[imc-presse] PM §129b ist verfassungswidrig

human rights open.letter.human at googlemail.com
Thu Aug 23 10:22:47 CEST 2012


*Pressemitteilung**
*

*Bündnis Freiheit für Ali Ihsan*



 *Verfassungsgericht soll über § 129 b entscheiden – Der dritte und vierte
Tag im Verfahren gegen den kurdischen Politiker Ali Ihsan Kitay *


 Am Montag, den 13. August hatte vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg
das Verfahren gegen den kurdischen Politiker und Aktivisten Ali Ihsan Kitay
begonnen. Die Bundesanwaltschaft (BAW) wirft dem 47-jährigen Kurden vor,
dass er als Kader der PKK ab Mai 2007 das Gebiet Hamburg und ab Juni 2007
zusätzlich die Region Hamburg geleitet haben soll. Straftaten in
Deutschland werden ihm nicht vorgeworfen.


 Die Verteidigung Kitays stellte am dritten Prozesstag, Dienstag den 21.
August, den Antrag, das Verfahren auszusetzen. Das OLG-Hamburg solle eine
Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichtes einholen, ob §129 b gegen das
Grundgesetz verstößt. In der folgenden Antragsbegründung legte Rechtsanwalt
Carsten Gericke dar, warum §129 b verfassungswidrig ist. In der
juristischen Literatur werde die Einführung des Paragrafen zu Recht als
gesetzgeberischer Aktionismus nach den Anschlägen des 11.09.2002
kritisiert. Er weise deshalb starke handwerkliche und rechtstaatliche
Fehler auf. Der Paragraf sei zu unbestimmt und beliebig auslegbar und könne
zudem durch seine universelle Anwendbarkeit, in Bezug auf Sachverhalte in
Staaten außerhalb der EU, über die meist zu wenig detaillierte Sachkenntnis
vorliegt, letztlich nicht effektiv zum Schutz der öffentlichen Sicherheit
in der BRD beitragen.


 „Der §129 a kann nicht, wie durch die Etablierung des §129 b versucht
wird, auf Länder übertragen werden, die nicht rechtstaatlich organisiert
sind. In diesen ist es als legitim zu werten, dass Befreiungsbewegungen
oder bewaffnete Milizen Widerstand gegen Grund- und
Menschenrechts-verletzungen oder staatliche Willkür leisten“, so Gericke.
Deren Handeln dürfe deshalb nicht als Terrorismus definiert und
strafrechtlich verfolgt werden. Dies werde zum Beispiel Heute in Bezug auf
den ANC und Nelson Mandela, die Zapatisten, die Sandinisten, die die
Regierung Nicaraguas stellen oder die FMLN in El Salvador weder politisch
noch juristisch in Frage gestellt. Menschen, die für diese Bewegung
Unterstützung mobilisieren oder Spenden sammeln, würden berechtigterweise
auch in der Bundesrepublik nicht strafrechtlich verfolgt. Das gleiche
Prinzip müsse auch für Bewegungen, wie z.B. für die kurdische
Befreiungsbewegung, die die Unterstützung einer Bevölkerung von mehreren
Millionen Menschen in solch einer legitimen Auseinandersetzung genießt,
gelten.


 Dadurch, dass das Bundesministerium für Justiz durch eine Ermächtigung
entscheidet welche Bewegung strafrechtlich verfolgt wird und welche nicht,
würden Strafrecht und Gerichte für politische Interessen missbraucht, so
die Verteidigung. Die Entscheidung über eine Bewertung der Bewegungen falle
bei der Ermächtigung zur Verfolgung gemäß §129 b nicht in einem
öffentlichen und transparenten juristischen Verfahren, sondern hinter
verschlossenen Türen auf politischer Ebene. Außenpolitischen Interessen
folgend, würden so zum Beispiel fälschlicher Weise Einschätzungen von
Regierungen und Behörden verbündeter Staaten, in denen legitimer Widerstand
gegen gravierende Rechtsverletzungen als Terrorismus definiert wird,
übernommen.


 Die Vertreterin der BAW forderte, diesen Antrag sofort abzuweisen und
zitierte dazu eine Urteilsbegründung des OLG-München aus einem
Al-Qaida-Verfahren, in dem lediglich wenige Sätze in Bezug auf Teilaspekte
des o.g. Problemfelds beurteilt werden. Die Verteidigung erwiderte darauf,
dass die BAW den Kontext verfehlt habe und Aspekte wie die Unterstützung
der kurdischen Bewegung durch einen Großteil der Bevölkerung, das erlittene
Leid mehrerer Millionen Menschen, die anhaltende Folterpraxis in der Türkei
sowie die staatliche Nichtakzeptanz der kurdischen Kultur und der Existenz
der KurdInnen überhaupt, ausblende. Zudem müsse jedeR ErstsemesterstudentIn
über die juristische Bezuglosigkeit der Stellungnahme der BAW lachen, was
die anwesenden ZuschauerInnen zu diesem Zeitpunkt bereits ausgiebig getan
hatten.


 Das Gericht vertagte die Entscheidung über den Antrag sowie
völkerrechtliche Aspekte insgesamt auf einen angemessenen Zeitpunkt, nach
der Klärung des Sachverhalts. Mehr als fraglich ist, wie die Rechte des
Angeklagten so gewahrt werden sollen. Nach der Klärung des Sachverhalts
bedeutet faktisch – nachdem geklärt wurde ob Ali Ihsan Kitay eine leitende
Funktion innerhalb der PKK eingenommen hat. Wenn aber die Strafbarkeit
einer solchen Tätigkeit gemäß §129 b, durch eine Entscheidung des
Verfassungsgerichts nicht mehr gegeben wäre, würde die gesamte Grundlage
des Verfahrens entfallen. Das hieße dann unter anderem, dass Ali Ihsan
Kitay mehr als ein Jahr Untersuchungshaft ohne rechtliche Grundlage verbüßt
hätte.


 Danach ließ das Gericht mehrere Stunden lang
Telefonüberwachungsaufzeichnungen anhören. Deren Inhalt waren unter anderem
private Belange, wie z.B. ein Gespräch von Ali Ihsan Kitay mit Verwandten
in der Türkei. Weitere Gespräche, in denen sich der Angeklagte mit
FreundInnen über alltägliche Belange oder Demonstrationen unterhielt,
werden seitens der BAW, für Prozessbeo-bachterInnen anhand der gehörten
Gespräche nicht nachvollziehbar, als Beweis für die Leitungsfunktion Ali
Ihsan Kitays in der PKK gewertet.


 *Vierter Verhandlungstag – Widerspruch gegen die Verwertung von
erfolterten Aussagen*


 Am vierten Verhandlungstag widersprach die Verteidigung Ali Ihsan Kitays
u.a. der Verwertung von Rechtshilfeersuchen aus der Türkei. In unzähligen
Beschlüssen von Oberverwaltungsgerichten (OVG) wurde festgestellt, dass die
Türkei nicht rechtstaatlich organisiert ist – und in Strafverfahren
regelmäßig erfolterte Aussagen verwendet werden. Die PKK wird
staatlicherseits als Hauptfeind definiert und die Verfolgungsbehörden
würden alle Mittel nutzen, auch Folter und Menschenrechts-verletzungen um
Mitglieder und Sympathisanten der Organisation zu Aussagen zu zwingen oder
von weiteren Aktivitäten abzubringen, so die OVG in sämtlichen Urteilen.
Deshalb seien die Rechtshilfeersuchen aus der Türkei oder weiteren Ländern,
in denen sich Behörden auf erfolterte Aussagen aus der Türkei beziehen, im
Prozess nicht verwertbar, erklärte Rechtsanwältin Cornelia Ganten Lange.
Darüber hinaus haben die Rechtshilfeersuchen, wei weitere Akten der BAW zum
Teil schon seit Januar 2011 vorgelegen. Obwohl den BundesanwältInnen
bewusst war, dass diese in die Anklage einfließen sollen, habe sie diese
jedoch erst jetzt Gericht und Verteidigung zur Einsicht gegeben. Die
Gleichbehandlung der Prozessbeteilgten (Waffengleichheit) sei dadurch grob
verletzt, so Rechtsanwalt Gericke. Die Vertreterin der BAW forderte ohne
nachvollziehbare Argumentation, dass der Antrag zurückgewiesen wird. Die
Entscheidung über den Antrag wurde vertagt.


 Zudem entschieden die 5 RichterInnen des OLG über den Antrag der
Verteidigung, die das Selbstleseverfahren in großem Umfang kritisiert
hatte. Diejenigen der mehr als 200 Dokumente, in denen Beamten des
Bundeskriminalamtes (BKA) Wertungen vorgenommen haben sowie einige
unvollständig oder völlig konfus übersetzte Texte sollen nun nicht mehr per
Selbstleseverfahren eingeführt werden. Die RichterInnen folgten somit einem
Teil der Argumentation der Verteidigung. Da ein großer Anteil der
beabsichtigten Dokumente, deren Inhalt hauptsächlich politische Texte der
kurdischen Bewegung sind, aber weiterhin nur von den RichterInnen, der BAW,
der Verteidigung und Ali Ihsan Kitay gelesen werden sollen und nicht in der
Verhandlung thematisiert werden, wird der Öffentlichkeit nur ein
unvollständige und einseitig verzerrte Sicht auf die Hintergründe der
Anklage und die Sachlage im Verfahren zugänglich.


 *Wir fordern Freiheit für Ali Ihsan Kitay und alle politischen Gefangenen !
*

*Frieden in Kurdistan !*


 Der nächste Prozesstag beginnt Freitag, den 31.08.2012 um 9.00 Uhr, OLG
Hamburg, Sievekinplatz 1
-------------- next part --------------
An HTML attachment was scrubbed...
URL: </pipermail/imc-presse/attachments/20120823/b090362e/attachment-0001.htm>
-------------- next part --------------
A non-text attachment was scrubbed...
Name: PM ?129b ist verfassungswidrig.pdf
Type: application/pdf
Size: 71543 bytes
Desc: not available
URL: </pipermail/imc-presse/attachments/20120823/b090362e/attachment-0001.pdf>


More information about the imc-presse mailing list