[Pressemitteilung] G8 Genua: Niedrige Urteile gegen Polizei

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Di Jul 15 11:02:39 CEST 2008


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Pressemitteilung 15. Juli 2008



* G8 Genua: Niedrige Urteile gegen Polizei

* AnwältInnen kritisieren Justiz

* Aktionswoche in Genua



Nach neunstündiger Verhandlung endete gestern Abend in Genua das
"Bolzaneto-Verfahren" gegen 45 Angehörige der Polizei, Vollzugsbeamte und
ärztliches Personal. Gegen die Angeklagten wurde wegen Autoritätsmißbrauch,
Nötigung, Mißhandlung, Drohung und Fälschung ermittelt. 300 DemonstrantInnen
wurden während der Proteste gegen den G8 festgenommen, die meisten von ihnen in
die zum tempörären Gefängnis umfunktionierte Polizeikaserne gebracht.



Betroffene dokumentierten im Verfahren Schläge, Beleidigungen, faschistische
Parolen und systematischen Demütigungen. Weil die Polizei behauptete dass die
meisten eingesetzten Beamten nicht identifiziert werden könnten wurde nur gegen
leitende Kräfte verhandelt. 30 Angeklagte wurden dennoch aus "Mangel an
Beweisen" freigesprochen. Die höchste Strafe erhielt mit 5 Jahren und 8 Monaten
der Sicherheitschef des Gefängnisses, Antonio Biagio Gugliotta. Der für seine
Brutalität heftig kritisierte Gefängisarzt Giacomo Toccafondi erhielt lediglich
1 Jahr und 2 Monate Haft.



Die Verurteilten kündigten Berufung an. Damit würden die Strafen nach
italienischem Recht verjähren. Verjährungsfristen werden während der
Verhandlung nicht ausgesetzt.



Im Bolzaneto-Verfahren treten 300 Betroffene als NebenklägerInnen auf, darunter
auch Angehörige der Mißhandelten. Die Hälfte von ihnen kommt aus dem Ausland.
Richter Renato Delucchi sprach allen eine "sofortige Entschädigungszahlung" von
2.500 bis 15.000 € zu.



Bis letzte Woche war unklar ob das neue "Sicherheitsgesetz" Berlusconis die
Urteilsverkündung verhindern könnte. Gegen Berlusconi wird wegen Korruption
ermittelt. Er fordert nun die Aussetzung aller Verfahren mit einem erwarteten
Strafmaß unter drei Jahren, die vor Mitte 2002 begangen wurden. Das Dekret soll
Ende Juli von Staatspräsident Giorgio Napolitano unterzeichnet werden. Um die
Urteilsverkündung zu beschleunigen verzichteten die AnwältInnen der Nebenklage
auf ihre Schlußplädoyers.



AnwältInnen und Solidaritätsgruppen kritisieren das Urteil heftig. Zwar wurde
anerkannt dass Straftaten begangen wurden, jedoch blieb das Gericht unter dem
gefordeten Strafmaß der StaatsanwältInnen.



Im Herbst wird mit einem weiteren Urteil gegen Polizisten gerechnet. Im
"Diaz-Verfahren" wird die Mißhandlung teils schlafender AktivistInnen
verhandelt. 29 leitende Beamte sind unter anderem wegen Fälschung von
Beweismitteln angeklagt. Einer der Staatsanwälte, Patrizia Petruziello,
erklärte dass 4 von 5 in der Diaz-Schule Festgenommenen nach Kriterien des
Europäischen Gerichtshof eine "unmenschliche und unwürdige Behandlung" erlitten
hätten. Italien hat die internationale Folterkonvention nicht unterzeichnet,
demnach kann nur wegen Mißhandlung Anklage erhoben werden.



Während Angehörige der Polizei bisher straffrei blieben, wurden AktivistInnen zu
hohen Strafen verurteilt. Im November letzten Jahres wurden gegen 25
italienische DemonstrantInnen drakonische Strafen von bis zu 11 Jahren Haft
verhängt. Dabei reichte aus, in der Nähe von Ausschreitungen aufgegriffen zu
werden. Im Juni wurde eine französische Aktivistin zu 5 Monaten Haft
verurteilt, weil sie als einzige den Absperrzaun um die Genueser Innenstadt
überklettert hatte.

"Diese Urteile sind ein Angriff gegen die sozialen Bewegungen und gegen das
Recht auf Widerstand", schreibt die Solidaritätsgruppe SupportoLegale. "Genua
war eine Revolte von 300.000 AktivistInnen", kommentiert die Gipfelsoli
Infogruppe. "Der Widerstand gegen die Polizeiangriffe war unbedingt
gerechtfertigt".



Zum 7. Jahrestag der G8-Proteste wird Genua nächste Woche Austragungsort
zahlreicher Veranstaltungen. Am 19. Juli lädt unter anderem Haidi Giuliani, die
Mutter des erschossenen Carlo, zur Vorbereitung gegen den nächsten G8-Gipfel
2009 auf Sardinien ein. Am 20. Juli findet auf der Piazza Alimonda die
jährliche Gedenk-Versammlung für Carlo statt. Solidaritätsgruppen aus Genua und
anderen Ländern organisieren Vorträge und Diskussionen im Palazzo Ducale, dem
damaligen Tagungsort des G8-Treffens.



Eine Gesellschaft, in der RepräsentantInnen des Staates weniger Verantwortung
trügen als DemonstrantInnen sei "eine hässliche Gesellschaft", erklärt die
Nebenklage-Anwältin Laura Tartarini. Mit einer ausführlichen Stellungnahme der
AnwältInnen wird heute nachmittag gerechnet.



*Hintergrund*



* Erklärung von SupportoLegale:
http://www.gipfelsoli.org/Home/Genua_2001/5299.html

* Anwältin Laura Tartarini zum "Sicherheitsgetz" Berlusconis:
http://www.gipfelsoli.org/Home/Genua_2001/5218.html

* Programm der Aktionswoche in Genua:
http://www.veritagiustizia.it/altro/torniamo_a_genova_2008.php



*Kontakt*



* Hanne Jobst, Matthias Monroy, Andrea Brigante (Berlin): +49 (0)160 953 14 023

* Rechtsanwältin Laura Tartarini (Genua): +39 34 7736 7684