[imc-presse] PM Urteil im § 129b Prozess gegen Kurden

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Thu Feb 7 11:57:49 CET 2013


*Pressemitteilung
Bündnis Freiheit für Ali Ihsan*

*Urteil im § 129 b gegen Kurden Ali Ihsan Kitay am 13. Februar*


Im Prozess gegen den kurdischen Aktivisten Ali Ihsan Kitay wegen des
Vorwurfs "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" gemäß §129b
wird am 13. Februar das Urteil gesprochen. Er soll 2007-2008 in der
nördlichen Region "verantwortlicher Kader der PKK" gewesen sein. Ali Ihsan
saß bereits 20 Jahre in der Türkei im Gefängnis und wurde dort mehrfach
gefoltert. Mit der Kriminalisierung von Kurd_innen nach dem §129b verfolgt
die Bundesregierung wirtschaftliche und strategische Ziele.


Konkrete Straftaten oder Anschläge in der BRD werden Ali Ihsan Kitay, wie
weiteren 6 Kurden, die ebenfalls mit Verfahren gemäß § 129b konfrontiert
sind, nicht vorgeworfen. Entscheidend ist bei den Verfahren nach § 129b die
Frage, ob es sich bei der PKK um eine terroristische Vereinigung oder eine
legitime Befreiungsbewegung handelt. Diese Entscheidung gibt das
Justizministerium der BRD vor.


Das Gericht urteilt in diesem Prozess nach außenpolitischen Interessen. Die
VerteidigerInnen Ali Ihsans sind zu Recht der Ansicht, dass der §129 b
verfassungswidrig ist, da durch ihn die Gewaltenteilung aufgehoben wird.


Die mit der Frage nach Legitimiät einhergehenden politischen und
völkerrechtlichen Fragen wurde vom Gericht und der Bundesanwaltschaft
(BAW) im Prozess weitgehend ausgeblendet. Denn dies würde bedeuten, die
menschenrechtliche Situation in der Türkei und einen Dialog zur Lösung
der kurdischen Frage als wichtiger anzusehen als die Durchsetzung
geostrategischer „deutscher“ Interessen in der Region. Die
Bundesanwaltschaft (BAW) fordert 3 1⁄2 Jahre Haft für Ali Ihsan Kitay.


Das Bündnis Freiheit für Ali Ihsan fordert die sofortige Freilassung von
Ali Ihsan Kitay und sämtlichen politischen Gefangenen. Die
Kriminalisierung der kurdischen ExilpolitikerInnen und die
unverantwortliche Herangehensweise der Bundesanwaltschaft in diesem Prozess
tragen dazu bei, dass politische Hinrichtungen wie die Morde an Sakine
Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez am 9. Januar in Paris durchgeführt
werden können. Wir trauern mit den Familien und der kurdischen
Bevölkerung um die in Paris ermordeten revolutionären Frauen. Diese
standen für ein respektvolles bewusstes Zusammenleben, Bildung, die
Befreiung der Frau und einen Friedensdialog. Sie wurden im Rahmen der
Verteilungskriege im Mittleren Osten und einer Vernichtungsstrategie der
AKP gegenüber den KurdInnen gezielt hingerichtet.


*Plädoyer der Verteidigung: am 7. und 8. Februar, jeweils um 13.00 Uhr,
OLG Hamburg, Sievikingplatz 3
Demonstration am Sonnabend, den 9. Frbruar, 15.00 Bahnhof Sternschanze*

*Angehängt finden sie Hintergrundinformationen zum Verfahren*


Für Rückfragen stehen wir Ihnen nach Absprache per E-mail gerne auch
telefonisch zur Verfügung

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*Hintergrund und Analyse*


Vor dem Oberlandesgericht Hamburg wird nächste Woche das Urteil in dem
ersten Verfahren nach
§ 129 b Strafgesetzbuch (StGB) gegen einen vermeintlichen Kader der
Arbeiterpartei Kurdistans
(PKK), Ali Ihsan Kitay, gesprochen. Dieser Prozess kann demzufolge als
Pilotverfahren gesehen
werden. Das heißt, dass hier viele Grundlagen für mögliche weitere §
129b-Verfahren gegen
kurdische Aktivist_innen gelegt werden.


*§129 b gegen kurdische Exilpolitiker_innen - Was bedeutet das konkret?*


Durch § 129b wird die Gewaltenteilung zwischen Regierung/Exekutive und
Justiz/Judikative
aufgehoben. Normalerweise entscheidet ein Gericht darüber, ob ein
Verhalten strafbar ist oder nicht
– im Fall des § 129 b entscheidet das jedoch das Bundesministerium für
Justiz (BMJ). Das Gesetz
sieht vor, dass die Regierung entscheidet, ob eine Organisation aus dem
Ausland als terroristisch
oder als legitim eingestuft wird, und dann entweder die Ermächtigung zur
Strafverfolgung erteilt
oder nicht. Gleichzeitig sieht das Gesetz vor, dass kein Gericht die
Möglichkeit haben soll, diese
Entscheidung der Regierung/Exekutive zu überprüfen oder zu revidieren.
Die Gerichte sollen diese
Einschätzung einfach hinnehmen.


Dadurch ist politischer Willkür Tür und Tor geöffnet. Außenpolitische
Interessen entscheiden also
über einen etwaige Strafverfolgung. Das ist schlicht und einfach
Verfassungswidrig. In Bezug auf
kurdische Exilpolitker_innen entschied das Bundesjustizministerium
zunächst, dass Personen denen
bestimmte Funktionen innerhalb der PKK zugeordnet werden (z.B
Gebietsverant-wortliche),
verfolgt werden können. Diese Ermächtigung kann jedoch je nach
politischem Willen erweitert
werden.


Bei den Prozessen gemäß den §§ 129 und 129 a StGB war es für die Gerichte
stets erforderlich, zu
beweisen, dass die Ziele der PKK auch in Deutschland entweder auf die
Begehung von Straftaten
oder aber sogar sog. terroristische Taten (§ 129a) gerichtet waren. Das ist
bei Prozessen gemäß §
129 b belanglos. Deshalb hat das Gericht nicht mehr die Frage zu
beantworten, ob die PKK in
Deutschland Straftaten begeht. Die entscheidende Voraussetzung für die
Strafbarkeit ist die Frage,
ob die PKK in der Türkei bzw. überall dort, wo sie bewaffnet kämpft,
eine terroristische
Vereinigung ist oder nicht.


Die Gerichte in Deutschland sollen also über Vorgänge in der Türkei oder
anderswo entscheiden,
obwohl sie kaum Kenntnisse über die gesellschaftlichen und politischen
Verhältnisse und etwaige
Konflikte sowie deren historischen Entwicklungslinien und Hintergründe
haben. Wie verheerend
das ist wurde in dem Verfahren gegen Ali Ihsan Kitay deutlich. Die Zeugen
des
Bundeskriminalamtes (BKA) und die Vertreter_innen der Bundesanwaltschaft
(BAW) gründeten die
Anklage auf einseitige Ermittlungen, Vorurteile und laienhaftes und zumeist
veraltetes Halbwissen.
Die Richter_innen mussten ein ums andere Mal seitens des Angeklagten und
der Verteidigung über
die Lage in der Türkei und Kurdistan aufgeklärt werden. (weitere
Informationen dazu finden sich in
den Prozessberichten auf (http://freiheitfueraliihsan.noblogs.org)


Im § 129 b ist geregelt, dass eine Vereinigung im Ausland dann als
terroristisch gilt, wenn ihr
Handeln auf Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des
Völkerstraf-
gesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des
Völker-strafgesetzbuches) oder
Kriegsverbrechen (§§ 8,9,10,11 oder § 12 des Völkerstraf-gesetzbuches)
gerichtet ist.

Das ist der Aspekt, den das OLG Hamburg im Verfahren gegen Ali Ihsan Kitay
und alle Gerichte in den
weiteren Verfahren § 129 b entscheiden müssen. Entscheidend bei den
Verfahren gegen Kurd_innen
ist, ob es sich bei der PKK um eine terroristische Vereinigung oder eine
legitime
Befreiungsbewegung handelt, die in einem bewaffneten Konflikt agiert. Von
der kurdischen
Bewegung, Völkerrechtler_innen und der Linken sowie von den von § 129 b
betroffenen
Kurd_innen und deren Verteidigungen wird die PKK als eine Konfliktpartei in
einem bewaffneten
Konflikt mit dem türkischen Staat und Militär, in dem beide Parteien
Gewalt anwenden dürfen,
gesehen.


In einem solchen Konflikt – also in einem Krieg – sind Tötungen (Mord und
Totschlag) erlaubt,
wenn sie sich im Rahmen des humanitären Kriegsvölkerrechts bewegen – also
keine
Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (siehe letzter
Abschnitt) begangen
werden. Auch Widerstand, wenn nötig auch bewaffnet, gegen anhaltendes
Unrecht und Tyrannei
wird in der UN-Charta der Menschenrechte, als legitim betrachtet. Die
kurdische Bewegung leistet
seit mehr als 30 Jahren derartigen Widerstand.

*Der Prozess vor dem OLG Hamburg*

Interessanter Weise haben die Richter_innen des OLG Hamburg in einer
Stellungnahme im Verlauf
des Prozesses anerkannt, dass in der Türkei das Selbstbestimmungsrecht der
Kurd_innen verletzt
wird. Zudem haben sie die systematische erneut zunehmende Anwendung von
Folter und Begehung
von Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte, die seitens der
Verteidigung im Prozess
ausführlich geschildert wurde, als erwiesen angesehen.


Auch Kriegsverbrechen u.a. einen Chemiewaffeneinsatz im Mai 1999, bei dem
19 Guerillas der
PKK starben, von dem im Prozess Videoaufzeichnungen aus Armeekreisen
gezeigt wurden, sahen
die Richter_innen als erwiesen. Anhand von Video und Funkaufzeichnungen
wurde deutlich, dass
der heutige Generalstabschef Necdet Özel selbst den Befehl zum Einsatz des
Giftgases gab und
Soldaten noch einen Tag später ihm gegenüber per Funk bei der Bergung der
Leichen von Resten
des Gases und eigenen Vergiftungserscheinungen sprachen. Eigentlich
müssten also die dafür
verantwortlichen Politiker_innen, der Generalstabschef und diejenigen, die
mit systematischer
Folter Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen, in Deutschland vor
Gericht stehen. Hier wird
deutlich, dass es sich bei den § 129 b Verfahren nicht um Menschenrechte,
Recht oder die
Verfolgung von etwaigen Straftaten, sondern um politische motovierte
Verfolgung (wie im ersten
Spiegelstrich beschrieben) handelt.


Trotz alledem ist nach dem bisherigen Prozessverlauf davon auszugehen, dass
nicht nur die BAW in
ihrem Plädoyer, sondern auch das Gericht, die PKK nicht als Kriegspartei
anerkennen wollen und
deshalb militärische Gefechte oder im Rahmen der Selbstverteidigung und
zum Schutz der
Bevölkerung im Rahmen von Gefechten oder als Reaktion auf Angriffe von
Polizei oder Militär auf
die Zivilbevölkerung durchgeführte Angriffe auf Einrichtungen
militärischer und polizeilicher
Einheiten und Gebäude als terroristische Anschläge werten.


Gleichzeitig hat die BAW an Hand von mehr als vagen Quellen versucht, in
ihrem Plädoyer die
Stadtguerillaorganisation Freiheitsfalken (TAK) als eine Unterorganisation
der PKK darzustellen.
Dass die PKK sich seit Jahren von der Politik und den Anschlägen der TAK,
bei denen immer
wieder Zivilist_innen zu Schaden kommen, entschieden distanziert und die
TAK die PKK als zu
friedlich bezeichnet, sei lediglich Taktik. In der Äußerung mit freudschem
Versprecher „Es ist
unbestreitbar, dass die TAK eine organisatorische Anbindung an die KPD
hat,“ zeigte sich das
ganze Dilemma der vorurteilsbeladenen und inkonsistenten Argumentation der
BAW, wobei jedoch
durchaus damit gerechnet werden muss, dass sich das Gericht dem anschließen
wird.
Eigentlich erwartet man bei einem derartigen Anklagekonstrukt – bei dem es
zum größten Teil um
Ereignisse in einer dem Gericht nicht ausreichend bekannten Region geht –
dass in einer
umfangreichen Beweisaufnahme sachverständige Expert_innen sowie Zeugen aus
der betroffenen
Region gehört werden. Als Zeugen lud das Gericht allerdings lediglich vier
Beamte des BKA, die
ihre am Schreibtisch erworbenen Rechercheergebnisse präsentierten. Deren
Aussagen basierten im
Wesentlichen auf einseitiger Ermittlung, veralteter Recherche weiterer
Beamten, unhinterfragbaren
Internetquellen, Vorurteilen sowie laienhaftem Halbwissen.


Z.B. Ermittlungsführer B., der die Struktur und politische Entwicklung der
PKK schildern sollte
und deren Handeln bewertete, sagte, dass ihm die Texte der PKK zu
ideologisch wären und er diese
nicht verstanden habe. Über die Verhältnisse vor Ort, wie die kurdischen
Autonomieregionen im
Nordirak oder die im türkischen Parlament vertretene pro kurdische BDP
(Demokratische
Friedenspartei) wusste er ebenfalls nichts zu berichten. Die weiteren BKA
Zeugen waren ähnlich
einseitig und unwissend.


Mit den entscheidenden völkerrechtlichen Aspekten und den Hintergründen
des Konflikts, die für
ein § 129 b Verfahren grundlegend sein sollten, hat sich das Gericht nur
dann beschäftigt, wenn es
durch Anträge der Verteidigung dazu gezwungen wurde. Das Hauptziel der
Richter_innen war
offensichtlich die Einbindung Ali Ihsans in die Strukturen der PKK bzw. KCK
in Deutschland
nachzuweisen. Dazu wurden mit großem Eifer und sehr theatralisch alte
Urteile nach § 129
verlesen, stundenlang Telefonüberwachung angehört und das Unwissen der
BKA Beamten als
Expertenwissen deklariert. Die dabei erlangten Erkenntnisse, wie dass er
Demonstrationen (wie z.b.
das Newrozfest, dass Weltkulturerbe ist) organisiert haben soll - einen
Grill von Kiel nach Hamburg
bestellte und des Öfteren Streit schlichtete, dienen schließlich dazu,
seine Einbindung in die PKK-
Struktur zu beweisen.


Es wurde wie in Aktenzeichen XY ein Bild von einem Täter heraufbeschworen,
der in die wohl
geordnete bundesdeutsche Welt einbricht. Nur, dass ihm keine Strafttaten
vorgeworfen werden und
selbst Schüler_innen und Lehrer_innen einer das Plädoyer der BAW
beobachtenden Schulklasse
sich wunderten, wofür er eigentlich bestraft werden soll. Insgesamt ist
deutlich geworden, dass ganz
normales Verhalten – oder auch gewünschtes Sozialverhalten wie Streit zu
schlichten, in dem
Moment als eine Strafttat gewertet werden, wenn sie ein/e Kurd_in
ausführt, die/der der PKK
zugeordnet wird.


Texte der BDP, der kurdischen Organisationen, der PKK, von Amnesty
International und dem
Europäischen Parlament, die sich mit der Menschenrechtslage in der Türkei
und der politischen
Entwicklung der PKK beschäftigen, wurden aus dem öffentlichen Prozess ins
Selbstleseverfahren
ausgelagert. (weitere Informationen dazu finden sich in den
Prozessberichten auf                             (
http://freiheitfueraliihsan.noblogs.org). Die Anträge der Verteidigung auf
Anhörung von
Sachverständigen                                              zu den
Verhältnissen in den kurdischen Regionen wurden sämtlich abgelehnt.
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