[Pressemitteilung] G8 Gegner trotz widersprüchlicher Polizeiaussagen zu 8 Monaten Bewährungsstrafe verurteilt.

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Mi Jul 2 15:38:50 CEST 2008


Prozessbeobachtungsgruppe Rostock
Kontakt: Dieter Rahmann 0179-6268785 

Pressemitteilung vom 2.Juli 2008 

G8 Gegner trotz widersprüchlicher Polizeiaussagen zu 8 Monaten 
Bewährungsstrafe verurteilt. 

Ein 25 jähriger Belgier ist gestern vom Amtsgericht Rostock wegen eines 
angeblichen Flaschenwurfes nach der Anti G8 Demonstration am 2.6.07 in 
Rostock zu einer 8 monatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. 
Bemerkenswert an diesem Urteil ist, daß der vorsitzende Richter Langer 
trotz widersprüchlicher Aussagen zweier Berliner Polizeibeamter und trotz 
entgegenstehender Einlassung des Angeklagten den Grundsatz - Im Zweifel für 
den Angeklagten - völlig außer Acht ließ und nur den belastenden Aussagen 
des einen Beamten glaubte. 

Zuanfangs erklärte der Angeklagte in einer ruhigen, sachlichen und 
widerspruchsfreien Einlassung, er hätte sich nach der Demonstration am 
Rande einer 100 Personen starker Menschenmenge befunden, auf die sich eine 
10 köpfige Gruppe Berliner Polizisten zubewegte. Er habe dann bemerkt, daß 
eine Flasche, die offensichtlich von hinten geworfen wurde, direkt an seinem 
Kopf vorbeiflog und einen knapp 2 Meter vor ihm stehenden Polizisten am Helm 
traf und dann zerschellte. Daraufhin wurde der Angeklagte verhaftet und 
mußte sich gestern vor dem Amtsgericht verantworten, weil ein Polizist aus 
der 10 köpfigen Einheit aussagte, daß er angeblich gesehen habe, daß der 
Angeklagte die Flasche auf den Polizisten warf. 

Bei der gestrigen Vernehmung der beiden Polizeibeamten(des Getroffenen und 
des “Zeugen“) stellten einige eklatante Widersprüche heraus. So sagte 
der von der Flasche getroffene Polizist aus, der Angeklagte habe sich 2 
Meter vor ihm befunden, während der andere Polizeibeamte aussagte, daß der 
Angeklagte, nicht vor, sondern neben dem von der Flasche getroffenen 
Polizisten stand. Auch andere Aussagedetails erschütterten die 
Glaubwürdigkeit der Polizeibeamten, wie z.B., daß ein Polizist den 
Angeklagten bei seiner Festnahme ein paar mal habe schlagen müssen, damit 
dieser dann seine Arme freigibt, damit sie gefesselt werden. Währenddessen 
erklärte der andere Polizist, daß der Angeklagte während der Verhaftung 
gar nicht gefesselt worden sei. Auch erklärte ein Polizist, der Angeklagte 
seie vermutlich vermummt gewesen, wie viele andere auch vermummt waren, 
währenddessen der andere Polizist sagte, er könne sich genau daran 
erinnern, daß der Angeklagte unvermummt gewesen sei. 

Trotz dieser Widersprüche stand für Staatsanwaltschaft und Richter Langer 
von vornherein die Schuld des Angeklagten fest. Die Staatsanwältin Brodach 
verstieg sich sogar zu der Äußerung, daß Aussagen von Angeklagten 
grundsätzlich von einer starken Motivation zum Leugnen geleitet werden und 
deren Aussagen daher wahrscheinlich Schutzbehauptungen darstellen würden 
und somit für die Beweiswürdigung unerheblich seien. Richter Langer 
schloß sich dem Vorbringen an und bezügl. der Polizeiaussagen waren deren 
Widersprüche sogar noch ein Beweis für die erhöhte Glaubwürdigkeit der 
Polizei-Zeugen, da aufgrund der langen inzwischen vergangenen Zeit, die 
Erinnerung verblassen würde. 

Selbst die Aussage des einen Polizeibeamten, der sich den Flaschenwurf 
selbst nicht erklären könnte, da es seiner Erfahrung nach absolut 
ungewöhnlich seie, daß ein Demonstrant Flaschen nicht aus der Deckung der 
Menge wirft, sondern aus dieser Menge heraustritt und erst als er quasi auf 
Tuchfühlung mit der Polizei war, zum Wurf ansetzte, fand in der 
Beweiswürdigung des Richters keinen Widerhall. Sein hilfloses Herumrudern 
mit den Armen, als er auf Auforderung der Anwältin mal zeigen sollte, wie 
denn die Wurfbewegung tatsählich aussah, die er gesehen haben will, 
bezeugte nicht gerade die Glaubwürdigkeit der mit eigenen Augen gesehenen 
Wurfbewegung.  Die Anwältin argumentierte, daß es allein aus 
physikalischen Gesetzmäßigkeiten schwer vorstellbar erscheine, daß ein 
Demonstrant aus so kurzer Entfernung ohne Ausholen der Arme eine Flasche mit 
so großer Wucht an den Polizeihelm werfe, damit dieser zerspringt. Auch 
hier war es dem Richter Langer nicht zu peinlich, daraufhin zu erwidern, 
daß das Amtsgericht Rostock sich mit den physikalischen Wurfgesetzen 
auskenne. 

Die Prozessbeobachtungsgruppe Rostock stellt angesichts dieser 
Urteilsfindung fest, daß nicht nur der Grundsatz  - Im Zweifel für den 
Angeklagten -  mit Füßen getreten wird. Mal wieder wird, wie üblich in 
politischen Prozessen, Polizeiaussagen grundsätzlich mehr geglaubt, egal 
wie widersprüchlich diese sind. 

Für den Richter Langer scheint es zudem nicht vorstellbar zu sein, daß der 
eine Belastungszeuge ein Interesse daran haben könnte, gegen den 
Angeklagten auszusagen, da gegen diesen Beamten der berüchtigten Berliner 
Einsatzhundertschaft 105 ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung 
läuft, da er den Angeklagten bei der Verhaftung mehrfach schlug. Daß die 
Justiz bei den G8 Verfahren aber mit zweierlei Maß mißt, ist 
offensichtlich.  So wurde am Rande des Prozesses deutlich, daß das 
Ermittlungsverfahren gegen den Polizisten noch nicht über das 
Anfangsstadium, hinausgekommen ist, denn es hat noch nicht mal eine 
Beschuldigtenvernehmung stattgefunden, der angeklagte Belgier ist aber 
inzwischen verurteilt worden. 

Schon bei einem Prozess wegen Vermummung Mitte November letzten Jahres tat 
sich Richter Langer durch völlig willkürliche Beweiswürdigung der 
einzelnen sich widersprechenden Polizeiaussagen hervor. Obwohl sein 
damaliger Schuldspruch jüngst vom Landgericht Rostock aufgehoben worden 
ist, scheint für Richter Langer bei G8 Prozessen das Prinzip zu gelten: 
Schuldig, egal was die Polizeizeugen aussagen! 

Für Ihre Recherche: Rechtsanwältin des Angeklagten: Maren Burkhardt 
030-6957996