[imc-presse] Pressemitteilung:_EuGH_EU-Terrorismuslisten für ungültig erklärt

RAV e.V. gs at rav.de
Thu Jul 1 13:17:28 CEST 2010


 

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir bitten um Kenntnisnahme und Veröffentlichung der folgenden
Pressemitteilung.
Vielen Dank.
Mit freundlichen Grüßen

Sigrid v. Klinggräff
RAV-Geschäftsstelle

---

Pressemitteilung
Inneres, Europäische  Justiz

EuGH: EU-Terrorismuslisten für ungültig erklärt
Keine Strafverfolgung für Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz bis Juni
2007

Nach einem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom
29.06.2010 sind die im Jahr 2002 eingeführten sog. EU-Terrorismuslisten im
Zeitraum bis Juni 2007 ungültig. Eine nationale Strafverfolgung nach dem
Außenwirtschaftsgesetz (AWG) wegen einer möglichen Zuwiderhandlung gegen
EU-Recht ist insoweit unzulässig.

Dem Verfahren vor dem EuGH lag erstmalig eine Vorlagefrage eines nationalen
Strafgerichts zu Grunde. In den bisherigen Verfahren zu den
Terrorismuslisten hatten betroffene Personen und Gruppen direkt beim EuGH
Klage eingereicht. Dieses Mal legte das Oberlandesgericht Düsseldorf in
einem derzeit laufenden Strafverfahren gegen zwei türkische Linke wegen
vermeintlicher Sammlung von Spendengeldern für eine gelistete Organisation
dem EuGH eine Frage über die Gültigkeit einer Listung vor. Gegenstand der
Anklage sind vermeintliche Verstöße gegen das AWG in Zusammenhang mit einer
vorgeworfenen Mitgliedschaft in der DHKP-C. Konkrete Tatvorwürfe betreffen
allerdings fast ausschließlich die Arbeit in legalen Kulturvereinen,
Solidaritätsarbeit zur menschenrechtwidrigen Situation in türkischen
Gefängnissen und die finanzielle Unterstützung politischer Gefangener.

Hierin sieht die Bundesanwaltschaft (BAW) gleichwohl einen Verstoß gegen §
34 Abs. 4 AWG. Nach dieser Vorschrift macht sich strafbar, wer „einem im
Bundesanzeiger veröffentlichten, unmittelbar geltenden Ausfuhr-, Einfuhr-,
Durchfuhr-, Verbringungs-, Verkaufs-, Liefer-, Bereitstellungs-,
Weitergabe-, Dienstleistungs-, Investitions-, Unterstützungs- oder
Umgehungsverbot eines Rechtsaktes der Europäischen Gemeinschaften
zuwiderhandelt, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im
Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen
wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient“. Diese strafrechtliche
Blankettvorschrift verweist auf die sog. EU-Terrorismusliste. Die auf der
Grundlage einer EG-Verordnung (2580/2001) eingeführte und vom Rat der EU
erstellte und halbjährlich erneuerte Liste bezeichnet Gruppen und
Einzelpersonen, die als „terroristisch“ eingestuft werden und deren Vermögen
eingefroren wird. Ihnen dürfen als Folge der EG-Verordnung 2580/2001 weder
direkt noch indirekt Gelder oder Vermögenswerte zugeleitet werden. Aufgrund
der so genannten doppelten Verweisung in § 34 Abs. 4 AWG wurden die
EG-Verordnung sowie die Listen als solche in das nationale Strafrecht
inkorporiert. Zu den gelisteten Organisationen zählt u.a. auch die DHKP-C. 

In dem Urteil des EuGH (Rs. C-550/09) wurde nun festgestellt, dass die
Aufnahme der DHKP-C in die EU-Terrorismusliste ungültig sei und nicht dazu
beitragen könne, eine strafrechtliche Verurteilung, die an einen
vermeintlichen Verstoß gegen diese Verordnung anknüpft, für die Zeit vor dem
29. Juni 2007 zu stützen. Nach Einführung der Liste im Jahr 2002 hatte der
Rat erst am 28. Juni 2007 das Listungsverfahren dahingehend geändert, dass
Betroffene eine Begründung über die Listung erhalten können. „Das Fehlen
einer Begründung für die Aufnahme der DHKP-C in die Liste ist geeignet“, so
der EuGH, „eine angemessene gerichtliche Kontrolle ihrer materiellen
Rechtmäßigkeit zu vereiteln, die insbesondere eine Nachprüfung des
Sachverhalts sowie der zu ihrer Stützung angeführten Beweise und
Informationen umfasst.“ (Urteil Rn. 57)

Eine strafrechtliche Verurteilung wegen Verstoßes gegen § 34 Abs. 4 AWG ist
damit für die Zeit bis zum Juni 2007 per se ausgeschlossen. Für die Zeit
nach dem 29. Juni 2007 wird es maßgeblich darauf ankommen, ob die
Begründungen des Rats für die Listung einer Organisation derart
substantiiert sind, dass sie eine effektive Verteidigung und eine
gerichtliche Kontrolle ermöglichen. Da dies jedoch nicht Gegenstand der
Vorlagefrage war und bislang auch keine Gründe für die Listung der DHKP-C
bekannt sind, konnte der EuGH hierüber bislang nicht entscheiden.

„Leider hat der Gerichtshof nicht über die Gültigkeit der Listen nach 2007
entschieden, denn diese verstoßen immer noch erheblich gegen fundamentale
Verfahrensgrundsätze und Menschenrechtsstandards“, so ECCHR-Generalsekretär
Wolfgang Kaleck. „Es ist zudem nach wie vor ungeklärt, welche inhaltlichen
Anforderungen an die Aufnahme in eine Liste zu stellen sind. Hier besteht
weiterhin akuter Handlungsbedarf. Ansonsten tragen wie bislang die
gelisteten Personen und Organisationen das Risiko, dass eine rechtswidrige
Aufnahme mit erheblicher Folge erst Jahre später durch den EuGH aufgehoben
wird.“


Weitere Informationen zu dem Verfahren: 
http://www.ecchr.eu/Terrorismuslisten/articles/ecchr-nimmt-in-terrorismuslis
ten-prozess-stellung.html
http://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/eu-terrorlisten-muen
dliche-verhandlung-am-12-mai-2010-am-europaeischen-gerichtshof-ueber-eine-vo
rlage-des-oberlandesgerichts-duesseldorf-zur-gueltigkeit-der-eu-terrorlisten
-135/page1/

Urteil:
http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=DE&Submit=rechercher&numa
ff=C-550/09
PM des EuGH;
http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2010-06/cp100064de.p
df 


ECCHR-Stellungnahme im Verfahren:
http://www.ecchr.eu/Terrorismuslisten/articles/ecchr-nimmt-in-terrorismuslis
ten-prozess-stellung.html?file=tl_files/Dokumente/Counterterrorism/ECCHR%20S
tellungnahme%20Istanbullu_Oban%20FINAL%202.pdf

Hintergrundbericht zu den EU-Terrorismuslisten:
http://www.ecchr.eu/Terrorismuslisten/articles/ecchr-nimmt-in-terrorismuslis
ten-prozess-stellung.html?file=tl_files/Dokumente/Counterterrorism/EU%20Terr
orismuslisten%20Hintergundtext.pdf


Ansprechpartner:
ECCHR – Generalsekretär Wolfgang Kaleck, Tel. 030-40048590
RAV – Geschäftsführer Carsten Gericke Tel. 040-43135110
Martin Dolzer, Rechtsanwaltsbüro Britta Eder Tel. 0176 207 05 646

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Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
Haus der Demokratie und Menschenrechte
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Tel +49 (0)30 417 235 55 | Fax +49 (0)30 417 235 57
mailto:kontakt at rav.de | www.rav.de
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Mo, Di, Do, Fr 10:00 - 16:00


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