[Pressemitteilung] G8: Polizei verabredet Reisesperren in Flurgesprächen
Gipfelsoli Infogruppe Presseverteiler
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Mi Apr 4 08:37:51 CEST 2007
*Pressemitteilung Gipfelsoli Infogruppe*
online unter www.gipfelsoli.org/Presse/1180.html
4. April 2007
*G8 2007 in Heiligendamm:*
Sicherheitskonzept: Polizei verabredet Reisesperren in Flurgesprächen
"Kavala" bagatellisiert Schüsse in Göteborg und Genua
Innenministerium will für "positives Sicherheitsgefühl" werben
Polizei, Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz bewerben die
Sicherheitsvorkehrungen zum G8-Gipfel als "größten Polizeieinsatz in der
Geschichte der Bundesrepublik".
Von Seiten der Demonstranten wird es zwar nicht der größte Massenprotest
in Deutschland, aber ein internationaler, breiter und ambitionierter Angriff
auf die Ausformungen des Kapitalismus.
Bewohner der Region Mecklenburg-Vorpommern beklagen nun eine
"bürgerkriegsähnliche Stimmung", die von der Polizei gegen den
Gipfelprotest verbreitet wird. Dies erfuhr die Gipfelsoli Infogruppe in
Veranstaltungen vor Ort.
Von allen Akteuren der "Sicherheitsarchitektur" werden "islamistischer
Terror" und "linksextremistische Anschläge" in einem Atemzug genannt. Damit
wird ein Klima von Angst und Verunsicherung produziert. Neben U-Booten,
Kriegsschiffen, der Einbettung in ein NATO-Manöver, Tornado- und
Phantom-Abfangjägern bietet auch die Polizei ihr ganzes Arsenal auf. Der
Sonderstab "Besondere Aufbauorganisation Kavala" hat sich am 1. April auf
367 Kräfte verdoppelt.
Vor 2 Wochen wurde die Broschüre "Kavala-Report" für bundesdeutsche
Bereitschaftspolizisten herausgegeben, die am G8-Einsatz beteiligt sind.
Dort wird Gipfelprotest als "Antiglobalisierung" diffamiert und behauptet,
die Schüsse auf Demonstranten in Göteborg und Genua seien Folge von
"Plünderungen, Sprengstoffanschlägen, Ausschreitungen" gewesen. Dabei ist
sowohl in Schweden als auch Italien gerichtsfest, dass die Polizei in
Untersuchungen und Gerichtsverhandlungen dazu Beweismittel manipulierte.
Der "Einsatzabschnitt Einsatzbegleitende Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit", der die Broschüre verantwortet, erhält ebenfalls
Verstärkung. Ziel ist laut Innenministerium die "Vermittlung eines
positiven Sicherheitsgefühls in der Öffentlichkeit".
"Mit noch mehr Kavala-Propaganda gegen Gipfelprotest und Kapitalismuskritik
ist zu rechnen", schätzt Marcus Steinhagen von der Gipfelsoli Infogruppe.
Seit mindestens einem Jahr finden nichtöffentliche internationale
Konferenzen, Geheimverhandlungen und "zahlreiche bilaterale Gespräche am
Rande von Veranstaltungen" statt (so der Leiter der Abteilung Polizei im
Innenministerium MV, Frank Niehörster). Flurgespräche seien "in der
Vorbereitung des Gipfeltreffens 2007 jetzt von besonderem Wert", erklärte
Niehörster kürzlich auf einer internationalen Polizeikonferenz.
"Diese Geheimdiplomatie soll den Protest behindern und entblößt die
tendenziöse Haltung von BKA und Polizei zur Kapitalismuskritik", kritisiert
Steinhagen.
Angegliedert an das Bundespolizeipräsidium Nord ist eine zweite "Besondere
Aufbauorganisation" gegründet worden. Sie soll die Luft- und Bahnsicherheit
gewährleisten und kümmert sich um Reisesperren. Kurz vor dem Gipfel wird
ein Teil des Schengen-Abkommens suspendiert, um "verdächtige Personen" an
deutschen Grenzen zu kontrollieren und an der Einreise zu hindern.
BKA und Bundespolizei verfügen dank informeller Kanäle nun über Daten von
politischen Aktivisten aus vielen Ländern der Welt. Bei früheren Gipfeln
reichte eine Verurteilung wegen Ladendiebstahl, um in die entsprechende
Datei sortiert zu werden.
Die massiven Polizeivorbereitungen, insbesondere die öffentliche Kampagne
des "Einsatzabschnitt Einsatzbegleitende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit"
gegen den Gipfelprotest erinnern an den G8 in Genua 2001. Dort wurden
Gerüchte lanciert, Demonstranten wollten Polizisten als "menschliche
Schutzschilde" benutzen, die Polizei hätte bereits 200 Leichensäcke
bestellt. Dies trug dazu bei, Polizeiangriffe gegen genehmigte
Groß-Demonstrationen einzufädeln.
Ehrhart Körting, Berliner Innensenator (SPD), half der Genueser Polizei,
indem er Kapitalismuskritikern die Abreise verboten hatte. Körting damals:
"Es gibt in Deutschland kein Grundrecht auf Ausreise". Allein mindestens 16
Berliner mussten sich täglich bei der Polizei melden.
Ein Ausreiseverbot aus europäischen Ländern verstößt allerdings gegen
Art. 18 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV). Der
Passus regelt die Bewegungsfreiheit im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten.
Die Praxis bricht auch mit deutschem Recht auf Versammlungsfreiheit,
Freizügigkeit und Allgemeine Handlungsfreiheit.
Körting ist seit Januar Vorsitzender der Innenministerkonferenz und damit
verantwortlich für den Polizeieinsatz von 16.000 Länderpolizisten beim
G8-Gipfel.
[Gipfelsoli Infogruppe]
Marcus Steinhagen, Matthias Monroy (Berlin); Adam Jones (Leeds)
Mobil: 0160/ 953 14 023, Büro: 030/ 4098 5406 (Mittwoch 13.00 - 17.00 Uhr)
Hintergrund:
* "10. Europäischer Polizeikongreß" (Treffen internationaler Polizei mit
Vertretern aus Wirtschaft und Politik zur Optimierung von Überwachung und
Kontrolle): www.europaeischer-polizeikongress.de
* "Kavala-Report" (erste Ausgabe einer Broschüre für
Bereitschaftspolizisten anderer Länder):
www.gipfelsoli.org/Repression/1172.html
* Heiner Busch zu Körtings' und Schilys' Ausreise-Verbot nach Genua 2001:
www.gipfelsoli.org/Home/Goeteborg_2001/1132.html
* Sehr ausführlich zur "Sicherheitsarchitektur" von Länder- und
Bundespolizei, BKA, Bundeswehr und Strategien dagegen:
www.gipfelsoli.org/rcms_repos/Tools/know_your_enemy_2.2.pdf