[imc-presse] Presssemitteilung: Kundus-Opferanwälte fordern Entschädigung und Fortführung des Ermittlungsverfahrens

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Thu Jun 10 13:23:33 CEST 2010


PRESSEMITTEILUNG

 

Kundus-Opferanwälte fordern Entschädigung und Fortführung des
Ermittlungsverfahrens

 

Berlin, 10. Juni 2010. Die Rechtsanwälte der Opfer und Hinterbliebenen des
Luftangriffs vom 4. September 2009 bei Kundus (Afghanistan), Karim Popal,
Bernhard Docke, Dr. Reiner Geulen, Dr. Remo Klinger sowie Wolfgang Kaleck,
Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights
(ECCHR), haben auf einer Pressekonferenz am 10. Juni 2010 in Berlin konkrete
rechtliche Schritte angekündigt. Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck hat beantragt,
dass die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Oberst Klein, die die
Bundesanwaltschaft am 19. April 2010 einstellte, von der
Generalstaatsanwaltschaft Dresden fortgeführt werden.

 

Am 4. September 2009 bombardierten amerikanische F-15 Kampfjets zwei von
Talibankämpfern entführte Tanklastzüge, die in einem Flussbett nahe der
nordafghanischen Stadt Kundus feststeckten. Der Einsatzbefehl kam vom
deutschen Bundeswehr-Oberst Georg Klein und wurde den Piloten von
Hauptfeldwebel Markus Wilhelm übermittelt. Bei dem Angriff kamen über 100
Menschen ums Leben. Die meisten waren Zivilisten, darunter auch Jugendliche
und Kinder.

 

Die Anwälte der Opfer und Hinterbliebenen teilen die Auffassung des
Bundesministers der Verteidigung, dass das Bombardement vom 04. September
2009 „unangemessen“ war. Inzwischen ist bekannt - und auch im Wesentlichen
unstrittig –, dass die Vertreter der Bundeswehr  mit ihrem Einsatz bei
Kundus zwingende Einsatzregeln und völkerrechtliche Grundsätze verletzt
haben. 

 

Die Rechtsanwälte Geulen und Klinger haben daher mit Schreiben vom 20. Mai
2010 gegenüber dem Bundesministerium der Verteidigung substantiiert
dargelegt, dass die Opfer und Hinterbliebenen gegen die Bundesrepublik
Schadensersatzansprüche, insbesondere aus dem Staatshaftungsrechts geltend
machen können, da sich der Einsatz – jedenfalls rückblickend – als
„unangemessen“ (und daher rechtswidrig) erweist. 

 

Das Bundesministerium der Verteidigung hatte zunächst im April 2010 die
Verhandlungen mit den bisherigen Rechtsvertretern der Opfer und
Hinterbliebenen abgebrochen. Aufgrund der dezidierten Darlegungen im
Schreiben der jetzt (neben den Rechtsanwälten Popal und Docke) vertretenden
Rechtsanwälte Geulen und Klinger vom 20. Mai 2010 hat das Ministerium jedoch
in einem gestern eingegangenen Schreiben einen neuen Gesprächstermin
vorgeschlagen, den die Anwälte angenommen haben; der Termin wird noch im
Juni 2010 stattfinden.

 

Die Rechtsanwälte Geulen und Klinger erklärten, das bisherige Verhalten des
Bundesministeriums der Verteidigung sei nicht akzeptabel:

 

a)            „Es ist zunächst scharf zurückzuweisen, dass das
Bundesministerium der Verteidigung die Verhandlungen mit den bisherigen
Rechtsanwälten der Opfer und Hinterbliebenen abgebrochen hat. In ihrem
Schreiben vom 20. Mai 2010 haben die Rechtsanwälte Geulen und Klinger im
einzelnen dargelegt, dass nach der gefestigten Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts die Bundesregierung (bzw. ein Bundesministerium)
die zwingende Verpflichtung hat, die Vertretung Betroffener durch
bevollmächtigte deutsche Rechtsanwälte zu respektieren. In besonderem Maße
gilt dies für ausländische Mandanten, die im deutschen Recht nicht
sachkundig sind. 

 

Hieraus folgt, dass es rechtlich ausgeschlossen ist, dass das
Bundesministerium der Verteidigung versucht, unter Umgehung der
bevollmächtigten Rechtsanwälte mit den Opfern und Hinterbliebenen zu
verhandeln. 

 

b)      Wir erklären hierzu, dass unsere Mandanten es nachdrücklich
abgelehnt haben und weiter ablehnen werden, mit dem Bundesministerium der
Verteidigung unmittelbar über Entschädigungsfragen zu verhandeln, dass
solche Verhandlungen auch bisher nicht stattgefunden haben und dass
insbesondere keinerlei Zahlungen oder Entschädigungen an die Opfer und
Hinterbliebenen geleistet worden sind. 

 

c)            Wir machen gegenüber dem Bundesministerium der Verteidigung
bei getöteten Personen die Forderungen geltend, die das Ministerium in der
Vergangenheit auch in anderen vergleichbaren Fällen (wie an Straßensperren
getöteten Personen) gezahlt hat. Dies sind 33.000 USD (etwa 28.000,00 EUR);
dieser Betrag ist bewusst maßvoll gewählt und liegt an der unteren Grenze
dessen, was nach deutschem Recht in einer Schadensersatzklage zu fordern
ist.“ 

 

Rechtsanwalt Dr. Klinger erklärte weiter:

 

„Sollten die jetzt wieder beginnenden Gespräche nicht zu einem erfolgreichen
Abschluss führen, werden wir für die Opfer und Hinterbliebenen umgehend
Schadensersatzklagen gegen das Bundesministerium der Verteidigung erheben
und die Zahlung der Schadensersatzforderungen gerichtlich durchsetzen. Wir
sind uns eines Klageerfolgs sicher. Denn anders als im Strafrecht kommt es
im Zivilrecht nicht darauf an, ob Oberst Klein schon in der Nacht des
Bombardements erkennen konnte, dass der Angriff Unschuldige töten wird.
Ausreichend ist, dass sich das Bombardement jedenfalls nachträglich als
„unangemessen“ darstellte. Dies hat der Verteidigungsminister selbst
bestätigt. Nach den Grundsätzen des deutschen Staatshaftungsrechts geben wir
dem Bundesministerium der Verteidigung in einem Schadensersatzverfahren
keine Chancen.“

 

Rechtsanwalt Dr. Geulen sagte:

 

„Wir erwarten, dass bei den in Kürze zu führenden Verhandlungen die
Schadensersatzforderungen anerkannt werden und die Verhandlungen und
abschließenden Zahlungen umgehend abgeschlossen sind.“

 

In dem Strafverfahren gegen Oberst Klein hat Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck am
9. Juni 2010 bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden die Fortführung der
Ermittlungen beantragt. Diese ist zuständig für Straftaten nach dem
Strafgesetzbuch, die Oberst Klein durch den Luftangriff bei Kundus begangen
haben könnte. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe war nur für Taten nach dem
Völkerstrafrecht, namentlich Kriegsverbrechen, zuständig. Da gegen die
Einstellung dieser Ermittlungen derzeit nicht vorgegangen wird, ist nunmehr
ausschließlich die Generalstaatsanwaltschaft Dresden zuständig.

 

Die Rechtsanwälte der Geschädigten werfen der Bundesanwaltschaft die
eklatante Missachtung grundlegender Opferrechte vor: Bis heute haben die
Anwälte trotz eines rechtlichen Anspruchs keinen förmlichen
Einstellungsbescheid erhalten, obwohl sie schon vor Monaten die rechtliche
Vertretung von Opfern und Hinterbliebenen angezeigt hatten. Das erschwert
ein rechtliches Vorgehen erheblich, denn die Gründe der Einstellung werden
lediglich in der Pressemitteilung der Bundesanwaltschaft vom 19. April 2010
wiedergegeben. Diese ist in ihren Ausführungen jedoch derart knapp gehalten,
dass zum Teil nicht einmal erkennbar ist, von welcher Faktenlage die
Bundesanwaltschaft ausgegangen ist. Mit wechselnden und noch dazu wenig
überzeugenden Begründungen hat die Bundesanwaltschaft den Rechtsanwälten
bislang auch jede Einsicht in die Verfahrensakten verweigert. 

 

Die Rechtsanwälte werfen der Bundesanwaltschaft außerdem eine völlig
unzureichende Ermittlungsarbeit vor. So hat die Bundesanwaltschaft noch
keinen einzigen Geschädigten des Luftangriffs als Zeugen vernommen und  in
ihrer Presseerklärung vom 19. April 2010 selbst ausgeführt, dass „zur
genauen Anzahl der Opfer des Luftangriffs 
 die hier zur Verfügung stehenden
Ermittlungsmöglichkeiten keine hinreichend sichere Aufklärung bringen
konnten“. Eine Liste der afghanischen Regierung, die belegen soll, dass
jedenfalls die meisten Opfer bewaffnete Kämpfer und damit legitime Ziele des
Angriffs waren, erweist sich in wesentlichen Punkten als falsch. Mit einer
derart ungenauen Aufklärung des Sachverhalts verletzt die Staatsanwaltschaft
die rechtliche Pflicht, strafrechtlich relevanten Tatsachen erschöpfend zu
ermitteln.

 

Das European Center for Constitutional and Human Rights e.V. hat nun ein
Gutachten zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Oberst Klein und
Hauptfeldwebel Wilhelm veröffentlicht (abrufbar unter
http://www.ecchr.eu/FALL_KUNDUS.html). Angesichts der wenigen öffentlichen
Informationen zum Luftangriff kann es sich dabei nur um eine vorläufige
Einschätzung handeln. 

 

Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck sagte:

 

„Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden muss die strafrechtlichen
Ermittlungen im Fall Klein sorgfältig und umfassend führen. Dabei werden die
Untersuchungen der Anzahl und der Identität der Opfer ergeben, dass viele
Zivilisten getötet wurden. Bereits unsere Analyse der öffentlich
zugänglichen Fakten ergibt genügend Anhaltspunkte für eine Strafbarkeit von
Oberst Klein wegen Mordes, zumindest aber wegen Fahrlässiger Tötung.“

 

 

Mit freundlichen Grüßen



Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck

Generalsekretär des ECCHR

 

 

Kontakt und weitere Informationen:

 

ECCHR, Generalsekretär RA Wolfgang Kaleck, info at ecchr.eu, 030-40048590

RA Karim Popal:  <mailto:info at kanzlei-popal.de> info at kanzlei-popal.de,
0171-8369142

RA Bernhard Docke: ra.docke at hannover-und-partner.de, 0421-3352019

Rechtsanwälte Geulen & Klinger, Schaperstraße 15, 10719 Berlin, Tel.:
030-8847280

 

 

Dokumente:

Stellungnahme
<http://www.ecchr.de/FALL_KUNDUS/articles/kundus-opferanwaelte-fordern-entsc
haedigung-und-fortfuehrung-des-ermittlungsverfahrens.725.html?file=tl_files/
Dokumente/Universelle%20Justiz/Stellungnahme%20des%20ECCHR.pdf>  des ECCHR

Anspruchsschreiben
<http://www.ecchr.de/FALL_KUNDUS/articles/kundus-opferanwaelte-fordern-entsc
haedigung-und-fortfuehrung-des-ermittlungsverfahrens.725.html?file=tl_files/
Dokumente/Universelle%20Justiz/Anspruchsschreiben%20%20Rechtsanwaelte%20Geul
en%20%26%20Klinger%20an%20das%20Bundesministeri>  Rechtsanwälte Geulen &
Klinger an das Bundesministerium der Verteidigung

Schriftsatz
<http://www.ecchr.de/FALL_KUNDUS/articles/kundus-opferanwaelte-fordern-entsc
haedigung-und-fortfuehrung-des-ermittlungsverfahrens.725.html?file=tl_files/
Dokumente/Universelle%20Justiz/Schriftsatz%20an%20die%20Generalstaatsanwalts
chaft%20Dresden.pdf>  an die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden 

 

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