[imc-presse] PM Auftakt Prozess gegen Kurden

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Fri Aug 10 10:41:52 CEST 2012


*Pressemitteilung*

*Bündnis Freiheit für Ali Ihsan - Azadi e.V.*



 Ressort: Innenpolitik/Justiz

10.08.2012

*§ 129 b Verfahren gegen den kurdischen Aktivisten Ali Ihsan Kitay*

*vor dem OLG in Hamburg - Auftakt eines der Pilotverfahren*


Am Montag den 13. August beginnt vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg
das Verfahren gegen den kurdischen Politiker und Aktivisten Ali Ihsan
Kitay. Es handelt sich um eines von drei Pilotverfahren.

Seit dem 12. Oktober 2011 sitzt Ali Ihsan Kitay in Hamburg wegen des
Vorwurfs der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ gemäß §
129b Strafgesetzbuch (StGB) in Untersuchungshaft. Konkrete Straftaten oder
Anschläge in Deutschland werden ihm, wie mittlerweile fünf weiteren
aufgrund § 129b inhaftierten Kurden, nicht vorgeworfen. Zur Last gelegt
wird ihnen, leitende Funktionen innerhalb verschiedener PKK- Strukturen
eingenommen zu haben.

Ali Ihsan Kitay saß bereits mehr als 20 Jahre in der Türkei im Gefängnis
und wurde dort mehrfach gefoltert. Jetzt wird ihm vorgeworfen, sich von Mai
2007 bis Mitte September 2008 in Hamburg, Kiel, Bremen, Oldenburg und an
weiteren Orten in der Bundesrepublik Deutschland sowie im Nord-Irak als
Mitglied an einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“ beteiligt zu
haben. In diesem Rahmen soll er als Kader der PKK und der CDK ab Mai 2007
das Gebiet Hamburg und ab Juni 2007 zusätzlich die Region Hamburg geleitet
haben.

Der Aktivist der kurdischen Bewegung saß ohne rechtliche Grundlage dafür
von Oktober 2011 bis Juni 2012 in Isolationshaft - und erst seitdem im
Normalvollzug. Die Gespräche mit BesucherInnen finden hinter einer
Trennscheibe im Beisein von Beamten des Landeskriminalamtes (LKA) statt und
werden filmisch aufgezeichnet. Die Post einschließlich der Verteidigerpost
wird überwacht. Aufgrund der Dunkelheit seiner Zelle hat Ali Ihsan Kitay
mittlerweile Sehstörungen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied am 28. Oktober 2010, dass zukünftig
der Paragraph 129b des Strafgesetzbuches - »Mitgliedschaft in einer
kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland« - auch gegen die
PKK und deren Nachfolgeorganisationen angewandt werden soll. Als eine
solche Nachfolgeorganisation ist nach Ansicht der Bundesanwaltschaft (BAW)
auch die KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) zu betrachten.
Bisher erfolgten Verurteilungen gegen Kurdinnen und Kurden nach Paragraf
129 (Mitglied einer kriminellen Vereinigung) oder dem Vereinsgesetz. § 129
b StGB ermöglicht der Exekutive, maßgeblichen Einfluss auf die
Strafverfolgung zu nehmen. Eine gerichtliche Überprüfung der Ermächtigung
zur Verfolgung nach § 129 b, die vom Bundesministerium für Justiz gegeben
werden muss, sowie auch der Gründe, warum die Ermächtigung erteilt wurde,
ist nicht vorgesehen.

Die Verteidigerin von Ali Ihsan Kitay, Cornelia Ganten-Lange, kommentiert:
„Sehenden Auges und politisch gewollt führt § 129 b StGB damit zur
Politisierung und Instrumentalisierung der Strafjustiz - ein Novum
deutscher Rechtsgeschichte. Es wird damit der Regierung ein breiter
Spielraum gegeben, die strafrechtliche Verfolgung nach strategischen und
außenpolitischen Interessen zu steuern. In der strafrechtlichen Literatur
wird dies auch durchaus kritisch gesehen. Die `Libysche Nationale
Befreiungsfront´ oder auch die `Freie Syrische Armee´ werden trotz der von
ihnen eingesetzten Waffengewalt, nicht als `terroristische Vereinigung´ zur
Begehung von Mord und Totschlag eingestuft, sondern seitens der
Bundesregierung als legitime bewaffnete Organisationen angesprochen und
unterstützt.“

In dem jetzigen Verfahren wird es u. a. darum gehen, ob der Kampf gegen
lang anhaltendes Unrecht und um ein Selbstbestimmungsrecht legitim und
völkerrechtlich zulässig und gerechtfertigt ist. Dies wird bezüglich der
PKK, im Gegensatz zu den o.g. Organisationen, aus rein strategischen
Gründen (siehe Hintergrund) seitens des Justizministeriums und des BGH
verneint.

*Für Rückfragen stehen Ihnen gerne das Bündnis Freiheit für Ali Ihsan und
Azadi e.V. zur Verfügung: Tel.: 0176-20705646 und E-Mail: azadi at t-online.de*


 *Hintergrund*

Seit 2007 hat die türkische Regierung die Repression gegen die kurdische
Bewegung in der Türkei auf allen Ebenen verstärkt. Folter und extralegale
Hinrichtungen gegen Zivilpersonen haben besonders in den letzten drei
Jahren zugenommen (1555 angezeigte Fälle von Folter im Jahr 2011); fast
jeden Tag finden Militäroperationen in der Türkei und sogar
völkerrechtswidrig im Nordirak statt. Seit den Kommunalwahlen 2009 ließ die
Regierungspartei AKP mehr als 8000 kurdische PolitikerInnen und
AktivistInnen im Rahmen der „KCK Verfahren“ inhaftieren. Darunter 6
ParlamentarierInnen der pro-kurdischen Demokratischen Friedenspartei BDP,
33 BürgermeisterInnen, über 1000 Frauenaktivistinnen und mehr als 100
JournalistInnen. Gleichzeitig kam es zu Massakern an der Zivilbevölkerung:
Im Jahr 2010 wurden bei Hakkari Gecitli 9 Menschen bei einem Anschlag von
Sondereinheiten des Militärs getötet - 2011 starben bei einem in vollem
Bewusstsein auf Zivilisten durchgeführten Bombardement 34 Menschen in
Uludere/Roboskî. Weitere Kriegsverbrechen seitens der türkischen Armee aus
der Zeit zwischen 2002 und 2011, brachten im November 2011 Angehörige von
Opfern und AnwältInnen in der Bundesrepublik, gemäß Völkerstrafgesetzbuch
in einer Anzeige gegen Ministerpräsident Erdogan und die letzten drei
Generalstabschefs vor Gericht.

Bis 2011 hatte es zwar Gespräche von Regierungsvertretern mit VerteterInnen
der PKK in Oslo und mit Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali (der
eine Roadmap für den Frieden vorgelegt hatte) mit konkreten Ergebnissen
gegeben. Diese wurden jedoch abgebrochen. Die AKP-Regierung wollte
letztlich nicht hinnehmen, dass sie die Kontrolle über die kurdischen
Provinzen des Landes auf politischem Weg nicht erlangen kann. Die kurdische
Bewegung ist dort sehr gut in der Bevölkerung verankert. Mit dem Konzept
der Demokratischen Autonomie wurden große Teile der Menschen politisiert
und von der BDP in die Gestaltung der Gesellschaft einbezogen. Seit 2007,
als der AKP bewusst wurde, dass diese Entwicklung nicht mehr umkehrbar ist,
begann sie schrittweise mit der gewalttätigen Eskalation des Konflikts.

Der politische Hintergrund der Kriminalisierung mehrerer Kurdinnen gemäß §
129 b in der Bundesrepublik ist deutlich. Es geht im gesamten Mittleren
Osten um den Zugang zu Öl und Gasressourcen und die Absicherung der
Transportwege. Die Türkei - mit der zweitgrößten NATO-Armee - wird als
Bündnispartner und zukünftige Energiedrehscheibe gesehen, die
islamisch-autoritäre AKP-Regierung unter Erdogan als demokratisch
orientiert verklärt und als bestes Rollenmodell für die gesamte Region
definiert. Emanzipatorische und vor allem gut organisierte
basisdemokratische Kräfte, die in der Bevölkerung verankert sind, wie die
kurdische Bewegung und die PKK, sollen in einer strategisch wichtigen
Region gerade im Hinblick auf die neokoloniale Neuaufteilung des Mittleren
Ostens offenbar nicht geduldet werden.

Weil die Bundesregierung eine hauptsächlich auf Profit orientierte Außen-
und Sicherheitspolitik betreibt, wird auch in der Bundesrepublik erneut mit
erweiterter Repression gegen kurdische AktivistInnen vorgegangen. In diesem
Rahmen wird der kurdischen Bewegung und der kurdischen Bevölkerung das
Widerstandsrecht - gegen lang anhaltendes Unrecht, dokumentierte permanente
Menschenrechtsverletzungen und den staatlichen Versuch der Vernichtung
selbstbestimmter Kultur aberkannt. Obwohl die PKK seit mehr als 10 Jahren
auf einen Friedensprozess orientiert, wird ihr Widerstand im Gegensatz zu
den o.g. Beispielen aus rein geostrategischen Motiven als terroristisch
definiert.

Neben Ali Ihsan Kitay sind weitere Kurden von Verfahren nach § 129 b StGB
betroffen und angeklagt, so Mehmet A. und Ridvan Ö., deren Prozess am 13.
September vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim eröffnet wird.
Auch der im April dieses Jahres festgenommene Abdullah S. befindet sich in
U-Haft und soll vor dem OLG Düsseldorf angeklagt werden. Gegen Vezir T.
läuft ebenfalls ein Verfahren nach § 129 b StGB. Er wurde aus persönlichen
Gründen haftverschont. Metin A. befindet sich aufgrund eines Haftbefehls
der Bundesrepublik Deutschland in der Schweiz in Auslieferungshaft. Sedat
K. wurde aufgrund eines Festnahme-ersuchens der Bundesanwaltschaft am 25.
Juli von Frankreich nach Deutschland überstellt, wo ihm ebenfalls ein
Verfahren nach § 129 b StGB droht.


 *Wir fordern: Freiheit für Ali Ihsan Kitay und alle politischen Gefangenen
! *

*Frieden in Kurdistan !*

*Das Bündnis Freiheit für Ali Ihsan und Azadi fordern zur Beobachtung des
am 13. August beginnenden Prozesses und der Teilnahme an der Kundgebung vor
dem Gerichtsgebäude auf. *

*Prozessbeginn: 13. August 9.00 Uhr, OLG Hamburg, Sievekinplatz 1-3*

*Die Kundgebung beginnt um 8.00 Uhr *
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