[Pressemitteilung] G8-Gegner wegen Mitführens einer Schutzbrille aus Chemiebaukasten verurteilt
Gipfelsoli Infogruppe Presseverteiler
gipfelsoli-presse at lists.nadir.org
Fr Apr 25 19:33:22 CEST 2008
*Pressemitteilung Prozessbeobachtungsgruppe Rostock*
* Peinliches Verfahren vor dem Landgericht Rostock
* Angeblicher Brandsatz entpuppte sich als Filzschreiber
Ein in wesentlichen Zügen für die Justiz und Repressionsbehörden
peinliches Verfahren spielte sich heute vor dem Landgericht Rostock ab.
Die Berufungsinstanz hatte über ein Urteil des Amtsgerichts Rostock vom
Oktober 2007 zu befinden, das einen 20 jährigen Berliner zu 40
Tagessätzen wegen Verstoßes gegen das Schutzwaffenverbot verurteilte,
weil bei diesem im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung nach der Anti
G8 Auftaktdemo am 2.Juni eine Schutzbrille gefunden wurde. Da die
Eigenschaft einer Schutzbrille als Bewaffnungsgegenstand in der
Rechtsprechung sehr umstritten ist, muß, um ein Verurteilung zu
rechtfertigen, nachgewiesen werden, dass der Angeklagte dieses auch zum
Zweck der Schutzbewaffnung mitführen wollte. Als Indiz für sein
gewalttätiges Verhalten, so war den Akten zu entnehmen, galt ein im
Rahmen der damaligen Durchsuchung ebenfalls gefundener, angeblicher,
selbstgebastelter Brandsatz.
Gleich zu Beginn der heutigen Berufungsverhandlung, fiel die
Argumentation von Staatsanwalt Spieß und Richterin Bäuerle-Graf, die den
Brandsatz als Indiz für den Schutzbewaffnungswillen des Angeklagte
ansahen, in sich zusammen.
Während der damals durchsuchende Polizeizeuge den angeblichen Brandsatz
als einen Edding beschrieb, der zweckentfremdet mit einem Aufsatz
versehen war, der wie ein Teil eines technischen Brandsatz aussah, wurde
bei Inaugenscheinnahme unter dem Gelächter der Zuschauer deutlich, daß
bei dem Filzschreiber, die verlorengegangene Plastikkappe durch ein
umwickeltes Stück Alupapier ersetzt worden war, um ein Austrocknen zu
verhindern. Auf die Frage, warum die Polizei denn damals nicht einfach
mal die Kappe abmachte, um sich von der Ungefährlichkeit zu überzeugen,
anstatt einen Brandsatz zu unterstellen, mußte der Polizist passen. Auch
die Schutzbrille, bei der laut Strafbefehl suggeriert wurde, daß es sich
um ein eher voluminöses Gerät handeln würde, welches auch z. B. bei
Arbeiten vor Hochöfen verwendet wurde, entpuppte sich als eher kleine
Brille mit minimalem Seitenschutz, den der Angeklagte, wie er sagte aus
einem in Kindheitstagen benutzten Chemiebaukasten entnahm.
Während die Verteidigerin Verina Speckin darlegte, daß Brillen laut dem
in den Bundestagsplenarprotokollen nachzulesenden politischen Willen des
Gesetzgebers nur dann unter das Schutzwaffenverbot fallen würden, wenn
entweder bei ihrer Herstellung eine Schutzwaffeneigenschaft beabsichtigt
seie, oder wenn Brillen mitgenommen würden, um Polizeieinsätze zu
verhindern. „Da allerdings niemand den Einsatz eines Wasserwerfers durch
Aufsetzen einer Brille stoppen könnte, seie der Angeklagte
freizusprechen,“ so Speckin. Die Staatsanwaltschaft bezog sich in ihrem
Plädoyer für eine Verurteilung auf eine Äußerung des Angeklagten, der
sagte, er führe die Brille mit sich, um seine körperliche Unversehrtheit
vor in der Luft liegenden Tränengasschwaden zu schützen.
Weder Staatsanwalt noch Richterin zogen auch nur einmal die Möglichkeit
in Betracht, dass der Angeklagte damit die Tränengasschwaden meinen
könnte, die bei einem Polizeieinsatz gegen andere Demonstranten auch
unbeteiligte Dritte treffen könnte. Nach ihrer Ansicht seie mit dieser
Aussage bewiesen, dass sich der Einsatz der Schutzbrille gegen einen
Tränengaseinsatz der Polizei gegen ihn selbst richten würde. Obwohl die
Annahme eines Waffen-Charakters der Schutzbrille an sich schon
haarsträubend genug ist, führte diese einseitige und voreingenommene
Interpretation des Willen des Angeklagten zu seiner Verurteilung.
„Offensichtlich soll dieses im Verhältnis zur lächerlichen Tat des
Mitführens einer Schutzbrille im Bereich der Stadt Rostock drakonische
Urteil die Schlappe für die Staatsanwaltschaft ausmerzen, die vor zwei
Monaten aufgrund massiven öffentlichen Interesses den Strafbefehl im
sogenannten Schwimmbrillenprozess zurückziehen mußte“, erklärte die
Prozessbeobachtungsgruppe Rostock nach dem Prozess.
„Daß dabei sogar versucht wird, Filzschreiber in Brandsätze umzudeuten,
macht einmal mehr deutlich, daß den Repressionsbehörden für die
Kriminalisierung der Protestbewegung offensichtlich kein Argument zu
peinlich ist.“
Kontakt: Dieter Rahmann 0179-6268785