Folgte man der Logik des § 129 b und des Völkerrechts müssten eigentlich
die für
Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verantwortlichen
Politiker_innen, der
Generalstabschef und diejenigen, die mit systematischer Folter und
Kriegsverbrechen wie
Chemiewaffeneinsätzen Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen, in
Deutschland vor Gericht
stehen. In diesem Prozess wird deutlich, dass es sich bei den § 129 b
Verfahren nicht um Recht oder
die Verfolgung von etwaigen Straftaten, sondern um politische motivierte
Verfolgung handelt.
*
Wir fordern: Freiheit für alle Ihsan Kitay und alle politischen Gefangenen !
Dialog statt Repression und Krieg!*

Für Rückfragen stehen wir Ihnen nach Absprache per E-mail gerne auch
telefonisch zur
Verfügung
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